Okay, ich mache mich mal wieder mit Vorliebe unpopulär: Mark Millar ist ein schrecklich überbewerteter Comic-Autor. Immer gute Ideen, das muss man ihm lassen, aber viel zu oft fehlt dann das entscheidende Fünkchen Inspiration für den ganz großen erzählerischen Wurf. Das zeigt sich auch wieder bei „The Ambassadors“, einer Co-Produktion mit Netflix – Ob es dazu auch eine Streaming-Serie geben wird? Ich will ja nicht spotten, aber nach den letzten großen Fehlschlägen (z.B. „Jupiter's Legacy“, ab Minute 54, Link) wird selbst der Milliardenkonzern vorsichtig geworden sein... Zurecht? Oder kann sich Millar mit „The Ambassadors“ rehabilitieren?
Ich glaube jeder und jede von uns hätte gern irgendeine Superkraft. Es muss ja nicht gleich eine stahlharte Haut sein, aber so ein wenig Fliegen wäre schon ziemlich nett 😊 Die im Gefängnis sitzende Milliardärin Choon-he Chung, bald bekannt als Codename Korea, kann genau dies nach jahrelangen Forschungen ermöglichen. Und sie geht dabei altruistisch vor, denn nur die moralisch einwandfreisten Menschen sollen in den Genuss von Superkräften kommen, damit sie die Welt zu einem besseren Ort machen. Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung – Alles egal, nur das Herz am richtigen Fleck zählt. Wobei Chung zugegebenermaßen ein wenig willkürlich vorgeht und sich auch gern mal täuschen lässt – Wäre nicht wenigstens ein psychologisches Einstellungsgespräch bei all den Milliardeninvestitionen drin gewesen? Egal, da hat Mark Millar des Story-Twists wegen wieder mal ein wenig die Rationalität verbogen 😜
Tatsächlich ist das ausgewählte Sextett wirklich auf dem bekannten Superhelden-Niveau, jedoch mit einer kleinen Einschränkung: Aus einem Kräftepool von mehreren Dutzend Superkräften können nur genau drei Stück gleichzeitig heruntergeladen und genutzt werden, wobei jede Superkraft nur ein einziges Mal global zur Verfügung steht. Will also Codename Korea ein wenig herumfliegen, muss sie erst warten, bis Codename France damit fertig ist... Das führt natürlich gelegentlich zu Problemen, die aber nur sehr oberflächlich angerissen werden. Wie generell die gesamte Geschichte, immerhin 188 Seiten dick im Softcover-Sammelband von „Panini Comics“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten), seltsam oberflächlich bleibt. Man lernt in sechs Kapiteln kennen, wie und warum zumindest ein Teil der Ambassadors rekrutiert wird und wie ihre ersten Einsätze ablaufen. Dazu gibt es noch einen B-Plot rund um Chungs am gleichen Thema forschenden Ex-Mann, der eine ausschließlich aus Milliardären bestehende Superschurken-Truppe zusammenstellt. Das ganze kumuliert in einem UN-GLAUB-LICH rasch abgefrühstückten, wie aus dem Nichts auftauchenden Finalkampf. Und dann gibt es quasi den Epilog inklusive dem obligatorischen Story-Twist, der Chungs Entscheidungskompetenzen fast schon ins Lächerliche zieht... Schade!
Nun will ich „The Ambassadors“ nicht komplett schlechtreden, da sind schon ein paar nette Ideen dabei. Der Fokus auf die eigentlichen ProtagonistInnen, fernab einer großen Meta-Story, ist fast schon erfrischend. Aber was im Mittelteil wie eine Superhelden-Anthologie wirkt, wird dann doch mehr schlecht als recht von eben jenem B-Plot zusammengehalten. Irgendwie wirkt die ganze Geschichte tatsächlich wie eine ambitionierte Netflix-Serie, welcher dann aber nach einer Staffel sang- und klanglos der Stecker gezogen wurde – Keine Ahnung, ob das jetzt nur daran liegt, dass das hier ebenso aus der Feder von Mark Millar stammt, der wieder mal mit Netflix im Bunde war, aber ich hatte durchweg „Jupiter's Legacy“-Vibes. Was diesem Comic-Werk vielleicht nicht gerecht wird, gerade die verschiedensten Zeichnenden geben sich sichtbar Mühe, aber irgendwie habe ich doch ein sehr verhaltenes...
Fazit: „The Ambassadors“ (Link) ist zwar nicht schlecht, aber irgendwie doch eine Enttäuschung. Ich glaube, dieser Superhelden-Comic ist genau wie der Chef-Bösewicht Jin-Sung, denn auch der hält sich einfach für viel schlauer und epischer, als er am Ende ist 😒