Wer einmal einen Stand der "Redaktion Phantastik" gesehen hat, wird das dynamische Duo Sylvia Schlüter und Ulrike Pelchen nicht mehr vergessen. Denn dank ihrer historischen Kostümen sind sie stets ein echter Blickfang & Farbtupfer auf jeder Convention :-) Neuerdings sind die beiden Damen auch unter die Crowdfunder gegangen; da musste ich sie einfach zum Interview bitten ;-) Ulrike hat sich dann die Zeit genommen mir ein paar Fragen zur Geschichte des Verlags, dem aktuellen Crowdfunding und natürlich auch zu den Kostümen zu beantworten. Hallo Ulrike. Bevor wir anfangen, stellt Euch doch den Lesern bitte kurz vor?
"Wir sind beide Ruhrgebietspflanzen. Heute leben wir immer noch – inzwischen beide seit Jahren verheiratet – im Ruhrgebiet (ich in Herne, Sylvia in Moers – wenn auch die Moerser sagen, dass sie Niederrheiner sind). Im „normalen“ Leben haben wir ganz normale Jobs: Ich arbeite als Sachbearbeiterin bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe in Dortmund, Sylvia als Assistentin der Geschäftsführung bei der Ingenieurgemeinschaft IgH GmbH, einem Ingenieurbüro für Maschinenbau in Essen."
Wie kamt Ihr zum Hobby? Und wie kam es dann dazu, dass Ihr den Schritt in die Verlagsbranche gewagt habt?
"Während des Studiums kamen wir Mitte der 80er-Jahre mit dem Rollenspiel in Berührung (das „echte“ D&D der roten Box) und seitdem hat uns dieses tolle Hobby nicht mehr losgelassen. Wir haben verschiedene Spielsysteme ausprobiert, Cons besucht, und Kontakt mit Fanzine-Machern gesucht. Dann hatten wir die Idee für eine Art Szeneüberblick (das Internet war noch nicht so verbreitet) und publizierten diesen 1999 in Form eines Taschenkalenders (Phantastik-Kalender). Tja, und dann ging das irgendwie weiter. Den Kalender machten wir vier Mal. Zwar rentierte er sich letzten Endes nicht, aber wir hatten nun so viele Kontakte, Zuspruch, und irgendwie „Blut geleckt“. Und unseren Namen hatten wir auch schon…"
Nun lasst uns zeitnah einsteigen: Ich hatte die Gelegenheit, Euch auf der letzten SPIEL (Link) und dann auf der DreieichCon (Link) kennen zu lernen. Nun ist schon wieder ein Jahr rum und es ist viel passiert - Wie lief das Jahr aus Eurer Sicht?
"Zeit ist relativ – das merken wir immer wieder. Zuerst fällt man in das so genannte Nach-Messe-Loch, und kaum hat man das verdaut, vergeht die Zeit immer schneller… Das Jahr war ziemlich arbeitsintensiv. Die Arbeit an "Wolsung" und "Seelenfänger", und dazwischen immer mal andere Projekte wie der neue Abenteuerband für "Private Eye", Abenteuer für die "Mephisto" prüfen, Crowdfunding vorbereiten, ein neues "Master Survival Pack" produzieren, lange Interviews machen…"
Euer bisheriges Highlight im Portfolio war/ist ganz klar die 5. Auflage des preisgekrönten Detektiv-Rollenspiels "Private Eye". Dazu zwei Fragen:1. Könnt Ihr das System bitte für die wenigen Leser, die es nicht kennen, kurz vorstellen? Und 2. wie kamt ihr eigentlich dazu und wie wird es damit weitergehen?
