Ich bin wohl eigentlich zu alt für Jugendliteratur, aber der Roman „Die Kinder der Kirschblüte“ von Cardo Polar (Künstlername? So heißt doch keiner in echt?) klang von der Grundidee her ganz interessant und die KritikerInnen (vor allem Kritikerinnen :-P) waren durchweg begeistert. Und deutschen Autorennachwuchs ein wenig bekannter zu machen kann ja nie verkehrt sein :-)
Die Handlung klingt im ersten Moment sehr typisch für ein Fantasy-Jugendbuch: Hanna ist eine gemobbte Einzelgängerin, die im Verlauf der Geschichte ihre magischen Kräfte entdeckt und ein Abenteuer gegen dunkle Mächte bestehen muss – Ja, das Grundprinzip kennen wir so auch aus „Harry Potter“ und vielen anderen Jugendbüchern. Doch Cardo Polar (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zukommen ließ) erfindet mit Hanna eine erfrischend ungewöhnliche Protagonistin, die eben nicht einfach nur ein 0815-Aschenputtel mit Heldinnen-Potential ist. Nein, Hanna ist anders, düsterer: Eine sich ritzende, kluge Depri-Emo-Teenagerin, die sich in einem geheimen Internet-Forum mit ihren depressiven und welthassenden Online-Emo-Freunden austauscht. Irgendwann kommt diese Online-Clique dann auf die Idee, eine geheime Rache-Gruppe zu gründen, um sich an den ganzen schlechten Menschen da draußen zu rächen. Doch schon die erste Aktion geht schief, und aus einem harmlosen Streich wird tödlicher Ernst...
Ich will jetzt gar nicht mal so viel spoilern, denn bis hierher sind kaum 40 der 156 Seiten des Taschenbuchs vergangen. Nur soviel: Danach wird es noch abgedrehter! Hanna entdeckt ihre Zauberkräfte, die „Terrorzelle“ fliegt auf und plötzlich wird Hanna nicht nur von der Polizei gejagt, sondern auch noch von geheimen Zauberorden. Ein wenig traurige Liebe für die jugendlichen Leser gibt es natürlich auch ;-) Damit sind aber nur geschätzt zwei Drittel der Handlung erzählt. Für ein weiteres Drittel des Buches macht die Geschichte einen Zeitsprung ans Ende des 19. Jahrhunderts. Dort lernen wir mit dem jungen Mädchen Sarah die zweite Hauptfigur kennen, ebenfalls eine eher stille Einzelgängerin und ebenfalls magisch begabt. Hier muss ich für meine weitere Kritik leider ein wenig spoilern: Sie kann richtig hart ausrasten, erleidet zwei große Schicksalsschläge und wird lesbisch. Und das war es im Prinzip dann auch mit der Handlung rund um Sarah – Man merkt, hier wird schon vorgebaut für die weiteren Teile der Trilogie, aber diese scheinbar willkürlich eingeworfenen Kapitel unterbrechen die Haupthandlung, ja bremsen sie gar ein wenig aus, und bieten rein für diesen Teil „Die Kinder erwachen“ keinen Mehrwert. Ich persönlich hätte die Sarah-Abschnitte lieber weggelassen und in einem eigenen Buch komplett erzählt (“Kirschblüten Origins“ oder „Kirschblüten Begins“ ;-)) und dafür den vorhandenen Platz zur weiteren Ausarbeitung der Hanna-Geschichte verwendet.
Die Geschichte wird mit einer schnellen, direkten Sprache erzählt. Der Schreibstil ist fast schon als treibend zu bezeichnend, was mir nach einer kurzen Eingewöhnung sehr gefallen hat. Selten hält sich der Autor mit genauen Detailbeschreibungen auf, hier folgt in rascher Abfolge Ereignis auf Ereignis. Einerseits ist dies für das Leseerlebnis sehr gut, da nie Langeweile aufkommt. Andererseits tritt so natürlich eine detaillierte Figurenzeichnung in den Hintergrund. Hanna ist eigentlich ganz gut beschrieben und nachvollziehbar, aber bereits Sarah als zweite Hauptfigur bleibt blass. Die Nebenfiguren sind eigentlich auch nicht mehr als Statisten und Stichwortgeber – Klar, jetzt wird der Deutsch-Leistungskurs aufschreien „aber es ist doch eine personale Erzählsituation!!!111einself“ :-P Ja, ich verstehe schon, aber doch wären die Handlungen der Nebenfiguren nachvollziehbarer wenn man mehr über sie wüsste. Achtung massiver Spoiler: Warum wird beispielsweise die wichtige Nebenfigur Sven plötzlich vom „wir machen harmlose Rache-Scherze“-Love Interest buchstäblich über Nacht zum „Ich spreng mich mit ner Handgranate in die Luft“-Terroristen?
Fazit: „Die Kinder der Kirschblüte“ ist trotz depressiver Emo-Protagonisten knallige Fantasy-Action. Dies macht das Jugendbuch dann aber insgesamt betrachtet wirklich gut, hier geht die spannende Handlung wirklich rasant vorwärts. Der Schreibstil hat mir gut gefallen, auch das Lektorat hat gut gearbeitet. Es passiert wirklich selten, aber dieses Buch musste ich einfach in einem Rutsch durchlesen :-) Gerade auch angesichts des günstigen Preises von 5,49 € für das Taschenbuch beziehungsweise 0,99 € für die digitale Variante kann ich trotz der Schwächen eine Kaufempfehlung für (jugendliche) Fantasy- und Actionfans aussprechen. Gerundet 3,6 von 5 beziehungsweise 73 %. Ich bin wirklich gespannt auf die Fortsetzung!
PS: Es hat nirgendwo in den Text gepasst, daher hier als letzte Worte: Ein sehr schönes Titelbild! Mehr zum Buch kann man auf der offiziellen Webseite (Link) nachlesen, von der ich auch die Bilder (Link) habe.