Wie viel Pech kann man eigentlich bei der Spieleentwicklung haben? Da erschafft man mühselig über viele Jahre ein Tabletopregelwerk, bastelt an hübschen Modellen und denkt sich eine passende Hintergrundgeschichte aus – Plötzlich ist Corona da und der „2020 kommt das Killervirus“-Storytwist gilt fälschlicherweise als billige Marketingmasche. Und mit so viel Pech (oder prophetischer Gabe) geht es weiter, denn dann bastelt man eine Kampagne über die „Mütterchen Russland“-Fraktion, welche gegen die Vereinten Europäer einen Winterkrieg vom Zaun bricht (daher auch der Titel dieser Erweiterung), und dann kommt auch dieses Buch genau dann auf den Markt, als das realweltliche Russland wirklich einen Angriffskrieg führt... Ich hab langsam Angst davor, welche dann wirklich so passierende Story sich „All that's left“-Chefentwickler Franz Steffl für die nächste Erweiterung ausdenkt :-P Aber um die Zukunft soll es nicht gehen, sondern um den kürzlich erschienen ersten Erweiterungsband. Dieser führt den russischen Winter mit dazu passenden Sonderregeln in das post-apokalyptische Survival-Tabletop (Link) aus Deutschland ein, welches sich in meinem Bekanntenkreis den Ruf als Geheimtipp für Story-Skirmishs erworben hat! Zur Erinnerung: Da kamen 2020 friedliche Aliens, die dummerweise einen tödlichen Virus dabei hatten, welcher die altbekannte Welt mal so richtig umgekrempelt hat. 60 Jahre später gibt es in Europa nur noch vier verbliebene und insgesamt sehr kleine Machtfraktionen, die primär damit beschäftigt sind, dass sie nicht von Zombies aufgefressen werden ;-) Eine dieser Fraktionen war „Mütterchen Russland“, welche vor allem billiges Kanonenfutter an der Front verheizt – Klingt ziemlich nah an der Gegenwart, oder? Das dachte sich auch Franz Steffl, sodass die Fraktion ein Rebranding als „Die Erben des Zaren“ bekam. Spielerisch bleibt nahezu alles beim Alten, aber die Hintergrundgeschichte wurde angepasst. Eine mutige Entscheidung, welche die Fraktion mit ihrem sozialen Dreiklassensystem in meinen Augen aber spannender macht. Von ihr erfährt man, auch durch die storygetriebene „Winter Warfare“-Kampagne (in welcher sich „Die Erben des Zaren“ und „Die Vereinigten Staaten von Island“ über sechs Missionen hinweg um den letzten verbliebenen Atomsprengkopf streiten), eine ganze Menge – Ich würde mich freuen, wenn auf die anderen Fraktionen in künftigen Erweiterungen auch tiefer eingegangen wird. Passend dazu gibt es jetzt Helden, welche besonders gute Kampfwerte & Fähigkeiten besitzen. Leider nur drei Stück und, bis auf einen Söldner, nur für die beiden Fraktionen der Kampagne. Hier darf ebenfalls gern nachgebessert werden, idealerweise (wenn ich mir was wünschen dürfte) sogar mit mehreren Wahlmöglichkeiten je Fraktion. Außerdem gibt es u.a. interessante Winter-Regeln (Kälte ist schlecht und Eis ist dünn, sodass der Kampf innerhalb von „warmen“ Gebäuden bedeutsamer wird), neue Ausrüstung (z.B. Nachtsichtgeräte, denn es gibt jetzt auch Nacht-Regeln), neue Monster und eben die neue Kampagne. Diese ist sehr erzählerisch aus der Sicht des Zaren-Helden Terrenski geschrieben und bietet sechs abwechslungsreiche Szenarien, sowohl bezogen auf die Art der Missionen als auch das Terrain. Beispielsweise die Flucht innerhalb eines Zeitlimits aus einer heiß umkämpften Plattenbau-Stadt und eine Zombie- & Monsterjagd innerhalb eines dichten Waldes. Im Vergleich zur Kampagne des Grundregelwerks hat mich hier aber etwas enttäuscht, dass das Erreichen der Nebenziele diesmal fast nie einen spielerischen Vorteil bietet. Das ist verschenktes Potential, gerade bei einem Story-Skirmisher :-( Zudem war der Aufbau & Ablauf einiger Missionen etwas schwammig formuliert, woran vielleicht auch kleinere Lektoratsfehler (z.B. mitunter abwechselnde Verwendung von Zentimeter & Zoll) liegen könnten. Deren Anzahl war für ein kleines Nischen-Indieprojekt nicht dramatisch, aber dafür, dass vier Personen korrigiert & lektoriert haben, doch merkbar. Da will ich aber mal nicht päpstlicher sein als der Papst ;-) Tabletop-Fans, welche lieber Story-Missionen spielen anstatt Turnier-Deathmatches, werden hier trotzdem viel Spaß haben und gern auch die 22,50 € zahlen, welche „hf wargaming“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) für das 104 Seiten dicke Softcover haben möchte. Fazit: „All that's left: Winter Warfare“ (Link) ist eine überaus konsequente Erweiterung des deutschen Survival-Tabletops, denn sie bietet eine gut erzählte Kampagne und die dafür passenden Regelerweiterungen. Weiter so! :-D