"Gern. "Private Eye" funktioniert genau wie jedes andere Fantasy-Rollenspiel. Allerdings ohne Fantasy. Es ist streng genommen ein historisches Rollenspiel, dient doch die reale viktorianische Zeit als Hintergrund. Der Schwerpunkt liegt auf England und speziell London, Kernzeit sind die Jahre 1875-1895. Und wie der Name „Privatdetektiv“ (so die Übersetzung) zeigt, spielt man hier Kriminalabenteuer. Also ein Flair wie in den Sherlock-Holmes-Geschichten und anderer klassischer Kriminalgeschichten dieses Genres. Agatha Christie gehört ja auch dazu. Die Regeln haben wir bewusst kurz und einfach gehalten. Manche finden sie Old School, wir dagegen meinen, dass ein System, das den Schwerpunkt auf das Erzählen, Ermitteln von Spuren, Zeugenbefragungen und Ähnlichem legt, weder detaillierte Regeln noch ausgefeilte Tabellen braucht. Mit W100 kleiner oder gleich deinem Wert würfeln, ggf. eine Modifikation je nach Schwierigkeit, das ist es schon. Kämpfe können sehr schnell und tödlich enden, denn wir haben hier keine (!) magischen Heiltränke. Überhaupt stehen den Spielern, Detektiven genannt, neben ihrem Verstand nur die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit zur Verfügung. Deren Darstellung widmet das Regelwerk übrigens den weitaus größten Anteil. Wie wir "Private Eye" gefunden haben, weiß ich nicht mehr ganz genau. Irgendwie, ich glaube über Jan Christoph Steines, kamen wir in Kontakt mit Thilo Bayer, dem Erfinder. Und durch verschiedene Fanzines hatten wir schon von dem System gehört, das quasi Kultstatus hatte. Thilo hatte noch ein paar (fast wörtlich zu nennen) Restbände der Abenteuer, die er uns gab. Die legten wir im Jahr 2000 am Donnerstagmorgen auf den Tisch des Messestandes, um zu prüfen, ob "Private Eye" irgendwie Beachtung fände. Am Mittag hatten sämtliche Bände glückliche neue Besitzer gefunden, und das System eine neue Heimat. Ich glaube, wir haben Thilo noch am selben Tag wegen der Lizenz kontaktiert. Und es geht natürlich weiter. Gerade eben geht der elfte Abenteuerband in den Druck, womit wir dann alle alten offiziellen Abenteuer neu herausgebracht haben. Und die nächsten Bände sind schon gesichert. Denn immer wieder finden Autoren spannende Fälle, die sie über uns willigen Detektiven vorstellen möchten. Obwohl wir bisher immer „nur“ einen Band pro Jahr bringen, erschienen doch zwischendurch immer mal kleinere Abenteuer, z.B. in der "Mephisto" und bereits traditionell zum Gratisrollenspieltag. Es gibt bereits mehr als 50 (!) Abenteuer, aufgelistet auf unserer Homepage. Einfach toll und ich möchte an dieser Stelle unseren Autorinnen und Autoren für ihre Mithilfe danken. Ach ja, und falls jemand gerne mal einen kleinen Fall loswerden möchte… wir freuen uns!"
Und ihr habt noch ein neues Rollenspiel im Portfolio: "Seelenfänger" von Jörg Köster (Link), welches sich gerade jetzt in der Crowdfunding-Phase (Link) befindet. Gebt doch bitte erst einmal einen kleinen Überblick über das Setting.
"Es handelt sich um eine düstere Fantasy-Welt. Die Menschen des Täuscherlandes haben eine fatale Fehlentscheidung getroffen. Als Barbaren die Grenzen des Reiches zu überrennen drohten, suchten sie Hilfe. Verständlich. In diesem Reich gibt es eine besondere Art von Magie, die des Seelenfanges. Drei Orden, die jeweils unterschiedliche Vorstellungen vertraten, wie mit den Seelen der Toten, die nicht sofort die Erde verließen, zu verfahren ist. Und der mächtigste Seelenfänger bot dem König seine Hilfe an. Der nahm an … Die Barbaren hat der Mann auch abgewehrt, allerdings kam dabei der König mit seinem gesamten Heer um. Ein undurchdringlicher Nebel um die Grenzen sperrt jetzt alle und alles aus, was reinwill, aber auch alles ein, was rauswill. Dafür lässt er allerlei Wesen und … Dinge … in das Land, die meisten recht unfreundlich sind, nett gesagt. Dieser Seelenfänger heißt deshalb „der Täuscher“, das Land trägt jetzt den Namen „Täuscherland“, und er herrscht mitsamt seinen Schergen. Dazu kommen noch zahlreiche wirtschaftliche und soziale Probleme, von den magischen und realen Bedrohungen ganz zu schweigen. Die Charaktere können versuchen, zu überleben, und vielleicht auch zu helfen."
Könnt Ihr einen kleinen Überblick über das Crowdfunding geben? Wie lange geht es? Welche Dankeschöns kann man bekommen?
