Vor 6 Wochen interviewte ich den Indie-Autoren Samuel Kuschkowitz zu seinem Horror-Rollenspiel "Neverland" (Link). Damals suchte er noch nach Mitspielern für die Premiere, mittlerweile ging diese erfolgreich über die Bühne. Mein geschätzter Kumpel Nico hat bereits einen Spielbericht (Link) geschrieben, nun berichtet der Autor höchstselbst exklusiv von seinem ersten Mal :-D Wir schreiben den 19.3.2016. In einem großen, abgedunkelten Raum in Halle an der Saale, sitzt eine Gruppe von Rollenspielern um einen Spieltisch. Ihr Meister: Samuel, kompletter Neuling in der Zunft des Spieleleitens, jedoch erfüllt mit Ehrgeiz und großen Visionen... So kam es dann, dass die letzte Runde des Gratisrollenspieltags 2016 (Link) zur ersten jemals gespielten Runde des humoristischen Horror-Rollenspiels „Neverland“ wurde. Mit dabei 6 freiwillige Opfer, darunter Paul Henßge und Nico Kammelt, beide deutlich abgekämpft vom stundenlangen Leiten ihrer eigenen Runden. Als kurze Zusammenfassung für alle die das Interview nicht kennen: Neverland ist ein One-Shot Rollenspiel mit drei festen Konstanten:
- einem heruntergekommenen, meist verlassenen Freizeitpark - eine Gruppe meist naiver Teenager, die der Meinung sind, eine gruselige Parkruine zu erforschen ist voll cool und ungefährlich - und ein meistens böses, zumindest aber sadistisch veranlagtes Monster
Aus diesen drei Grundzutaten baut man sich als Spieleleiter nach Belieben einen Freizeitpark, komplett mit alten Karussellen, einstürzender Achterbahn und muffig-modrigem Plüschtierstand. Meine Gruppe unbedarfter Opfer bestand an diesem Abend aus: Einer asiatischen Austauschschülerin mit Hobby Fotografie; einem Sprayer mit großer Portion Cannabis im Gepäck; einem eigentlichen Parcourläufer, der durch seine ebenso große Cannabisliebe aber zu träge für seinen Sport war; einem Freeclimber, einer knapp bekleideten Punkerin und einem kleinen, runden, aknegeplagten Computernerd. Keiner der Charaktere war älter als 19, alle kannten sich mehr oder minder flüchtig durch die Schule und sie hatten durch den Freund eines Freundes gehört, im Süden von Halle, irgendwo zwischen den ganzen alten Industrieruinen aus DDR-Zeiten, stünden die Reste eines alten Kirmesparks. Ab also aufs Fahrrad (im Fall der Punkerin wurde sich ein Motorrad „geborgt“) und im menschenleeren Brachland nach dem Park gesucht. Dieser wurde mittels GPS auch bald entdeckt. Eine überwuchterte Hecke an einem alten Zaun, ein abgeblättertes Eingangsschild, der höchste Punkt der Achterbahn und ein falscher Burgturm des Grillstandes wiesen von außen auf die Ruine hin. Eingerahmt war das Areal von einem Unkraut übersäten Parkplatz und ein paar zugemauerten Fabrikhallen, bei denen selbst die Graffities schon ausbleichten. Auch der Park selber bot keine Anzeichen, dass hier in jüngerer Zeit jemand gewesen war. Während der Sprayer seinen tag setzte und die Asiatin eine Fotoreihe begann, umrundete der Nerd den mit Brombeeren bewachsenen Zaun auf der Suche nach einer Einstiegsstelle. Jene fand sich auf der Rückseite, in Form von Maschendraht und Kletten - Eine Seitenschneider-Aktion später stand die mit Kletten gespickte Gruppe auf dem Wirtschaftsareal des Parks, wo es neben Zirkuskäfigen mit Pferdeskeletten auch einen Wagen mit vergilbter Buchführung gab, der die Gerüchte bewies, der Park sei aus Geldnot aufgegeben worden. In den Papierstapeln fanden sich auch Hinweise, dass Mitarbeiter schlecht behandelt worden waren, außerdem wurde mehrfach ein Harlekin mit Namen Kuno erwähnt. Seine Hintergrundgeschichte zu erfahren war ob der Fülle an Stapeln jedoch unmöglich (und dramaturgisch einfach viel zu früh ;)) also begab man sich auf das Hauptgelände, während die Punkerin mit dem Hammer-Fetisch das tote Pferd zu Knochenmehl zerstampfte und die Asiatin davon Fotos