Ein kleines Jubiläum: Das zwanzigste Indie-Interview zu Karten- & Brettspielen :-D Logisch, dass da wieder ein ganz besonderer Interviewgast her muss ;-) Und da gerade die Interviews zu Konfliktsimulationen (neudeutsch "CoSim" abgekürzt) bei Euch, den LeserInnen, sehr gut ankamen, war ein Interviewpartner aus diesem Genre natürlich logisch! Deshalb präsentiert Neuautor Christian Diedler heute sein bald in einem sehr renommierten Fachverlag erscheinender Erstling "Fortress Sevastopol :-) Hallo Christian. Bitte stell Dich erst einmal den Lesern vor.
"Hallo, ich bin Christian Diedler, 53 Jahre alt und verheiratet mit Brigitte. Derzeit arbeite ich in der Forstwirtschaft und auch bei UGG (Link). Neben Spielen sind Reisen mein größtes Hobby. Im nächsten Jahr zum Beispiel verreise ich nach Phoenix, AZ und spiele dort auf dem "MonsterCon"."
Wie kamst Du zum Hobby und ganz speziell zur CoSim-Nische?
"Mehr oder weniger durch Zufall. Gespielt habe ich auch als Kind schon ganz gerne und der erste Meilenstein war "Risiko" mit 13. Kurze Zeit später brachte jemand "Stratego" mit. Das war es dann aber auch mit Spielen dieser Art, die man in der Kleinstadt in der ich aufwuchs, finden konnte. Dann brachte, während meines Studiums in München, mein Zimmernachbar ein "Afrika Korps" (Avalon Hill) auf den Spieltisch. Er machte mich auf den Laden "Games Inn" aufmerksam und von da an war ich dem CoSim-Hobby verfallen. Insbesondere "Avalon Hill" und "Victory Games" hatten es mir angetan."
Was macht für Dich den Reiz einer CoSim aus, auch in Abgrenzung sowohl zu Brett- und Videospielen sowie Tabletops, welche ja thematisch oft nicht unähnlich sind?
"Der größte Anreiz für mich bei CoSims sind die komplexen Zusammenhänge und der historische Hintergrund, die diese Spiele bieten. Ein ganz wichtiger Punkt für mich ist auch herauszubekommen, warum ein Kommandeur gerade jene und nicht eine andere Entscheidung getroffen hat. Ich sehe damit CoSims auch als ein wichtiges Lernmittel. Tabletops bieten diese Dinge auch in gewisser Weise, jedoch ist mir persönlich das Erschaffen des Terrains und Bemalen der Figuren zu aufwendig. Außerdem kann man auf Spielcountern mehr Informationen unterbringen. Videospiele sind für mich nicht reizvoll, es fehlt oft die soziale Komponente und ich sitze eh zu viel am PC, von daher sind sie für mich nicht interessant. Was andere Brettspiele betrifft, fehlt mir der historische Aspekt entweder ganz oder in der Tiefe, wie sie CoSims bieten. Klar spiele ich auch mal was anderes, aber eher selten."
Und wie kam es, dass Du eine eigene CoSim entwickeln wolltest?
"Nun ich denke, viele wollen in ihrem Lieblingshobby auch kreativ werden. Spielen selber ist eine schöne Sache, etwas selbst gestalten meiner Ansicht nach aber auch. Zudem kennt wohl jeder auch das Gefühl, dass irgendetwas, auch beim Lieblingsspiel, vom Autor vergessen oder falsch gemacht wurde. Klar hat man dann seine Hausregeln, aber ein Spiel komplett erstellen ist dann noch ein Schritt weiter."
Demnächst kommt Dein Erstlingswerk "Fortress Sevastopol" auf den Markt. Kannst Du es den Lesern bitte vorstellen?
"Ja, es ist geplant es auf der diesjährigen "Spiel 2017" in Essen als Neuheit vorzustellen. Ich freue mich darauf, es im Presseraum dort vorzuführen zu können. Es handelt sich um ein historisch basiertes Spiel, welches sich mit dem Krimfeldzug vom Oktober 1941 bis zum Juli 1942 beschäftigt. Die Basiseinheiten sind Divisionen, dazu kommen Spezialeinheiten wie Flak, Pioniere, Artillerie, Panzerabwehr usw. Das Spielsystem beruht auf dem Area-Impulse-System."
Mit welchen anderen Spielen, egal ob klassisches Brettspiel oder CoSim, kann man "Fortress Sevastopol" am ehesten vergleichen?
"Die größte Ähnlichkeit hat "Fortress Sevastopol" mit "Breakout Normandy" was das System betrifft. Die Situation ist ähnlich der aus dem "Command Magazin Nr. 6" aus dem Jahr 1990."