"Das Crowdfunding läuft vom 01.10.-05.11.2018 auf der Plattform „Startnext“ (Link). Es gibt 13 Dankeschöns. Ab dem 4. Dankeschön „Seelenfänger“ für 50 €, das die Hardcoverausgabe des Buches Täuscherland enthält, bekommt man das Fanpaket für Seelenfänger dazu. Das Fanpaket ist richtig fett und besteht aus Charakterbogenblock, Seelenfänger-Tasse, Kurzabenteuer "Magiertraum", Starterszenario "Frühnebel", Lesezeichen, Hörspiel, Poster der Weltkarte und einem signierten Poster von einer unserer Künstlerinnen"
Warum eigentlich ein Crowdfunding und nicht der klassische Distributionsweg? Und warum genau diese Crowdfunding-Plattform?
"Wir haben das Crowdfunding gewählt, weil wir wissen wollten, ob wir eine Fanbasis aufbauen können für das Rollenspiel. Wir möchten gerne regelmäßig für dieses System Bücher herausbringen, denn es gibt schon sehr viel Material dafür, aber wenn es keinen interessieren würde, wäre das vergebene Liebesmüh. Deshalb ist es für uns als Verlag wichtig zu wissen, wie viel Unterstützung das Projekt bei unseren Kunden findet. Startnext haben wir als Plattform gewählt, weil diese deutsche Plattform für Transparenz steht. Alle Dankeschöns sind von Anfang an sichtbar. Durch die Blogbeiträge kann man aber trotzdem noch neue „Stretchgoals“ veröffentlichen und die einzelnen Produkte aufwerten, wenn mehr Geld zusammenkommen sollte."
Zurück zu "Seelenfänger". Klar, es basiert auf "Fate", also ist es erzählerisch. Aber in welche Richtung geht das Spielgefühl genau? Gibt es vielleicht ein vergleichbares System?
"Man spielt eben keine Superhelden, sondern Leute, die in einer Welt voller Probleme nicht nur vor den eigenen stehen, sondern auch – aus unterschiedlichen Gründen – vor denen anderer. Die helfen wollen, oder zumindest meinen, es tun zu sollen. Vielleicht auch, um das eigene Überleben zu sichern. Manchmal muss man zwischen verschiedenen Übeln wählen, denn auch die Magie kann sich gegen einen wenden. Und oft weiß man nicht, wer Freund oder Feind ist. Aber es gibt auch Wunderbares, Staunenswertes, eben die fremden Kulturen der vor dem Fluchfall, der den Nebel brachte, eingewanderten Völker, und natürlich die Wesen aus den Nebeln und der Anderswelt. Manches davon ist schrecklich schön. Aber anderes ist eben das pure Grauen. Wir haben also Fantasy-Horror mit dunklen Märchen, Magie, teilweise von spezieller Natur, und klassische Fantasy. Mir fällt jetzt aktuell kein ähnliches System ein. Vielleicht "Shadows of Esteren", doch diese Welt ist eher keltisch geprägt, und die haben auch nicht die Situation, Gefangene im eigenen Land zu sein. Also ehrlich, ich wüsste jetzt nichts. "Seelenfänger" ist ziemlich einzigartig."
Wie kam die Zusammenarbeit eigentlich zustande? Und, falls das Crowdfunding klappt, wie wird es mit Jörg & Euch weitergehen?
"Jörg suchte einen neuen Verlag, nachdem es mit "Prometheus Games" nicht geklappt hat. Er ist auf uns zugekommen und hat uns sein Konzept vorgestellt und uns überzeugt. Wenn das Crowdfunding erfolgreich ist, werden wir den Settingband wie angekündigt veröffentlichen, und die ganzen Dankeschöns natürlich auch, ebenso Hörspiel, Anthologie und Soundtrack. Zwei weitere Settingbände sind in Vorbereitung, dazu Abenteuer. Wir werden also ganz klassisch weiteres Material für die Spieler liefern."
Was ist, und danach sieht es zum Glück nicht aus, wenn das Crowdfunding scheitert? Wird "Seelenfänger" dann begraben oder über alternative Modelle publiziert? (Update: Hat geklappt :-D)
"Da unsere Seelen eingefangen wurden, kommen wir nicht so einfach von dem System wieder weg. ;-) Wir werden dann ganz klassisch den Settingband drucken. Er wird dann eben nicht so superschön, sondern nur schön, weil unser kleiner Verlag da einfach nicht genug Geld für eine vollfarbig illustrierte Ausgabe hat. Und natürlich würden wir die Reihe weiterführen."
Euer Verlag ist zwar eher klein, hat aber ein breites Programm: Was habt ihr neben "Private Eye", "Wolsung" & "Seelenfänger" noch im Programm? Und, da ihr ja ein eher kleines Team seid, wie behaltet Ihr den Überblick und die Kontrolle über all diese Projekte?
