Markus Gerwinski ist ein echter Tausendsassa: Programmierer, Wissenschaftler, Zeichner, Autor, Rollenspieler und LARPer. Eine im Nerd-Bereich nicht unübliche Kombination, aus der schon so manch kreatives Kleinod entstanden ist. Bei Markus war es etwa, nach einigen Romanen, ein eigenes Rollenspiel. Passend zum kürzlich erschienenen ersten Abenteuerband "Maskenball" hatte ich die Gelegenheit, ihm ein paar Fragen zu stellen :-) Hallo Markus. Stell Dich doch bitte mal den Leserinnen vor.
"Hallo allerseits! Ich bin der Markus, Jahrgang 1972. Ursprünglich komme ich aus Essen, zur Zeit wohne ich in Stade. Ich bin studierter Physiker, Ex-Softwareentwickler, Autor und Zeichner. Und Rollenspieler."
Ganz allgemein, wie kamst Du zum Rollenspiel-Hobby?
"Das war ein Glückstreffer meiner Oma. Zum 11. Geburtstag bekam ich von ihr mein erstes Solo-Spielbuch, den "Hexenmeister vom Flammenden Berg". Ich glaube nicht, dass sie wusste, was sie mir da geschenkt hatte. Danach war ich erst mal ein großer Fan dieser Spielbuch-Reihe. Über einen Freund meines Bruders, der damals schon Midgard leitete, kam ich dann mit 14 endgültig ans Pen & Paper."
Und wie verlief die Karriere vom Spieler zum RPG-Entwickler?
"Zusammen mit dem Fantasy-Genre entdeckte ich meinen Spaß am Weltenbauen. Landkarten von erfundenen Kontinenten faszinierten mich und so fing ich früh an, selbst welche zu zeichnen. Hinzu kam ein Faible für logische und mathematische Spielereien, sodass ich ganz automatisch anfing, die Regeln unserer ersten Rollenspiele zu variieren. Meinen ersten Anlauf zum eigenen Regelwerk startete ich mit 16. Seitdem habe ich viele Entwürfe angefangen und wieder verworfen, viele Experimente gewagt und Rückschläge eingefahren, ehe ich mit "Heroen" endlich ans Ziel kam."
Bevor wir zum Rollenspiel kommen: Du bist auch Autor. Erzähl doch bitte auch darüber.
"Gern. Meine aktuelles Hauptgenre ist die Fantasy. Generell neige ich zu dem, was ich "Low Magic" nenne, also einem relativ historischen Szenario mit sparsamem Einsatz von Magie und Fabelwesen. Momentan sind vier Romane von mir im Handel: "Das Lied der Sirenen" und die drei Bücher der "Falkenflug"-Trilogie. "Das Lied der Sirenen" war ein frühes, ambitioniertes Werk, mit dem ich aus den Schemata des Genres ausbrechen wollte. Es handelt sich um einen Fantasy-Krimi um Mord, Magie und die Dämonen aus den Abgründen der menschlichen Seele. Ich hatte damals den Ehrgeiz, aufzuzeigen, dass in Fantasy-Welten noch andere interessante Dinge geschehen können, als dass sie dauernd vor dem Untergang gerettet werden. Im Gegensatz dazu sehe ich im "Falkenflug" ein Back-to-the-roots-Projekt. Es ist eine klassische Fantasy-Abenteuergeschichte um eine weite Reise und eine epische Queste; es ist aber auch ein Märchen, durchzogen von der Stimmung alter Sagen und jener Zeiten, in denen diese Märchen und Sagen entstanden sind. Ich wage zu behaupten, dass ich für diese Fantasy-Geschichte mehr Recherche über das Mittelalter betrieben habe als mancher Historienautor. Meine Protagonistin Gunid ist eine einfache, unfreie Bauerstochter, die nie im Leben auf den Gedanken gekommen wäre, je ihr Heimatdorf zu verlassen ... bis ihr Jugendfreund Ragald, Edelmann und Sohn ihres Lehnsherrn, in den Krieg zieht. Als er dort als verschollen gilt, bricht sie auf, um ihn zu suchen, und gerät dabei bald in Angelegenheiten, die mit dem Schicksal des ganzen Reiches zusammenhängen. Wie man sich denken kann, kommt bei dieser Charakterkonstellation auch die Romantik nicht zu kurz. Nähere Informationen und Leseproben gibt es auf meiner Website (Link). Ich habe noch weitere Romane geschrieben, doch die sind entweder nicht mehr erhältlich oder haben es gar nicht erst auf den Buchmarkt geschafft. Neben der Fantasy schreibe ich aber auch Science Fiction. Mit meinem nächsten Projekt plane ich, meine Leser in die wundersamen Weiten des Weltraums zu entführen. Mir schwebt ein positives Gegengewicht zum aktuellen, düsteren "Dark SF"-Mainstream vor."