Und die Folgefrage: Was hebt Dein Spiel dann von der Konkurrenz ab?
"Zum einen ist die Krim als Kriegsschauplatz noch nicht oft gewählt, zum anderen habe ich ein paar neue Mechanismen erfunden, die es so in dieser Form noch nicht gab. Außerdem haben die Spieler die Möglichkeit neben dem originalen Spielplan auch auf einer zweiten von Mark Simonitch gezeichneten Karte (gegen einen geringen Obulus) zu spielen."
Welchen Detailgrad haben die Regeln und für welches Spieler-Niveau ist es geeignet?
"Die Regeln haben einen Umfang von ca. 24 Seiten und können hier (Link) eingesehen werden. Das klingt erstmal viel, aber insgesamt sind die Regeln so verfasst, dass auch ein Anfänger Zugang finden sollte. Insbesondere ein etwa 3 Stunden dauerndes Turnierszenario erleichtert den Einstieg. Zudem haben wir auch ein Tutorial auf der UGG-Webseite (Link). Das sollte den Anfang erleichtern. Natürlich ist das Spiel komplexer als die überwiegende Anzahl von Euro-Games, bei den CoSims würde ich es im unteren Mittelfeld vom Schwierigkeitsgrad sehen."
Ein Turnierszenario? Bedeutet dies, dass es auch Turniere geben soll? Gibt es da schon Pläne für Community-Unterstützung oder die "Fortress Sevastopol"-Weltmeisterschaft? :-D
"Das Turnierszenario ist ein Szenario, dessen Spieldauer 3 bis 4 Stunden beträgt. Es ist nicht speziell auf Turniere ausgerichtet, kann aber natürlich so verwendet werden. Die Idee war, da die Kampagne 8 bis 10 Stunden dauern kann, ein schnelleres Spiel zu haben, welches man in kürzerer Zeit spielen kann. Was Turniere generell betrifft, da gibt es im CoSim Bereich deutlich weniger als beim Tabletop, was aber auch daran liegt, dass es weniger Wargamer gibt und viele Spieler auch nicht so turnierorientiert sind. Von daher plane ich derzeit keine WM. Trotzdem würde ich mich natürlich freuen, wenn dieses Interview dazu beiträgt, dass Spiel populärer zu machen und wer weiß, vielleicht gibt es dann irgendwann auch eine, wie Du so schön sagst, "Community" und dann kann man immer noch überlegen."
Jetzt haben wir schon so schön um den heißen Brei drumherum geredet ;-) Darum mal ganz konkret: Kannst Du den Lesern kurz eine Regelübersicht geben? Wie funktionieren die einzelnen Spielmechaniken genau?
"Das Basisprinzip des Spiels beruht auf dem sogenannten Area-Impulse-System. Area bedeutet Gebiet, es gibt also keine Hexfelder oder Point-to-Point Felder. Impulse bedeutet der Spieler, der an der Reihe ist, aktiviert in der Regel ein einzelnes Gebiet und bewegt und kämpft mit den aktivierten Einheiten. Diese Einheiten werden dann geflippt und haben eine geringe Wahrscheinlichkeit nochmals in diesem Zug aktiviert zu werden. Danach ist der andere Spieler an der Reihe und kann seinerseits eine Aktion durchführen. Es werden also immer abwechselnd Einheiten aktiviert und die Frage ist für den aktiven Spieler immer, welches der nächste beste Zug ist. Ein Würfelmechanismus ist in die Systematik als ein unvorhersehbares Ende einer Spielrunde eingebaut. Das bedeutet, je länger eine Spielrunde dauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie beendet wird. Es stehen neun verschiedene Aktivierungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es dem Spieler nicht leicht machen, die nächste gute Aktion auszuführen. Zudem gibt es ein paar zufällige Ereignisse, die Überraschungen bergen und quasi jedes Spiel zu einem einzigartigen machen."
Bei einem Spiel mit dem Thema muss ich natürlich auch zwei Fragen zum Setting stellen: Warum 2. Weltkrieg? Und warum genau diese Schlacht?
"Der zweite Weltkrieg ist dicht mit der Geschichte Deutschlands verwoben und für mich als Deutschen sehr interessant. Die Konsequenzen dieses Krieges sind bis heute spürbar. Außerdem gab es viele verschiedene Strategien und Waffensysteme, die einem Spieler viele Möglichkeiten bieten. Die Krim-Halbinsel habe ich gewählt, weil es sich um einen abgeschlossenen und relativ überschaubaren Kriegsschauplatz handelt. Zudem gab es für beide Seiten Angriffs- und Verteidigungsoperationen. Auch die Eroberung der Festung Sevastopol ist ein weiteres Detail, welches für die Spieler interessant und abwechslungsreich sein dürfte. Bei vielen anderen CoSims ist meist nur eine Seite die ganze Partie über im Angriff und die andere nur in der Verteidigung. Dies ist in diesen Gefechten nicht so und spiegelt sich auch im Spiel wieder."
