Na wenn sich da nicht zwei gefunden haben, die zusammengehören: Swen Harder, einer der erfolgreichsten Autoren für Solo-Rollenspielbücher (sein sehr gutes und sehr umfangreiches Mammutwerk „Reiter der schwarzen Sonne“ bekommt gefühlt jedes halbe Jahr eine neue Auflage, weil es sich so gut verkauft :-)) und der „Mantikore Verlag“ als, man möchte es fast schon scherzhaft so bezeichnen, Solo-Rollenspielbuch-Monopolist. Wahrscheinlich war es dann auch nur in genau dieser Kombination möglich, solch ein experimentelles Spielbuch auf den Markt zu bringen. In „Metal Heroes“ werden keine Drachen in Verliesen erschlagen, sondern eine Gruppe Hobbymusiker zu Weltruhm (und anschließender Weltrettung) geführt. Spielerisch steht dann auch eher wenig klassisches Looten & Leveln auf dem Programm, als vielmehr das Erleben einer spannenden, atmosphärischen Geschichte.
Treffen sich ein rebellischer Sohn aus gutem Hause, ein sexistischer Playboy, ein Blinder mit magischer Synästhesie und ein alkoholabhängiger Asiate in einer Garage... Was wie der Beginn eines schlechten Witz klingt, ist stattdessen die Grundkonstellation der spannenden Geschichte rund um die Mischmasch-Metalband „Metal Heroes“. In allen möglichen Stilrichtungen bewandert, von Death über Trash und Nu bis hin zu Symphonic, kämpfen sie sich langsam aus ihrer Garage heraus, um später weltweite Touren zu veranstalten, wichtige Musikpreise zu erhalten und massenhaft Geld zu scheffeln ;-) OK, das versuchen sicher alle Hinterhof-Bands, warum aber sind die „Metal Heroes“ damit so erfolgreich? Schuld daran ist der Spieler, der als frischgebackener, kommissarischer Metal-Gott Taylor die Aufgabe erhält diese Musiker zu Ruhm zu führen, damit sie letztendlich gegen den Metal-Teufel antreten können... Ja, nach einer bodenständigen ersten Hälfte wird es wirklich immer abgedrehter :-D Aber die Geschichte motiviert durchgehend und enthält alles, was man von einer (lt. Verlag) Rock-Comedy erwartet: Schmierige Manager, Liebe, Alkoholexzesse, Egotrips, Gewalt, Rock-Legenden, Playboy-Parties, Woodstock und natürlich Sex, Drugs & Rock'n'Roll! Man merkt, der Autor hat eine gewisse Affinität zur Szene :-)
Am Anfang werden da aber noch kleine Brötchen gebacken: Die Organisation der ersten Auftritte ist recht mühsam für eine mittellose, unbekannte Band. Die erste CD-Aufnahme beispielsweise muss über einen Musik-Wettbewerb gewonnen werden, dann wird auch noch das Equipment geklaut und ein Gründungsmitglied wird schweren Herzens rausgeworfen. Langsam jedoch, durch den göttlichen Einfluss des Spielers, wendet sich das Blatt: Nach den ersten erfolgreichen Auftritten und später Touren wird die Anhängerschaft immer größer, was neue Probleme mit sich bringt: Beispielsweise ebenso minderjährige wie notgeile Groupies, die auf jeden Fehler lauernde Presse und durchgeknallte Saboteure. Aber der Ruhm hat auch Vorteile: So werden etwa neue Freundschaften mit anderen Bands geschlossen, welche der Gruppe dann neue Stilrichtungen beibringen, man bekommt einen eigenen Manager, einen Roadie und Gastsängerinnen. Dabei entscheidet man nicht direkt für die Band, sondern nutzt seine göttlichen Einfluss um sie etwa in bestimmten Situationen zu bestärken oder auch ihr Gegenüber zu manipulieren. Allerdings sollte man es mit der Einflussnahme nicht übertreiben, da dies einerseits Punkte kostet, andererseits aber auch teilweise zu unerwünschten Ergebnissen führen kann.
Womit wir beim Thema Punkten sind. Punkte zum An- oder Abstreichen gibt es im Spiel immer mal wieder, ganz regulär sind das Taylors Einfluss, Songpunkte (um neue Songs freizuschalten), Fanbase und die Bandchemie. Des weiteren muss man in einigen speziellen Situationen auch Strichlisten (eigentlich Punkte zum Ausmalen) verwenden, beispielsweise beim Videodreh (je mehr Punkte, umso besser das Video) oder auch bei einem Diebstahl (aber ich verrate nicht, wer hier was klaut ;-)). Darüber hinaus verfügt jedes Bandmitglied über vier verbesserbare Charakterwerte, als eine Art Lebenspunkte fungierende Sicherungen und ein eigenes Inventar... Das klingt jetzt alles nach einer ganzen Menge Mikromanagement, aber da kann ich den Leser beruhigen: Erstens kommen solche Steigerungen bzw. Senkungen verhältnismäßig selten vor (ausgenommen bei speziellen Situationen, etwa beim Videodreh, wo sich natürlich die gesamte Handlung darum dreht dass man Punkte kriegt um es gut zu machen). Zweitens gibt es an den betreffenden Stellen immer Hinweise, was man wie wo eintragen muss. So schwierig ist dieses Mikromanagement also nicht...