schoss. Auf dem Parkgelände teilte sich die Gruppe dann schnell auf. Der Freeclimber bestieg mühelos die Stahlachterbahn, der Sprayer schmierte sich in einem alten Pommesstand mit Ketchup voll. Unsere Punkerfrau hatte den 15jährigen Nerd am Rockzipfel hängen, der sich aber nicht traute, ihr seine Gefühle zu gestehen. In den verwitterten Flyern die überall auf dem Boden lagen, fand sich sogar eine lesbare Karte: Irgendeiner fragte unseren kleinen Techniker, ob er nicht die Achterbahn wieder zum Fahren bringen kann. Der meinte natürlich energisch, dass es in diesem Park doch keinen Strom mehr gäbe. Mysteriös nur dass, wie auf sein Stichwort, die bunten Glühbirnen, die überall gespannt waren, kurz mit hörbarer Stromspannung aufleuchteten. Unser Teckie prüfte (und plünderte) darauf mehrere Stromkästen, in ihm wuchs die Erkenntnis dass hier etwas nicht stimmen konnte: Die Energieversorgung war seit Jahren tot, die Parkbeleuchtung jedoch erwachte mehr und mehr zum Leben. In etwa zeitgleich war der zweite Teil der Gruppe beschäftigt, ein seit 20 Jahren offenes Bierfass von seinem Zapfhahn zu lösen, scheiterte aber erst am Hebel und wurde dann fast von der explodierenden CO2-Flasche erwischt. Der Climber auf der Stahlachterbahn hatte grade erst sein Selfie gemacht, als er den Knall hörte und eine seltsame Gestalt in rotweiß gestreiften Hosen und mit wirrem grünblauen Haar auf dem Dach der Grillbude wahrnahm. Leider war er zu weit weg um Details zu sehen oder die anderen zu rufen, so kletterte er hinab und folgte dem Parcourläufer in das kaum noch stehende Zirkuszelt. Dieser hatte sich mehrere Minuten mit seinem Taschenmesser an der Plane und den Seilen abgemüht, war nun aber mit seiner Taschenlampe in das Innere vorgedrungen. Schnell bekam er das Gefühl beobachtet zu werden, eine unsichtbare Hand packte von hinten seine Schulter, doch er schob die Schuld dem nachkommenden Climber zu. Beide prügelten sich an diesem Abend noch mehrere Male, denn ein schlecht geworfener Böller den der Parcourläufer einstecken hatte, hätte den Climber auch fast als ersten Kill des Abends in der Geschichte von "Neverland" verewigt. Leider aber rollte er sich rechtzeitig davon. Nebst einem immer häufiger hörbaren schrillen Lachen, fand die Gruppe immer häufiger Jonglierzubehör an und in ihren Rucksäcken. Die Punkerin (die mit dem Hammer-Fetisch) schaffte es beim Hau-den-Lukas, die asiatische Fotografin mit der abgesprengten Glocke zu treffen, worauf diese unter sichtlichem Schwindelgefühl einen Albtraum durchlebte, in dem sie das Ziel eines treffsicheren Messerwerfers war. Das Pferdekarussell erwachte von selbst zum Leben und unsere Kiffer nutzten dies, untermalt von einer mehr als gruseligen Version eines Jahrmarktorgelliedes, für eine bekiffte Karusselfahrt aus. Wir brachen das Abenteuer trotz vieler herzhafter Lachsalven grob eine Stunde vor der Spielzeit ab, da unser Hauptorganisator durch den Tagesstress zu müde geworden war und die letzte Bahn noch geschafft werden wollte. Das Geheimnis hinter Kuno, dem gruseligen Jahrmarktsclown wird also die nächste Gruppe lüften müssen, unserer ersten Teeniegruppe gelang erfolgreich die vorzeitige Flucht. Auch mir hat es mehr als gut gefallen, meine anfängliche Angst, ob ich den alten Veteranen ein guter Spieleleiter sein würde, löste sich mit Beginn des Spiels in Wohlgefallen auf. Auch während des Spiels kamen durch die Spieler so viele Vorlagen und neue Möglichkeiten, dass es das Abenteuer im Nachhinein nochmal deutlich mit Möglichkeiten angereichert hat. Spätestens zur "HallunkenCon" darf also die nächste Crew von Teenagern ihre ganz persönliche Horrorkomödie erleben. Dann biete ich nicht nur das am GRT erlebte Abenteuer, sondern auch ein völlig neues an!
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