Das geht ja gut weiter, hier gleich das nächste Indie-RPG-Interview. Und diesmal nicht knallbunte Fantasy, sondern entsättigte Dystopie. Dazu passend "Dystopia" ist der Name des Spiels von Daniel Bartholomae. Proben gelingen im Prinzip immer automatisch und wenn ich mich richtig entsinne, ist es das erste würfellose Rollenspiel welches ich hier in meinem Blog thematisiere :-) Hallo Daniel! Magst Du Dich den Lesern kurz vorstellen?
"Ich bin Daniel Bartholomae, 28 Jahre alt und seit nun mehr fast 15 Jahren begeisterter Rollenspieler. Angefangen hat es bei mir, wie bei so vielen in Deutschland, mit "Das Schwarze Auge", ein Setting das ich noch immer sehr schätze. Sehr schnell kamen die anderen großen Namen wie "Shadowrun" hinzu, aber erst die kleineren und meist innovativeren Systeme haben es mir so richtig angetan. Zu meinen Lieblingssystemen gehören derzeit neben "Dystopia" "Chroniken der Engel", "Fiasco", "Dungeon World" und "Blades in the Dark"."
Kannst Du "Dystopia" bitte kurz vorstellen?
""Dystopia" ist ein würfelloses Rollenspiel in einer dystopischen Zukunft für einen Spielleiter und 3 - 5 Spieler, inspiriert von Büchern, Filmen und Spielen wie "Die Tribute von Panem", "Interstellar", "1984", "The Last of Us" oder "Resistance". Das System lebt von Spannung, Geheimnissen, überraschenden Wendungen und moralischen Entscheidungen, die die Spieler treffen müssen."
Welche Regelmechaniken nutzt du?
""Dystopia" ist ein würfelfreies System mit Fokus auf erzählerische Freiheit für Spieler und Erzähler gleichermaßen. Gleichzeitig unterstützt es den Spielleiter dabei, Geheimnisse und Intrigen aufzubauen. Dabei gelingen die Vorhaben der Spieler fast immer automatisch: Du suchst jemanden, der Dir die Pläne der geheimen Giftfabrik der Regierung liefern kann? Kein Problem! Aber wenn Du zu wenig in den zugehörigen Test investierst, dann ist Deine Kontaktperson vielleicht ein Geheimpolizist, der Dir und Deinem Team in der Fabrik eine Falle stellen wird. Wie erfolgreich dein Test war, erfährst Du natürlich erst, wenn es zu spät ist. Und wie viel Du investieren kannst, ist auch beschränkt, also wäge ab, was Dir wie wichtig ist."
Was macht "Dystopia" im Vergleich zu anderen Systemen besonders?
"Der erste Punkt ist ganz klar das Setting: Bisher richten sich nur wenige Systeme gezielt auf den Widerstand gegen ein oppressives System. Aber auch die Regeln sind etwas besonderes. Bei den meisten Systemen blockt ein Misserfolg bei einer Probe die Handlung, statt sie voranzutreiben. Es gibt glaube ich keine DSA-Gruppe, die nicht schon mehrere Stunden damit verbracht hat, einen Fluss zu überqueren, weil irgendwem diese dumme Schwimmen-Probe einfach nicht gelingen will. Auf der anderen Seite stehen Systeme wie "FATE" die so viel kreative Freiheit in die Hände der Spieler legen, dass es unerfahrene Spielleiter oft schwer haben, eine Kampagne mit Spielabend-übergreifenden Geheimnissen aufzubauen. "Dystopia" findet hier den Mittelweg: Lass den Spielern genügend Freiheiten, damit die Handlung nicht ins Stocken gerät, aber gib dem Spielleiter genügend Hilfsmittel an die Hand, damit er die Kontrolle über einen längeren Plot behalten kann."
Wie kamst Du auf die Idee, ein eigenes Rollenspiel zu entwickeln?
Die Idee hatte wohl ein jeder schon mal, der mit einem bestehenden System unzufrieden war. Bei mir liegt dieser erste Gedanke aber schon viele Jahre zurück, und schon vor "Dystopia" habe ich an einzelnen Regel- oder Settingmodulen für Rollenspiele gearbeitet. Dass "Dystopia" jetzt kein eigenes kleines Modul, sondern ein eigenständiges Rollenspiel werden soll, liegt daran, dass ich hier bei Regeln und Setting gleichermaßen von den Neuerungen begeistert bin und Ideen gefunden habe, die sich gegenseitig ergänzen.
