Rollenspiele für Kinder erfreuen sich nicht erst seit der Corona-Zeit einer wachsenden Beliebtheit, auch wenn erst die Pandemie damals den absoluten Durchbruch für diese oft spielmechanisch vereinfachten und familienfreundlich gestalteten Regelwerke brachte. Dabei nimmt die spielerische Bandbreite an Produkten selbst innerhalb dieser Rollenspiel-Unterkategorie immer weiter zu, mittlerweile kann man schon für Kindergartenkinder designte Regelwerke erwerben. Und wenn sie dann erst einmal angefixt sind und vielleicht dank der Grundschule schon lesen können, gibt es quasi unerschöpfliche Möglichkeiten – Was es wiederum für die einzelnen Verlage schwieriger macht, ihre jeweiligen Produkte an das Kind (beziehungsweise die Eltern, denn die müssen es ja bezahlen 😉) zu bringen. Mal schauen, wie sich hier Tabitha Urban mit „Weltenschleier“ so schlägt...
 

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Tabitha Urban (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) kennen die meisten süddeutschen Rollenspiel-Fans vermutlich durch ihr Erstlingswerk „MILAN“ (Link), in welchem sie gemeinsam mit ihrer Schwester ein sich über viele Jahrhunderte hinwegstreckendes Powergaming-Geheimorganisationsthriller-Regelwerk präsentierte. Und so nischig das System auch ist, im süddeutschen Raum ist es ungemein populär, was zahllose in Minuten ausgebuchte Demo-Runden auf so ziemlich jeder Convention immer wieder beweisen. Aber wie ich in meiner Rezension damals schrieb, hatte die lange Entwicklungszeit des Systems einige Spuren hinterlassen, weshalb ich nun umso gespannter war, ob dies bei „Weltenschleier“ auch so sein würde... Also gehen wir mal direkt rein!
 

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Der titelgebende Weltenschleier trennt in diesem Kinderrollenspiel, welches laut Tabitha ungefähr ab 9 Jahren geeignet ist (auch wenn sie es in Demo-Runden schon mit deutlich jüngeren Kindern erfolgreich gespielt hat), unsere „reale“ Welt von der magischen Märchenwelt. Diese Barriere ist nicht so undurchlässig, wie es die Märchenwesen gerne hätten, aber eigentlich haben sie ganz andere Probleme. Denn während im Zauberland all die coolen und mitunter klischeehaften Fantasy-Wesen leben (alle spielbaren Völker, von Elfen, Feen und Zwergen bis hin zu Einhörnern), werden die benachbarten Düsterlande von allerlei NSC-Bösewichten wie Trollen, Vampiren und Irrlichtern bewohnt. Konflikte bleiben da natürlich nicht aus, weshalb es tüchtige Heldinnen und Helden braucht. Die Erschaffung geht dabei selbst für Grundschulkinder ziemlich einfach, da der Charakterbogen quasi selbsterklärend ist. Spielmechanisch relevant sind dabei die drei Attribute Stärke, Geschicklichkeit & Intelligenz (werden mit W20 unterwürfelt) sowie die jedem Volk zugehörigen Eigenschaften (eine passive und zwei aktive Zauberkräfte sowie eine Schwäche). 
 

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Einige Designentscheidungen sorgen allerdings dafür, dass sich „Weltenschleier“ für absolute Neulinge – trotz zahlreicher Beispiele – etwas komplizierter gestaltet, als es eigentlich sein müsste. So darf man mitunter etwas rechnen (Trefferschaden = Grundschaden plus abgerundeter Hälfte der Stärke plus Situationsvariable), zudem sind manche Spielaspekte (z.B. Menge der Ausrüstung, wesenspezifische Erschwernisse) und Zauberkräfte darauf ausgelegt, dass die Spielleitung ohne feste Vorgabe handwedlerisch entscheidet. Das ist alles kein Weltuntergang, wirklich nicht, aber selten hatte ich bei einem Kinderrollenspiel so oft den Gedanken, dass hier Hobby-erfahrene Eltern/Verwandte für den Nachwuchs leiten müssen, weil für Neulinge zu viele Fragen offen bleiben. Diese (bewussten?) Lücken bieten dann aber auch den Vorteil, dass „Weltenschleier“ angenehm schmal ausfällt. Obschon das mit einem Lesebändchen ausgestattete Hardcover vor allem aus Texten besteht, lesen sich die 60 Seiten doch überraschend schnell weg. Auch, weil hier trotz oft bekannter Aspekte im Weltenbau einige nette Einfälle zu finden sind, die durchaus Bock darauf machen, den Nachwuchs mal für eine Proberunde an den Tisch zu holen. Beispielsweise mit dem enthaltenen Einstiegsabenteuer rund um einen Vergessenstrank und „Echtwelt-Touristen“, das zwar für meinen Geschmack trotz seiner Linearität etwas zu chaotisch ist, welches dafür aber sehr viele Aspekte des „Weltenschleier“-Settings abdeckt und gerade neugierige Kinder zweifelsohne unterhalten wird.
 

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Fazit: „Weltenschleier“ ist ein sympathisch daherkommendes, hübsch anzuschauendes und flott zu lesendes Kinderrollenspiel. Das „altbekannte“ Fantasy/Märchen-Setting erleichtert das Zurechtfinden für alle Altersstufen, einige Designentscheidungen erfordern aber, dass hier eine erfahrenere Spielleitung handwedlerisch spielmechanische Lücken füllt. Aber das sollte für die meisten „Rollenspiel-Eltern“ ja kein Problem sein, daher guckt euch sehr gern mal dieses tolle Indie-Projekt an 🙂