Wenn ich so zurückdenke, hatte ich persönlich zwei Hochphasen in denen ich sehr gerne Konfliktsimulationen gezockt habe: Einmal 2011, als ich mich gegen Blognamensgeber Stephan in komplexen Strategiespielen messen wollte. Und dann letztes Jahr, als ich einige großartige Rezensionsexemplare aus dieser Brettspiel-Nische ausprobieren durfte. Länger als ein Jahr hab ich es dann aber leider doch nicht durchgehalten, weil solche (neudeutsch abgekürzt) CoSims einerseits sehr aufwändig sind und sich andererseits kaum Mitspieler finden. Der CoSim-Autor Benjamin Richter, welchen ich kürzlich erst im Indie-Interview (Link) hatte, publiziert mit seinem eigenen Verlag nun sozusagen genau für meine Bedürfnisse: Kurze, aber taktische CoSims, welche ich ganz allein spielen kann :-) Seine neuste Solo-CoSim „Hindenburg's Hour: The Tannenberg Campaign 1914“ erschien in Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft für historische Simulationen“ (Link) – Na, da kann das doch nur ein Volltreffer werden ;-)
Nun hatte ich die Woche wieder Nachtdienst und damit ausreichend Zeit, als titelgebender Oberbefehlshaber Paul von Hindenburg den Angriff der zahlenmäßig weit überlegenen russischen Streitkräfte im August 1914 abzuwehren – Was sich als gar nicht so einfach entpuppte, verfügt das Zarenreich in diesem Spiel doch über mehr als die doppelte Anzahl an Truppen (vier deutsche Korps gegen neun russische). Wie funktioniert der Spielablauf nun genau?
Jeder neue Tag, welcher eine Runde entspricht, beginnt damit dass der Spieler nacheinander die russischen Armeen bewegt. Deren Marschrichtung ist weitestgehend vorgegeben, Variationen kommen lediglich durch die Bewegungswürfe (0 – 2 Hex-Felder vorwärts) sowie eventuelle Fluchtbewegungen und Regruppierungen, da nur ein Korps pro Feld erlaubt ist. Treffen die Armeen dabei auf deutsche Truppen, werden das Kampfresultat sowie die Folgen für die beteiligten Korps mit simplen W6-Proben erwürfelt. Danach folgt die deutsche Armee, wobei sich der Spieler hier weitestgehend frei entscheiden kann in welche Richtung er sich bewegt und ob er angreift. Sind auch die Kämpfe abgehandelt, schaut man nun ob irgendwelche Zarentruppen eingekesselt wurden (was, neben der Blockade der Fluchtwege, der einzige Weg zur Vernichtung von Armeen ist). Anschließend wird mittels W6-Probe ermittelt, ob sich zerstreute Korps wieder reorganisieren können. Zuletzt erfolgt die Kontrolle der Siegbedingungen: Der die kaiserlichen Truppen übernehmende Spieler muss verhindern, dass erstens die Stadt Königsberg besetzt wird und zweitens dass sich die beiden Zarenarmeen vereinen. Zusätzlich werden die am Spielende verbliebenen Korps verglichen, hier muss der Spieler für einen Sieg mindestens fünf, für ein Unentschieden mindestens vier Truppen mehr vernichtet haben als er selber noch übrig hat. Und das ist gar nicht mal so einfach ;-) Meine persönliche Bilanz nach drei Spielen beträgt zwei Niederlagen und ein hart abgetrotztes Unentschieden :-( Aber da ein Spiel kaum länger als eine Stunde dauert, werde ich nach dieser Rezension direkt wieder loslegen :-D
Die Regeln an sich sind vom Grundaufbau recht simpel, selbst die Handhabung der gegnerischen Armeen klappt sehr gut. Um das Spiel historischer ablaufen zu lassen gibt es aber ein paar Sonderregeln, welche dem Spiel einerseits Würze und Authentizität geben, andererseits aber auch die Komplexität erhöhen. Beispielsweise haben deutsche und russische Truppen andere Zeitfenster zur Reorganisation, die Zarenarmee hat einen „Massebonus“ im Kampf und das I. Korps unter Herman von François macht manchmal was es will ;-) Zudem gibt es ein paar Optionalregeln, beispielsweise dass die Bahn (mit welcher man ein Korps über weite Entfernungen transportieren kann) einfach mal einen Tag zu spät kommt. Man merkt einfach, dass sich der Autor hier wirklich intensiv Gedanken gemacht hat, wie man historische Gegebenheiten mit einem Minimum an Spielmaterial darstellen kann. Sehr gut :-) Leider schwächtelt „Hindenburg's Hour: The Tannenberg Campaign 1914“ bei der englischen, als Download aber auch in deutsch verfügbaren Spielanleitung. Die umfasst zwar nur acht Seiten und ist für eine CoSim sehr knapp gehalten. Jedoch ist sie recht unübersichtlich, da sie wichtige Informationen (beispielsweise zu Würfelproben) im Fließtext versteckt. Hier wäre eine Kurzübersicht hilfreich gewesen, diese gibt es aber mittlerweile von einem Fan zum Download auf BGG (Link).
Das Spielmaterial, bestehend aus dem achtseitigen Regelheft, einem 8x12 Zoll großen Pappspielplan und 25 Pappplättchen, kommt in einem Zippbeutel. Lediglich den sechsseitigen Würfel muss man selber auftreiben. Material- und drucktechnisch gibt es nichts zu meckern, gelegentlich habe ich mir aber gewünscht die Hex-Felder wären noch einen Tick größer, da es dann doch schon arges Gefummel ist, wenn Pappplättchen an Pappplättchen liegt. Den Preis von 15,99 €, den der Kleinstverlag „Dr. Richter Konfliktsimulationen“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat) haben möchte, halte ich im Anbetracht der „normalen“ Preise für CoSims als angemessen.
Fazit: „Hindenburg's Hour: The Tannenberg Campaign 1914“ (Link) ist gleich in dreifacher Hinsicht eine positive Überraschung: Erstens ist es überraschend taktisch, mit gerade mal vier Pappplättchen-Korps in die Schlacht zu ziehen. Zweitens funktioniert die Solo-Mechanik überraschend reibungslos. Und drittens bildet die CoSim trotz des begrenzten Spielmaterials die historischen Gegebenheiten überraschend authentisch ab. Für Genre-Fans empfehlenswert!