Womit wir beim Schwierigkeitsgrad des Spielbuches sind (was für eine grandiose Überleitung :-P). Zu Spielbeginn kann man zwischen drei Stufen wählen (Pussy, Rocker, Freak), welche den Umfang der benötigten Spielregeln bestimmen und die Komplexität von Proben und Mikromanagement. In der einfachsten Variante muss man kaum mehr als ein bissel Inventarverwaltung sowie ein paar W6-Würfelproben absolvieren, im schlimmsten Fall noch ne Karte aus einem Pokerblatt ziehen (oder zufällig die richtige Seite aufschlagen wenn man keines hat, denn auf den Buchseiten sind Würfel und Karten abgedruckt). In der höchsten Stufe ufern die Regeln dagegen soweit aus, dass selbst die 40 Musikstücke, welche man im Verlauf seiner Karriere lernen kann, noch Regeln haben und aufgewertet werden können... Aber ich hab alle drei Schwierigkeitsgrade ausgetestet und muss sagen, dass sie allesamt fair sind und Spaß machen.
Ein besonderes Highlight des Buches sind die musikalischen Wettstreite, welche man sich wie einen Kampf gegen das Publikum vorstellen muss ;-) Ziel ist es, am Ende einen möglichst hohen Gig-Score zu erhalten, dies bringt kleine Belohnungen wie neue Fans. Entsprechend ist es auch nicht das Spielende, wenn mal ein Auftritt verkackt wird. Zu Beginn des Auftritts wählt man bis zu 18 Songs aus seinem Repertoire und positioniert sie in seiner Setlist. Dabei ist zu beachten, dass manche Positionen spezielle Eigenschaften haben, etwa die Bandchemie erhöhen oder eine Probenwiederholung erlauben. Außerdem kann es sein, dass man durch Ziehen einer Karte nur bestimmte Songs für die Endwertung des Gig-Scores nutzen darf. Die relevanten Songs werden dann einem Performance-Check unterzogen, bei dem der Songleader gegen seine jeweils schwächste der benötigten Fähigkeiten würfelt. Ist dies gelungen, gibt es Performance-Punkte, welche sich aus dem Fame und dem Anspruch des Songs zusammensetzen. Der endgültige Gig-Score errechnet sich dann aus den Performance-Punkten ab-/zuzüglich eventueller Modifikatoren.
Klingt ein wenig kompliziert? Eigentlich nicht, aber ich musste die Regeltexte doch erst dreimal lesen um mein Konzert korrekt zu bestreiten ;-) Die Texte sind übrigens sehr gut und atmosphärisch geschrieben, mit szenetypischem Sprachgebrauch. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger „Reiter der Schwarzen Sonne“ ist es Swen zudem gelungen, die meisten Übergänge der einzelnen Abschnitte weniger abrupt wirken zu lassen. Super :-) Ebenfalls super sind die stylischen Illustrationen von FuFu Frauenwahl – Bitte, mal einen „Metal Heroes“-Comic! Das umfangreiche Taschenbuch (ca. 800 Seiten mit 1300 Abschnitten) zeichnet sich durch gutes Layout und Lektorat aus und wurde in gewohnter Qualität vom „Mantikore Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) gedruckt und natürlich auch wieder ein einer fetten Sonderedition im Sammelschuber (Link) veröffentlicht mit Würfeln, Poker-Karten, CD-Box und Eintrittskarten-Lesezeichen. Für 24,95 € definitiv einen Blick wert. Die „normale“ Edition kostet 19,95 € und enthält immerhin noch die Metal-CD, welche nicht einfach nur eine nette Dreingabe ist, sondern essentiell für das Spiel. Einerseits natürlich zur Atmosphäre-Verstärkung. Andererseits aber auch, weil man im Rahmen der CD kleinere Aufgaben lösen muss, beispielsweise beim Anhören herausfinden welche Songzeile der Sänger falsch singt oder welches Geräusch an einer bestimmten Stelle zu hören ist - Eine weitere interessante Idee in einem Spielbuch, was nur so vor kreativen Ideen und Musiker-Insiderwitzen strotzt. Danke Swen!
Fazit: Ich fand ja schon den unfassbar erfolgreichen Vorgänger „Reiter der schwarzen Sonne“ echt gut, aber mit „Metal Heroes“ (Link) haben sich sowohl Autor Swen Harder als auch Illustrator FuFu Frauenwahl übertroffen. Wobei ich anmerken möchte, dass dieses Buch eigentlich nicht mit Solo-Rollenspielbüchern wie Platzhirsch „Destiny Quest“ vergleichbar ist, sondern eher schon ein neues Genre wie „Spielbares Romanerlebnis“ oder etwas in diese Richtung etabliert. Da Swen aus der Videospielbranche kommt, möchte ich daher mal diesen Vergleich ziehen: „Metal Heroes“ ist weniger ein Rollenspiel als vielmehr ein "Telltale"-Adventure (Link): Eine sehr gute, aber lineare Story mit recht leichtgängigem Gameplay, eingebettet in viele spannende Ideen und großartiger Atmosphäre. Im Endeffekt ein herausragendes Erlebnis, für das ich auch als Nicht-Metal-Fan eine unbedingte Kaufempfehlung aussprechen möchte!