Nun also zu Deinem Rollenspiel "Heroen". Bitte stell es den LeserInnen doch mal kurz vor.
"Gern. "Heroen" ist ein Fantasy-System, angesiedelt in einem Setting, das an die Völkerwanderungszeit angelehnt ist. Im Mittelpunkt steht das Reich Dragoma, gewissermaßen mein "römisches Imperium" in der Endphase, zerrissen von einem Erbfolgekrieg und bedrängt von einfallenden Barbarenhorden. Das einstige Herzland ist in Stadtstaaten zerfallen, die einander grimmig bekämpfen. Am Rand des Reiches allerdings entsteht gerade eine Art Artussagen-Königreich mit einem jungen, aufstrebenden Rittertum. Dragoma ist ein Reich der Menschen und der Alltag gestaltet sich auf den ersten Blick sehr "historisch": Nichtmenschen wie Orks, Goblins, Trolle etc. sind ein Relikt vergangener Zeiten und in Reservate verbannt, die sogenannten "Domänen", verwaltet von Zauberern. Auf diese Weise stehen Magie und Fabelwesen gleichermaßen am Rand dieses Reiches, im Schatten, wo niemand sie sehen muss. Nun aber, da das Reich zerfällt, drängen sie wieder daraus hervor und säen Vernichtung -- oder helfen bei der Entstehung von Neuem."
Warum genau diese Spielwelt? Haben Dich andere Settings inspiriert?
"Gewissermaßen ja, allerdings nicht so sehr aus dem Rollenspiel. Ich bin ein großer Fan der "Prinz Eisenherz"-Comics von Hal Foster, der seinen Helden ja ebenfalls das zerrissene Europa der Völkerwanderungszeit bereisen ließ. Hinzu kamen Anregungen aus verschiedenen Fantasy-Filmen, von "Conan" mit Schwarzenegger bis hin zu Peter Jacksons großartiger "Herr der Ringe"-Verfilmung. Zudem wollte ich meine Erfahrungen aus dem LARP ins Pen & Paper übertragen: Die Authentizität und Intensität, selbst in Gewandung durch den Wald gerobbt zu sein, Magie subtil im Hintergrund auszuüben und Adligen und Nichtmenschen zu begegnen, die ihre Rolle voller Überzeugung darstellen. Da sind die Klischees vom "hochnäsigen Edelmann" und vom "tumben Ork" schnell vergessen. Mein größtes Vorbild allerdings lässt sich nirgends im Handel finden. Als ich mit dem Rollenspiel anfing, bespielte mein Haupt-SL Henry eine selbst erfundene Welt, die einfach nur der Wahnsinn war; ein wilder Mix aus keltischen und japanischen Motiven, durchzogen von einem allgegenwärtigen Gefühl von Mysterium, das für mich bis heute den Maßstab für perfektes Rollenspiel setzt. Ich hoffe, dieses Feeling mit der Welt von Dragoma an meine Spieler weitergeben zu können."
Kannst Du den LeserInnen bitte kurz das Regelsystem erklären. Und was glaubst Du, für welche Spielertypen es eher taugt: Erzählspieler, Miniaturenschubser oder Regelfüchse?
