In den aktuellen Pandemie-Zeiten, in denen man doch öfters bei der Familie sein muss, als man eigentlich gerne wäre, erfreuen sich „Kinder-Rollenspiele“ einer zunehmenden Beliebtheit. Damit meine ich Rollenspielsysteme, die speziell für die ganz jungen EinsteigerInnen geeignet sind und die zugleich den erwachsenen Erst-SpielleiterInnen allerlei Tipps & Tricks an die Hand geben. Bereits mit sechs Jahren soll man mit „Little Wizards“ aus Frankreich starten können, welches nun vom deutschen Kleinstverlag „Green Gorilla“ publiziert werden soll. Dessen Crowdfunding läuft aktuell sehr erfolgreich und da frage ich mich natürlich: Zurecht?
Nun hat sich der Michael Weber im Podcast-Interview (Link) zum Start des Crowdfundings (Link) ja sehr gut geschlagen und auch das Werbevideo (Link) war für einen neuentstandenen Kleinstverlag sehr catchy – Kann irgendjemand, der ein Herz hat, der Joya was abschlagen? Mhhhm, vielleicht ich, wenn mich das Produkt dann am Ende doch nicht überzeugt :-P Zum Glück wurden mir zu Rezensionszwecken nicht nur eine Presse-PDF, sondern auch einen Probedruck zur Verfügung gestellt. Also lasst uns mal schauen, ob dieses Rollenspiel wirklich gut und vor allem aber kindgerecht ist...
In „Little Wizards“ verkörpern die SpielerInnen junge Hexen und Zauberer, die gemeinsam die Münzwelt durchstreifen und spannende Abenteuer erleben. Diese Münzwelt besteht aus zwei Seiten (halt wie eine richtige Geldmünze), welche zwei verschiedene Welten (Heads & Tails) repräsentieren, die jeweils aus fünf großen Inseln bestehen. Dabei ist die helle Heads-Welt die prinzipiell freundlichere, fröhlichere Seite, die es sogar schon zu einigem technischen Fortschritt geschafft hat (ca. 20er Jahre). Aber selbst die dunkle Tails-Seite ist immer noch kindgerecht-gut, wenn auch etwas gruseliger. Klassischer Fantasy-Horror oder gar Grimmsche Brutalo-Märchen werden der jungen Zielgruppe hier glücklicherweise nicht zugemutet. Auch eine ultrakomplexe Hintergrundgeschichte gibt es hier nicht, aber die knappen Beschreibungen reichen zumindest aus, dass man eine Ahnung davon bekommt, worum es hier geht und wo genau die Abenteuer stattfinde.
In dieser Spielwelt wandeln nun also die SpielerInnen herum, immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer, das sie mit ihren magischen Fähigkeiten bestehen können. Die Erstellung einer eigenen Hexe beziehungsweise eines eigenen Zauberer geht dabei recht schnell von der Hand: Zuerst wählt man als Charakterhintergrund, ob man mit einer magischen Begabung geboren wurde oder ob man deren Umgang in der Schule gelernt hat, was später magischen Fähigkeiten beeinflusst. Dann gestaltet man sein Äußeres (wobei es neben der freien Auswahl auch sechs Tabellen gibt), wählt sein besonderes Merkmal (z.B. ein seltsamer Akzent oder Schmetterlingsfühler; ebenfalls freie Auswahl oder Zufallstabelle) sowie seine Persönlichkeit (beste Eigenschaft, Wesensart & schlimmste Macke – Alles regeltechnisch nicht entscheidend, sondern eher eine Hilfestellung für die Charakterdarstellung) und seine Vorlieben & Motivationen. So haben die SpielerInnen, entweder durch freie Auswahl oder durch Auswürfeln auf den Zufallstabellen, nun bereits eine (für GrundschülerInnen) komplexe Spielfigur erstellt, welche man bei Bedarf auch noch mit einer epischen Hintergrundgeschichte