Judith und Christian Vogt sind leidenschaftliche Rollenspieler. Was liegt da für zwei mehrfach ausgezeichnete Autoren näher, als den LeserInnen ihrer Romane und Kurzgeschichten auch die Möglichkeit zu geben, selber spannende Abenteuer zu erleben? Mit „Eis & Dampf“ (Link) zu ihrem Steampunk-Roman „Die zerbrochene Puppe“ hatten sie schon richtig gut vorgelegt, nun folgt mit „Scherbenland“ das „Fate“-Setting zum bald erscheinenden Fantasy-Roman „Die 13 Gezeichneten“ (Link). Ob die Vögte (Link zu einem spannenden Podcast-Interview) wohl die qualitative Messlatte überspringen werden, welche sie sich mit „Eis & Dampf“ sehr hoch gelegt haben? In „Scherbenland“ verkörpern die Spieler Mitglieder des sogenannten Wolfsrudels, einer Eliteeinheit des Zaren. Dieser herrscht mit seiner Frau über Beide Reiche, einer an das zaristische Russland zur Zeit der napoleonischen Kriege angelehnten Spielwelt, die eines Religionskonfliktes wegen kurz vor dem Bürgerkrieg steht. Zudem treiben dort magische Wesen und tückische Hexerei ihr Unwesen. Und um das Riesenreich drumherum warten die machtgierigen Anrainerstaaten begierig auf die Gelegenheit, das entstehende Machtvakuum auszufüllen... Viel zu tun also für das zaristische Wolfsrudel, welches sich mit Degen und Muskete, aber eben auch mit magischen Worten, den inneren und äußeren Feinden entgegen stellt. Die Spielwelt des innerlich zerrissenen Zarenreichs wird in dem kleinen Settingbüchlein hinreichend genug beschrieben (je nachdem, was man alles dazu zählt, kommt man auf ungefähr 30 – 40 Seiten, aber wirklich in die Tiefe gehen die Informationen natürlich nicht), man erhält nach dem ersten Durchlesen schon einen ganz guten Eindruck – Ich war davon durchaus angetan, bietet diese slawische Gunpowder-Fantasy doch ein unverbrauchtes, frisches Szenario. „Scherbenland“ ist ein Setting für das Erzählrollenspiel „Fate Core“ (Link zum kostenlosen Download), daher bietet das Büchlein an sich nur ein paar wenige, dafür aber interessante Regelergänzungen. So gibt es als fünften Aspekt für alle Mitglieder des Wolfsrudels etwa den Rudelaspekt, der Kampfvorteile generiert. Ebenfalls einen Kampfvorteil bringt der Situationsaspekt „Besser Bewaffnet“, welchen der – na ratet mal – situationsabhängig (!) besser bewaffnete Charakter erhält. Aber nicht immer braucht es Blei und Stahl, denn einen besonderen Wert haben die beiden Autoren auf die Wortmagie gelegt: Worte sind unglaublich mächtig, damit aber für den Benutzer auch unglaublich gefährlich. Immer, wenn ein Spieler diese Fertigkeit einsetzt, muss er einen vom Spielleiter festgelegten Preis zahlen. Das kann zusätzlicher Stress sein, aber auch ein neuer, negativer Situationsaspekt oder eine erzählerische Wendung zum Schlechteren. Schlägt die Wortmagie fehl, wird es sogar noch schlimmer ;-) Eine schöne Idee, welche den Einsatz der Worte zu einem seltenen, wohlüberlegten Ereignis macht. Auch die Möglichkeit, über alchemistische Tränke kurzzeitige Boosts zu generieren, ist ein sich gut ins Setting einfügender Einfall. Ausprobieren kann man die neuen Regeln im mitgelieferten Beispielabenteuer „Der Friede des Friedlosen“, in welchem die Spieler im Auftrag der Zarin ein vom Nachbarreich angegriffenes Dörfchen beschützen sollen. Da können sie auch gleich die sechs ausgearbeiteten Archetypen und die zahlreichen neuen Stunts ausprobieren :-) Ein sehr schöner, dramatischer One-Shot, den man auch gut als Kampagnenauftakt verwenden kann, welcher das 88 Seiten umfassende Taschenbuch gekonnt abrundet. Dieses kostet 14,95 € (bzw. 6,99 € als PDF (Link)), was für ein Eigenverlagsprodukt vollkommen in Ordnung ist. Dass hier kein professioneller Verlag im Hintergrund stand, merkt man „Scherbenland“ dabei lediglich bei der zusammengewürfelten und nicht immer professionell aussehenden Bebilderung an, denn Layout und Lektorat haben gute Arbeit geleistet. Fazit: Tja, die Vögte können es einfach ;-) Das in einem herrlich unverbrauchten Setting spielende „Scherbenland“ (Link) bietet nicht nur alles, was man für einen spannenden Rollenspiel-Ausflug in Beide Reiche benötigt, es macht auch richtig Bock auf den kommenden Roman. Sicherlich könnte alles ein wenig hübscher illustriert und inhaltlich umfangreicher sein, aber für ein Eigenverlagsprodukt haben sie echt gut abgeliefert :-) PS: Nicht vergessen zu erwähnen möchte ich, dass es diesen Settingband unter dem Titel „Shardland“ (Link) auch auf englisch gibt! PPS: Danke an die Vögte (hier auf dem Foto zu sehen mit einem wichtigtuerischen Preisverleiher, der sich aufs Bild geschmuggelt hat :-P) für das Rezensionsexemplar.