Was hat Dich zu diesem speziellen Setting gebracht? Und hast Du die Regeln gezielt darauf hin entwickelt, oder kamen erst die Regeln und dann die Spielwelt?
"Große Inspirationen waren für mich "Die Tribute von Panem"-Trilogie und das Kartenspiel "Der Widerstand". Mit beiden verbinde ich starke emotionale Momente, die ich so gerne auch im Rollenspiel erleben möchte. Außerdem hat das Thema für mich auch eine aktuelle Relevanz: Wenn man die aktuellen politischen Entscheidungen betrachtet, zum Beispiel zum Thema Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, oder beim Thema Polizeigewalt in den USA, kann man sich schon einmal die Frage stellen, wo das alles hinlaufen könnte. Letztlich war es eine Mischung: An Teilen der Regeln hatte ich bereits gearbeitet, als ich die Idee zum Setting noch nicht hatte. Andere, wie die Stress-Karten, haben sich aus konkreten Anforderungen des Settings ergeben: Wie helfe ich Spielern und Spielleiter dabei, den Stress und die Gefahr eines Lebens im Untergrund selbst erleben zu können?"
Plaudere doch mal aus dem Entwickler-Nähkästchen. Wie kann ich mir die Entwicklung eines Rollenspiels so vom Arbeitsablauf und Arbeitsaufwand vorstellen?
"Für mich gesprochen gibt es vier große Bausteine. Da ist zum Einen das Ideen finden und verfeinern. Das passiert unterwegs, kurz vorm Einschlafen, in der Dusche, aber manchmal auch, wenn man sich einfach einmal eine Stunde lang dazu zwingt, über etwas nachzudenken. Dann gibt es das Aufschreiben und Ausformulieren von Setting und Regeln. Dies nimmt einen Großteil der Zeit in Anspruch, denn erst, wenn man es einmal genau aufzuschreiben versucht, merkt man, wo überall noch Lücken sind. Als nächstes gibt es die Testrunden - sicherlich der zufriedenstellendste Teil der Arbeit, wenn man endlich sieht, welche eigenen Ideen funktionieren, oder auch nicht. Es kann aber auch manchmal anstrengend sein, wenn man immer wieder das gleiche negative Feedback bekommt und sich eingestehen muss, dass man sich verrannt hat. Zuletzt gibt es noch den Marketing-Teil: Texte für die Homepage schreiben, Bilder zurechtschneiden, Presseanfragen beantworten. Das scheint zwar mit dem eigentlichen Schreiben nichts zu tun zu haben, aber ohne Spieler nun mal kein Rollenspiel."
Da möchte ich gleich noch nachhaken: Was würdest Du zu jemandem sagen, der selbst ein Rollenspiel entwickeln möchte?
"Aufschreiben, testen, aufschreiben, testen, aufschreiben, testen, ... Es ist leicht, Ideen immer und immer wieder im Kopf hin- und her zu wälzen. Aber erst im Kontakt mit dem Spieler zeigt sich, was wirklich etwas taugt."
Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand?
""Dystopia" ist derzeit noch in einem sehr frühen Stadium. Setting und Regeln stehen zwar grundlegend schon fest, aber in den nächsten Testrunden kann sich noch einiges ändern."
Und wie ist die Resonanz der Spieler?
"Bis jetzt ist die Resonanz durchwegs positiv. Die meisten freuen sich über den flüssigeren Spielablauf gegenüber anderen Systemen. Aber einige vermissen das Würfeln."
Wie wird die Zukunft aussehen? Kommt ein Regelbuch? Und hast du noch andere Projekte?
"Erst einmal will "Dystopia" vollendet werden. Sobald es soweit ist - wer weiß? Aktuell geht mir häufig das Thema elektronische Hilfsmittel durch denk Kopf: Wie könnte ein Rollenspielsystem aussehen, das konsequent neue Technologien nutzt und weg geht vom klassischen gedruckten Buch?"
Das ist eine gute Frage und ich bin schon gespannt auf Deine Antwort darauf :-) Vielen Dank für das Interview und Dein Bildmaterial. Gerne verweise ich meine Leser noch auf offizielle Facebook-Seite (Link) und die Webseite zum Spiel (Link).
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