Was haben Reality-TV und Erzählspiele gemeinsam? Alle um mich drumherum findens geil, nur ich kann damit nichts anfangen. Die einzige Ausnahme: Besprechungen auf der Meta-Ebene oder ironische Kommentierungen. Und damit sind wir bei „System Matters“ neustem Geniestreich „Behind the Magic“, einem rein narrativen Fantasy-Rollenspiel im Mantel einer Realityshow. „Behind the Magic“ ist eigentlich ein Mini-LARP, welches von unseren Podcast-Kollegen „System Matters“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) als Teil der Erzählspiel-Serie „Kleine Reihe“ eingedeutscht wurde. Auf 46 Seiten bekommt man ein komplettes Regelwerk plus drei Settingvorschläge, damit man das Absolvieren von typischem Fantasy-Heldenkram (also primär den Bösewicht bezwingen, auf dem Weg dorthin große & kleine Hindernisse überwinden) im Stil einer Reality-Show oder einer Mockumentary nachspielen kann. Wobei der Begriff „Regelwerk“ hier eigentlich schon eine krasse Übertreibung ist, denn Würfelproben oder komplexe Charaktere gibt es nicht. Stattdessen laufen eindimensionale Klischee-Heldenfiguren von Szene zu Szene und lösen ihre Probleme rein erzählerisch. Aber kann das Spaß machen? Ja!!! Aber eh ich jetzt das Fazit spoilere, lasst mich rasch den Spielablauf beschreiben ;-) Ohne große Vorbereitung geht es los: Erst bespricht die Gruppe das Setting & die Atmosphäre, wobei es darum geht heroische Fantasy-Abenteuer zu erleben, dann wählt man die Schauplätze für die drei Akte. Anschließend benötigt man noch Spielcharaktere, die aus einem Archetyp und einer Eigenschaft bestehen (z.B. „extrem gestresster Barbar“ oder „schüchterne Diplomatin“), welche sich dann bei ihrer ersten Beichte der Bardin vorstellen. Bardin? Beichte? Genau, denn hier kommen wir zum Realityshow-Aspekt des Spiels: Immer wieder kommentieren die Spielcharaktere selbst, von außerhalb der Szene, das Geschehen. Dazu werden sie von der Bardin interviewt, die auch gelegentlich die Szenen & Akte mit ihren Kommentaren verbindet. Also wirklich wie in einer richtigen Realityshow/Mockumentary. Dabei kann die Bardin sowohl von einer einzelnen Person verkörpert werden (Spiel mit Spielleitung) als auch situativ von irgendeinem gerade nicht in die Szene involvierten Charakter (wenn man ohne Spielleitung spielt). Die drei Akte (Aufbruch ins Abenteuer, Der Ärger beginnt, Dem Finale entgegen) untergliedern sich in eine Etablierung des Settings durch die Wiedergabe von Sinneseindrücken (z.B. Wolfsgeheul, wenn man in einem nächtlichen Wald ist), das Ausspielen von 3 – 5 Szenen und eben die Beichte, bei welcher von der Bardin natürlich auch gern mal suggestive Fragen gestellt werden, um quotenträchtigen Unfrieden zu stiften (z.B. „Wer aus der Gruppe ist die größte Belastung?“). Am Ende des dritten Aktes kommt dann der Höhepunkt, wobei das eher einem „Coitus interruptus“ gleicht, denn das Finale wird nach einer Abstimmung direkt übersprungen, um erneut die Beichte abzulegen – Das mag für manche Mitspielende (mich!) etwas unbefriedigend sein, unterstreicht jedoch, dass es bei „Behind the Magic“ eben primär um die Interaktionen innerhalb des sozialen Gefüges des Heldentruppe geht. Für diejenigen, die das Konzept beim ersten Mal ein wenig abstrakt finden, gibt es neben einem Spielbeispiel zur Setting-Erschaffung auch drei vorgefertigte Spielszenarien. Beispielsweise geht es um Gentrifizierung im Märchenwald, das ist schon ziemlich witzig :-D Außerdem gibt es noch ein paar optionale Regeln (z.B. um die ursprüngliche „Behind the Magic“-Version, also das LARP, zu spielen) und ein Mini-Bonusspiel, bei dem man das TV-Programm einer Fantasywelt gestaltet. Eine nette Dreingabe! Ebenfalls als nett, und zwar im positivsten Sinne des Wortes, würde ich die Aufmachung des Softcover-Regelbüchleins im DIN-A5-Querformat bezeichnen. Einfache, aber niedliche Zeichnungen lockern die übersichtlich gelayouteten Texte auf; wobei es einige wenige Seiten gab, bei denen ich das Gefühl hatte, als hätte man das das Lektorat vergessen. Aber da ich ja viel mehr Rechtschreib- & Kommafehler in meine Rezensionen reinhaue, würde ich das niemals als Kritikpunkt nennen, weshalb ich an „Behind the Magic“ (Link) eigentlich überhaupt nichts zu meckern habe :-D Daher kann ich das Fazit auch ganz kurz halten: Ich mag normalerweise keine Erzählspiele und auch keine Realityshows, aber dieses richtig coole Realityshow-Erzählspiel mag ich!