"Das System ist W6-basiert. Jede Spielfigur hat Attribute im Bereich von 1 - 5 sowie Fertigkeiten, deren Werteskala nach oben offen ist. Jeder Erfolgswurf kombiniert eine Fertigkeit mit einem Attribut: Die Fertigkeit ergibt den Würfelpool, das Attribut die Erfolgschance pro Würfel. Auf diese Weise ergeben sich gewaltige Unterschiede zwischen einem talentlosen Anfänger und einem echten Könner, ohne dass es in "Übermenschentum" ausartet. Man kann schon bei der Charaktererschaffung ein vielversprechendes Talent bauen, das mit manchem alten Hasen auf Augenhöhe steht. Das Magiesystem basiert auf dem bewährten Prinzip der Spruchlisten, erlaubt aber auch freie Magie. Insgesamt ist das Powerlevel der Magie niedrig; ich wollte es vermeiden, dass der Zauberer einer Gruppe dem Kämpfer, Späher oder Dieb das Rampenlicht stiehlt. Die Legenden der Spielwelt kennen allerdings auch wahrhaft mächtige Magie und die Spieler haben durchaus die Chance, solche Kräfte eines Tages zu erlangen. Am besten taugt das System wohl für Erzählspieler, wobei auch Miniaturenschubser auf ihre Kosten kommen können: So ist das Kampfsystem zwar grundsätzlich schnell und einfach gehalten, aber mit vielen optionalen Regeln versehen, um die Kämpfe detaillierter zu gestalten. Im Kern aber sind die Regeln daraufhin optimiert, sich schnell und flüssig in die Spielerzählung einzufügen."
Was kam zuerst: Regeln oder Setting?
"Die Regeln. Tatsächlich habe ich die ersten Ansätze von "Heroen" mit einer ganz anderen, hochmittelalterlichen Spielwelt getestet, ehe ich auf Dragoma umgestiegen bin. Und meine Frau bespielt damit in einer unserer privaten Runden sogar eine Fantasy-Antike."
Damit die LeserInnen eine bessere Vorstellung bekommen, mit welchem anderen System ist "Heroen" am ehesten vergleichbar?
"Regeltechnisch gibt es große Ähnlichkeiten mit den Systemen der "World of Darkness"; wobei das ursprünglich gar nicht meine Absicht war. Erst im Nachhinein fiel mir auf, wie sehr Charakterbogen und Würfelmechanismen beider Systeme sich ähnelten."
Entwickelst Du das Rollenspiel ganz alleine oder hast Du MitautorInnen, ZeichnerInnen etc.? Und falls ja, wie koordinierst Du die Zusammenarbeit?
"Meine Frau Sandra und ich arbeiten gemeinsam an dem Regelwerk. Als Lehrerin für Geschichte, Philosophie und Religion steuert Sandra vor allem ihre fachliche Expertise zum Weltenbau bei. Außerdem hat sie die Regelmechanismen anhand von Beispiel-Charakteren in der Praxis getestet und auf diese Weise etliche Fehler daraus entfernt. Ansonsten mache ich das meiste selbst. Die Titelgrafik haben wir bei einer professionellen Künstlerin eingekauft, bei Jennifer Lange (Link). Aber die Innenteilillustrationen, Landkarten, Layout, die eigentliche Schreibarbeit - das alles ist von mir."
Wie soll das fertige Spiel mal ausschauen? Kommt ein Regelbuch? Vielleicht per Crowdfunding?
"Ein Regelbuch wird kommen, und zwar per "Books on Demand". Das erspart uns große Anfangsinvestitionen. Wir müssen keinen Lagerraum für eine Erstauflage auftreiben und haben auch keinen Druck, dass wir schnell Vertriebspartner finden müssen."
Du hast ja auch schon ein dazu passendes Abenteuer namens "Maskenball" veröffentlicht. Magst Du auch dieses bitte vorstellen.
"Gern. "Maskenball" ist Band 1 der Reihe "Das Verwunschene Land". Die Reihe spielt in der abgelegenen Grafschaft Alkron, zu deren Gebiet ein Tal gehört, in dem Ungeheuer, Geister und Dämonen ihr Unwesen treiben sollen - eben das titelgebende Verwunschene Land. In der Reihe wird es darum gehen, dass sich die Spieler mit dem Geheimnis um die Entstehung des Verwunschenen Landes befassen. Auch werden sie nach und nach in Ereignisse hineingezogen, die von diesem Tal ausgehen oder sich im Inneren abspielen. In "Maskenball" geht es um die Ankunft der SCs in besagter Grafschaft Alkron. Ein befreundeter Magier spürt in der Stadt eine beunruhigende magische Präsenz, die aus dem Verwunschenen Land stammt. Er setzt die SCs darauf an, den Ursprung dieser Präsenz zu finden. Dadurch geraten die SCs in ein Intrigenspiel am gräflichen Hof - das seinen Höhepunkt auf einem Maskenball findet. Zwar handelt es sich um ein Universal-Abenteuer, dafür gedacht, auf einer beliebigen Mittelalter-Fantasywelt angesiedelt zu werden; aber natürlich habe ich Spielwerte für "Heroen" beigefügt."