"Als Eigenproduktion haben wir noch das Master´s Survival pack, eine Reihe praktischer SL-Hilfen. Diese etwas oldschoolig wirkenden Mappen (eben optimiert für den Einsatz auf dem Kopierer) beinhalten Grundrisse, nach verschiedenen Themen wie Dungeon, Schiffe oder Gaslicht sortiert. Welt und System sind egal. Das Besondere: Die gibt es auch auf CD, so dass man die Grundrisse am Computer noch verändern und eben beliebig oft ausdrucken kann. Das sind wahre Evergreens. Nach längerer Pause stellen wir gerade einen achten Band fertig. Zudem haben wir einen kleinen Vertrieb, u.a. für den DDD-Verlag, v.a. für Dinge, die man als Rollenspieler nicht so einfach im Laden bekommt. Dazu zählen in erster Linie das "Sherlock-Holmes-Magazin" und der "Baker Street Chronicle", das Magazin der Deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft. Wir behalten den Überblick, weil wir einfach super zusammenarbeiten, und natürlich im Laufe der Zeit Schwerpunkte gebildet haben. Während Sylvia so z.B. ihre künstlerische Seite beim Layout auslebt und sich gleichzeitig bei der Buchhaltung als kühle Rechnerin entpuppt, kümmer ich mich um alles, was mit Texten zu tun hat. Ich schreibe und lese fast ständig. Außerdem sind wir eng befreundet, und wenn es mal nicht so klappt, ist die eine immer für die andere da. Denn, dass muss auch gesagt werden, der Verlag bedeutet manchmal auch harte Arbeit, und das neben dem normalen Job. Außerdem haben wir tolle Mitarbeiter, egal ob bei "Private Eye", "Wolsung" oder "Seelenfänger", und wir versuchen, alle immer gut und persönlich zu betreuen. Sie sollen sich bei uns gut aufgehoben fühlen."
Und dazu die Folgefrage: Wie wird es mit dem Verlag weitergehen? Welche kommenden Produkte wird es geben? Welche großen Pläne verfolgt Ihr?
"Wir machen weiter. Einfach, weil es bei aller Arbeit letztendlich ein tolles Gefühl ist, was wir bisher so auf die Beine gestellt haben, und wir mit Stolz auf unser Portfolio schauen. Und wenn dann Leute zu uns kommen und sagen „Wow, das war ein tolles Abenteuer“ oder „Eure Mappe habe ich bei der letzten Spielsitzung super brauchen können“, dann wissen wir, warum wir das machen! Hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, ist aber so. Und Pläne haben wir auch! Wir würden gerne mehr machen, als die Zeit hergibt. Das betrifft alle unsere Produktlinien. Da haben wir nicht nur ein paar Dinge in der Schublade, sondern auch noch viele Ideen…"
Eine letzte Frage noch: Euer Stand zeichnet sich ja besonders dadurch aus, dass Ihr in historischen Kostümen auftretet und der Stand generell auch liebevoll gestaltet ist. Daher meine Frage: Wo kann man Euch dieses und nächstes Jahr so alles antreffen?
"Ein bisschen zeigt sich wohl doch, dass wir ein Frauenverlag sind. Da hat die Deko auch einen gewissen Stellenwert, d.h. wir möchten auch optisch einen gefälligen Stand bieten. Wir selber auch. Wieso nicht? Die Kleider sind toll und das Verkleiden macht Spaß. Allerdings wissen wir jetzt auch, warum sich die Frauenmode wandelte, als die Damen endlich richtig berufstätig wurden. Wir besuchen im Jahr ein recht festes Programm an Cons, nicht so viele, weil wir eben aus zeitlichen Gründen nicht so oft rausfahren können. Neben der kommenden Spielmesse fahren wir noch zum "DreieichCon". Im kommenden Jahr fangen wir wieder mit dem "Morpheus" an, weil ich selbst in Herne wohne und bei einem Anfahrtsweg von 20 Minuten keine Entschuldigung habe, nicht zu kommen. Den Gratisrollenspieltag unterstütze ich immer mit Spielrunden im Bochumer Fantasy-Shop. "SagaCon" (Osnabrück), RPC, "NordCon" und "FeenCon" folgen üblicherweise, und dann ist es schon wieder Oktober."
Vielen Dank für das interessante Interview. Wir sehen uns in Dreieich ;-)