Ich schreibe es ja immer wieder, aber damit es auch die letzten LeserInnen mal gehört haben: Der „Splitter Verlag“ macht, getreu seinem Werbeslogan, ganz tolle Comics für Erwachsene. Und zwar allermeistens nicht im Sinne von Sex & Gewalt, sondern im Sinne von ernsten, erwachsenen Themen. Das Erleben von männlich (z.B. „Die Erektion 1 & 2“ (Link)) und weiblich (z.B. „7 Frauen“ (Link)) gelesenen Personen hat im Verlagsprogramm schon lange seinen festen Platz. Mit der auf einer wahren Geschichte basierenden Comic-Biografie „Nennt mich Nathan“ hält nun das Erleben von Transpersonen seinen Platz im weitläufigen Portfolio des Verlags.
Bevor die Rezension beginnt, hier noch schnell eine Trigger-Warnung: Das Foto am unteren Ende des Textes zeigt selbstverletzendes Verhalten!
Die von Cathrerine Castro geschriebene Comic-Biografie erzählt die Geschichte des Jugendlichen Nathan. Der hieß früher mal Lila, war aber von seinem Verhalten und seinem Selbstverständnis her schon immer eher ein Junge. Als sich im Zuge der Pubertät jedoch die ersten weiblichen Rundungen bilden, kann Lila seine bisherige, weibliche Identität nicht mehr akzeptieren. Doch es ist ein langer und schwieriger Kampf, den er mit ihrer Familie und der Gesellschaft, aber auch sich selbst, ausfechten muss, bevor er endlich als Nathan akzeptiert wird... Und um genau diesen langwierigen Kampf dreht sich diese 144 Seiten umfassende Geschichte, welche aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Hauptsächlich natürlich aus der Sicht von Nathan, aber in vereinzelten Szenen kommen auch Familienmitglieder zu Wort. Diese Perspektivwechsel gehen leider so nahtlos ineinander über, dass man als LeserIn nicht immer sofort bemerkt, wer da eigentlich gerade spricht. Aber man wird hier zum Glück nicht aus dem Lesefluss herausgerissen, hat man bis dahin doch schon bemerkt, dass diese Biografie jeweils in mal mehr, mal minder kurzen Episoden-Schnipseln erzählt wird. Diese thematisieren dabei den Weg von Lila zu Nathan in all seinen Aspekten: Von Nathans Erkennen seiner wahren Identität über sein Outing und die Reaktionen des Umfelds bis hin zur medizinischen und rechtlichen Anpassung werden die verschiedensten Aspekte der Nathan-Werdung abgehandelt. Das liest sich für einen alten weißen cis Hetero-Mann wie mich ziemlich interessant und lehrreich – Allein dafür gibt es von mir schon vor dem Fazit eine offizielle Leseempfehlung :-) Trotzdessen muss ich aber darauf hinweisen, dass hier eine Happyend-Idealgeschichte erzählt wird, die weitestgehend konfliktfrei bleibt: Gerade das Umfeld geht fast schon karikaturhaft liberal mit Nathans Entscheidung um. In der Schule ist es quasi das höchste der Gefühle, wenn es mal Stress gibt, weil Nathan ein Mädel klarmacht, dass eigentlich ein Mitschüler abschleppen wollte. Und auch von seinen Eltern gibt es die volle Unterstützung – Ja, sie weinen auch mal. Aber nur, weil Nathan in seiner Identitätskrise, gepaart mit einer heftigen Pubertät, quasi permanent im (Selbst-)Hass-Modus ist. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie diese Geschichte verlaufen wäre, wenn sie nicht in einer urbanen Metropole spielen würde, sondern in einem erzkatholischen Bergdorf oder in einem von Machokultur geprägten Problemviertel... Aber das würde vielleicht den Rahmen des Comics sprengen? Immerhin, so kann sich die Geschichte vollkommen auf Nathans innere Konflikte fokussieren. Gerade seine problematische Beziehung zu seinem Körper wird ungemein plastisch und nachvollziehbar dargestellt. Ein Lob muss hier an den Zeichner Quentin Zuttion gehen, welcher das Erleben, das nicht in Worte gefasst werden kann, in zwar einfachen, aber teils bedrückenden und drastischen Illustrationen ausdrückt. Dazu passend hat der „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) die Geschichte in einem hochwertigen Hardcover publiziert, welches 144 Seiten umfasst und 22 € kostet.
Fazit: Die Biografie „Nennt mich Nathan“ (Link) ist ein eindrucksvoller Transgender-Comic, der sich vollkommen auf den inneren Konflikt des Protagonisten konzentriert und dabei, dank des liberalen Umfelds, eine Happyend-Idealgeschichte bietet. Für nicht-trans LeserInnen ist dieser Comic aber ungemein lehrreich, sodass ich hier gerne eine Leseempfehlung ausspreche.