"Maskenball" wird ja vom bekannten "Antiquariat Barth" - mit dem hatte ich auch schon ein Interview (Link) - verlegt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit und wird diese weiterhin fortgesetzt?
"Da ging die Initiative von Michael Barth aus. Er war auf unsere "Heroen"-Website gestoßen und neugierig geworden. Die Zusammenarbeit begann dann mit einem Gastbeitrag in der Rubrik "Vorgestellt" auf der Website des Antiquariats Barth. Wir verstanden uns auf Anhieb gut und als Michael nach einer Weile mit der Idee an mich herantrat, universelle Rollenspiel-Abenteuer zu veröffentlichen, war ich sofort dabei. Mit der Reihe "Das Verwunschene Land" haben wir jetzt auf jeden Fall ein längerfristiges gemeinsames Projekt. Wir haben aber auch schon weitere Ideen besprochen. Ich bin sicher, dass das Antiquariat Barth und ich noch eine Menge gemeinsam auf die Beine stellen werden."
Woran arbeitest Du aktuell und wie wird es mit Deiner Produktlinie weitergehen?
"Momentan schreibe ich die Buchversion der "Heroen"-Regeln fertig. Sobald das Regelwerk einmal auf dem Markt ist, werde ich dazu natürlich auch Abenteuer in der Welt von Dragoma herausbringen. Die Testspiele, die ich aktuell mit meiner privaten Runde spiele, eignen sich bestens als Kaufabenteuer. Parallel dazu plane ich, wie oben schon erwähnt, an einem SF-Weltraumsetting. Ich denke, nach dem "Heroen"-Regelwerk ist zunächst ein Roman oder Comic in diesem Setting an der Reihe. Langfristig kommt dann vielleicht auch ein Heroen-Ableger für Weltraumabenteuer heraus. Und einer für Jetztzeit-Horror/Mystery, Piraten der Karibik oder Western. Die Ideen werden mir so schnell nicht ausgehen."
Wo kann man das Rollenspiel aktuell mal antesten?
"Unter heroen.gerwinski.de (Link) gibt es die Kurzanleitung und den Charakterbogen zum freien Download. In der Kurzanleitung sind die Regeln auf 15 Seiten zusammengefasst. Außerdem findet man dort eine Karte von Dragoma und ein paar kleine Goodies wie z.B. Illustrationen aus dem Hintergrundmythos."
Zuletzt: Hast Du für angehende NachwuchsentwicklerInnen ein paar Tipps & Tricks?
"Klar, gern. Erstens: Verliebe Dich nicht in Deine Regelmechanismen. Was in Deiner Vorstellung richtig cool wirkt, kann sich am Spieltisch ganz schnell als unspielbar oder überflüssig herausstellen. Beispielsweise wollte ich ursprünglich ein vollkommen freies Magiesystem auf der Grundlage einiger Gesetzmäßigkeiten entwerfen, um den Spielern möglichst viel kreativen Freiraum zu lassen. Das erste, was meine Testspieler damals gemacht haben, war: Sich die vertrauten Zauber aus D&D, "Midgard", "Rolemaster" etc. wieder herleiten. ("Und wie mache ich hier einen Feuerball?") Darum gebe ich inzwischen lieber gleich wieder Listen an. Zweitens: Behalte auch die Vorlieben anderer Spieler im Auge. Als passionierter Magier habe ich mich bei meinen ersten Entwürfen für ein eigenes Regelwerk einseitig auf die Magie konzentriert und die anderen Bereiche zunächst vernachlässigt. Ein Regelwerk muss aber für alle Beteiligten funktionieren, sonst funktioniert es am Ende für keinen. Drittens: Ehe Du eine Idee wieder verwirfst, probier sie in der Praxis aus. Ich bin Perfektionist und neige daher dazu, Dinge x-fach zu korrigieren, ehe ich sie jemand anderem zeige. Erst meine Frau hat mich dazu gebracht, einen Regelmechanismus auch mal stehen zu lassen und versuchsweise anzuspielen, ehe ich ihn überarbeite."
Ganz herzlichen Dank für das Interview und das zur Verfügung gestellte Bildmaterial :-)
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