Der „Mantikore Verlag“ ist ja eigentlich dafür bekannt, dass er uns mit allerlei Solo-Spielbüchern versorgt und manchmal auch mit Klassikern der Phantastik-Literatur. Da passt ein Tabletop eigentlich eher weniger ins Portfolio – Aber schon auf der letzten „MantiCon“ konnte ich aus dem Verlagsumfeld hören, dass eine deutsche „Gaslands“-Ausgabe ein absolutes Herzensprojekt wäre. Nachvollziehbarerweise, denn das Setting ist cool und die internationalen Rezensionen überschlagen sich vor Lob. Na mal schauen, ob ich das nach der Regellektüre und einem kurzen Testspiel auch werde… „Gaslands“ ist ein Tabletop, daher sozusagen ein Brettspiel ohne Brett ;-) Man verschiebt kleine Modellautos nach den auf 216 Seiten vorgegebenen Regeln auf einem Tisch umher, wobei man Modellbaulandschaften oder auch einfach nur ein paar Pfeffer- & Salzstreuer als Hindernisse verwendet. Tja, so simpel ist das :-D Die Hintergrundgeschichte ist dabei, trotz einer narrativen Kurzkampagne und der Möglichkeit eines Ligasystems, eher rudimentär: Der glücklichere Teil der Menschheit hat sich auf dem Mars niedergelassen, der Rest kämpft auf der kaputten Erde ums Überleben. Dabei werden die marsianischen Massen mit einer ganz besonderen TV-Show unterhalten: „Gaslands“! Todesrennen, bei denen sich schwer bewaffnete Fahrzeuge (normalerweise Motorräder, Personen- & Lastkraftwagen; gelegentlich auch Panzer und Helikopter) gegenseitig von der Strecke rammen, damit der/die letzte Überlebende als Preis auf den Mars emigrieren kann… Okay, das ist zwar nicht innovativ (um solche Todesrennen gibt es beispielsweise einige überraschend gute B-Movies), aber cool ist es trotzdem – Und letztlich geht es ja eh nur darum, ob man seinen Spaß daran hat. Und ich behaupte einfach mal: Ja! Das grundlegende Spielkonzept ist recht eingängig: Geschwindigkeit ist alles! In jeder Runde durchläuft man die Schaltphasen von 1 – 6, wobei schnellere, aber dafür fragilere Fahrzeuge wie Sportwagen natürlich höher schalten können als ein schwerfälliger, aber stabiler LKW. Im Uhrzeigersinn wird dann jedes Fahrzeug mit dem entsprechenden Rundengang oder höher aktiviert, angefangen bei der Pole-Position. Dieses Fahrzeug „steuert“ man dann mittels der Fahrschablonen (wer das enorm populäre Tabletop „X-Wing“ kennt, wird das Konzept wiedererkennen), wobei man irgendwelchen Hindernissen lieber ausweichen sollte, während das Wegrammen von gegnerischen Fahrzeugen eine valide Option ist ;-) Mittels Schleuderwürfeln, die wie im gesamten Spielsystem aus W6 bestehen, kann man seine Fahrt dabei modifizieren (z.B. Gang schalten, Driften oder eben Schleudern). Das ist aber natürlich gefährlich, sodass man Gefahrenmarker bekommt, welche am Rundenende zu einem Zurücksetzen in den 1. Gang und schlimmstenfalls zum Überschlag führen können. Natürlich kann man bei einem Todesrennen auch Tode verursachen ;-) Dazu kann man sein Fahrzeuge mit allerlei tödlichen Waffen ausrüsten (vom Co-Piloten, der Molotowcocktails und Gasgranaten wirft, über schwere Gatling-Guns und Flammenwerfer bis hin zum Todesstrahl sind die Möglichkeiten enorm), welche nach Prüfung des Feuerwinkels und der Waffenreichweite mit einer einfachen Angriffsprobe (1W6 mit Zielwert 4+ und manchmal Modifikatoren gegen 1W6-Ausweichprobe auf 6+) abgefeuert werden. Die zahlreichen Waffen- und Ausrüstungsoptionen machen dann auch den besonderen Reiz des Spiels aus: Es macht einfach unendlich viel Spaß sich den perfekten Kampfrennwagen zusammenzubasteln – Gerade im Rahmen einer Liga, wenn man nach jedem Rennen immer neue Benzinkanister (= Ausrüstungspunkte) bekommt und damit sein Fahrzeug für die kommenden Rennstrecken/Spielmodi vorbereiten muss. Dabei kann man sich auch einem der 13 Sponsoren verpflichten, welche jeweils bestimmte Vorteile und Sonderregeln mitbringen. Wobei Sonderregeln auch schon ein gutes Stichwort sind, denn nach halbwegs überschaubaren Grundregeln auf rund zwei Dutzend Seiten kommen nochmal gut einhundert Seiten mit Regeln für Fortgeschrittene und dem Team- & Fahrzeugbau. Den Rest des stabil gedruckten Hardcovers machen dann die verschiedenen Szenarien, Ligaregeln und die kurze Erzählkampagne aus. Letztlich ist „Gaslands“ also kein Mammutwerk, das man nicht irgendwie bewerkstelligen könnte – Was ich zu Beginn nicht gedacht hätte, denn das recht unspektakuläre Layout (Blocksatz, wenige Hervorhebungen, nüchterne Tabellen… generell alles sehr nüchtern, trotz einiger Fotos & Zeichnungen) überschlug mich anfangs mit Informationen. Man merkt halt, dass hier (sowohl von Seiten des „Mantikore Verlags“, der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte, als auch von Seiten des US-Verlags „Osprey Games“) kein riesiges Budget für die optische Präsentation zur Verfügung stand. Aber das ist okay, hier kommt es auf die inneren Werte an, und die sind (spätestens, wenn man mal ein paar Runden gefahren ist) definitiv vorhanden. Wenn man bedenkt, dass man mit diesem mit 24,95 € bepreisten Regelwerk, ein paar Euros für Modellautos und etwas Kopierpapier für die Schablonen (absoluter Pro-Tipp: Klebt das Papier auf Pappe, Kopierpapier ist einfach zu labbrig) ein vollwertiges Tabletop hat, dass dank dem durchdachten Ligasystem viele Spielabende viel Freude bereiten wird, dann geht die Preis-/Leistung völlig in Ordnung. Fazit: Das Regelwerk von „Gaslands“ (Link) sieht auf den ersten Blick sehr unspektakulär aus und man wirkt etwas von den Regeln erschlagen. Aber es ist dann doch die große Liebe auf den zweiten Blick. Die internationalen Lobeshymnen sind gerechtfertigt: Empfehlenswert!