ausstatten kann ;-) Anschließend kann man wählen, in welchem der drei Attribute Körper, Herz & Verstand man gut (+0), besser (+1) und am besten (+2) ist – Jedoch, ob jetzt ein +0 wirklich „gut“ bedeuten muss, sehe ich eher kritisch, das hat irgendwie so den Flair von Teilnehmerurkunden und Snowflakes-Empowerment :-P Allerdings gibt es auch keine Kampfregeln, Lebenspunkte etc., sodass überbesorgte Helikopter-Eltern sich beim Spiel keinerlei Sorgen um das Seelenheil ihrer Kinder machen müssen ;-)
Natürlich muss so eine Hexe beziehungsweise ein Zauberer auch über magische Kräfte verfügen: Neben dem obligatorischen Besenreiten können Charaktere mit angeborener Magie aus Alchemie, Wahrsagen und Zauberkunst zwei Kräfte auswählen. Die Charaktere mit erlernter Magie wählen dagegen zwischen Beschwörung, Verwandlung und Zauberkunst aus. Zu Beginn darf davon eine Kraft „besser“ (+1) sein, der Rest ist nur „gut“. Dann packt man doch die passende Ausrüstung (Besen, Hut, Zauberstab, Tierbegleiter) ein, gibt sich einen coolen Namen, und dann kann es auch schon losgehen :-) Nun kann man zahlreiche Abenteuer erleben, beispielsweise die drei Beispielabenteuer des Grundregelwerks. Und da kommt man unweigerlich an den Punkt, an dem man auch mal auf Aktionen würfeln muss: Diese Würfelproben basieren auf 2W6+Attribut gegen einen zuvor festgelegten Schwierigkeitsgrad (von 5 = sehr einfach bis 10 = fast unmöglich). Wenn man eine Doppel-1 würfelt, erleidet man einen katastrophalen Fehlschlag – Da hier aber das Spielleitungskonzept „Failing Forward“ gilt, ist das Abenteuer bei so einem schlechten Wurf noch nicht gelaufen ;-) Umgekehrt ist eine Doppel-6 ein glänzender Erfolg. Das gleiche Regelprinzip gilt auch beim Einsatz von Magie (also 2W6+Kraft gegen Schwierigkeitsgrad), nur dass ein Fehlschlag hier lustige magische Nebenwirkungen haben kann. Bei jeder Kraft werden die Schwierigkeitsgrade recht genau definiert (einen Wind per Zauberkunst erschaffen ist erfordert eine 5+, ein kleines Gewitter dagegen eine 8+), was gerade für Spielleitungsneulinge sehr hilfreich ist.
Denen werden sicher auch die fünf Seiten mit Tipps & Tricks helfen, wobei hier primär altbekanntes steht, was ich in anderen Kinder-Rollenspielen teils schon gleich oder sogar besser gelesen habe. Aber gute Ratschläge sind ja nie verkehrt und so ist auch gerade „Verzauberte Schokolade!“, das erste der drei Beispielsabenteuer, mit einigen davon gespickt. Was ich positiv hervorheben möchte ist dabei der Umfang: Die Hälfte des Grundregelwerks umfasst diese drei Beispielabenteuer! Daher, man bekommt als Spielleitung ordentlich zu tun :-) Wobei gerade Grundschulkinder sicherlich nicht gleich einen ganzen Abend am Stück durchzocken wollen, aber das wissen die Eltern bzw. die erziehungsberechtigte Spielleitung sicher am besten ;-) Für den Preis von 28 € (beim Crowdfunding inkl. PDF und so wie die Dinge stehen vermutlich auch als Hardcover) bekommt man hier also einen vernünftigen Gegenwert in Form von 146 hübsch gelayouteten und gut lektorierten Seiten.
Fazit: Manchmal sagen Taten mehr als Worte: Obschon ich ja die Pressemuster habe, habe ich trotzdem beim Crowdfunding mitgemacht, um alle meine befreundeten Eltern mit „Little Wizards“ (Link) zu beglücken. Also kurz: Mich es es überzeugt und ich hoffe, dass da noch mehr kommt :-)