Und hast Du das Spiel speziell im Hinblick auf diese Schlacht entwickelt oder hattest Du erst die Spielmechanik fertig und hast dann die passende Schlacht rausgesucht?
"Ich bin einer großer Fan der "Avalon Hill"-Spiele "Thunder at Cassino", "Turning Point: Stalingrad" und "Breakout Normandy". Diese Spiele haben ein sehr interaktives System, wenig "Downtime" und sind wahnsinnig variabel. Von daher war es für mich keine Frage: Sollte ich je damit beginnen, ein Spiel zu entwickeln, würde es auf diesem System basieren. Erst dann habe ich mich nach einem geeigneten Schauplatz umgesehen. Dies ist aber eher ungewöhlich, normalerweise sucht man sich sicherlich erst eine Thematik aus, bevor man das System dazu findet."
Wie viel Recherchearbeit steckt in diesem Spiel? Und wie historisch akkurat ist es?
"Es ist schon aufwendig, wenn ein Spiel einigermaßen historisch ablaufen soll, was für mich ein wichtiger Aspekt ist. Zuerst habe ich mir eine Übersicht über die Literatur beschafft und dann entschieden, was ich davon verwenden wollte. Dann habe ich geschaut, welche Spiele mit ähnlichem Thema es schon gibt. Zum einen natürlich um zu sehen, was die anderen gemacht haben, zum zweiten aber auch um sich abzugrenzen. Letztlich kann man sagen, dass ich schon einige Zeit mit Recherchen verbracht habe. Das Ergebnis ist ein vorwiegend historisches Spiel, wo es aber genügend Handlungsspielraum gibt, um nicht als reine Simulation dazustehen."
Du veröffentlichst "Fortress Sevastopol" bei einem sehr renommierten Fachverlag. Gerade, da es Dein Erstling ist, werden sicher viele andere Spieldesigner neidisch wissen wollen: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
"Nun in meinem Fall ist dies leicht zu beantworten. Da ich bei UGG arbeite und Udo erfahren hatte, dass ich mich für Spieldesign interessiere, hat er mir vorgeschlagen, mein Design bei UGG zu veröffentlichen. Ansonsten ist es schon nicht so einfach, einen Produzenten von einem Spiel zu überzeugen. Ich habe schon einige Designs gesehen, die, sagen wir mal, ein gewisses Risiko für den Produzenten bedeutet hätten."
Hast Du schon weitere Pläne? Vielleicht schon neue Spielideen im Hinterkopf?
"Zur Zeit überlege ich zusammen mit meinem Freund Siegfried ein weiteres CoSim zu entwickeln. Es geht dabei um den Stolberg-Korridor in Zusammenhang mit den Kämpfen um Aachen Ende 1944. Dazu wird es aber definitiv ein anderes Spielsystem geben."
Lass die Leser mal über die Schulter schauen: Wie geht man vor, wenn man so ein Spiel entwickeln will? Irgendwelche Tipps für Nachwuchsdesigner?
"Als erstes sollte man sich für eine Thematik entscheiden. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Richtungen: Entweder sucht man sich ein Thema aus, was es kaum oder noch gar nicht gab, oder ein schon häufiger gewähltes, welches aber noch nicht erschöpfend oder aus einer neuen Perspektive dargestellt wird. Ein wichtigen Punkt dabei hattest Du schon oben bei Deinen Fragen angesprochen: Was ist das Besondere an meinem Spiel? Diese Frage muß sich jeder Designer stellen (weil man damit den Hersteller überzeugen kann). Sodann sollte man sich den Maßstab (taktisch, operativ oder strategisch) und damit einhergehend das Spielsystem überlegen. Danach sollte man sich einen Spielplan skizzieren und ein paar Einheiten basteln. Daneben muss man sich schon erste Spielregeln überlegen. Ein oft gemachter Fehler ist, dass sich Designer etwas überlegen, es in ihrer Spielegruppe spielen, aber nicht vernünftig dokumentieren. Die Regeln sind oft eine große Schwachstelle in einem Design. Hier empfehle ich strukturiert vorzugehen und sich andere Regeln zumindest zu Beginn als Hilfsgerüst zu Nutze zu machen. Hat man dann die wichtigsten Komponenten zusammen, dann geht's an testen. Wichtig ist, dass man neben persönlichen Spieletests auch mehrere "Blindtester" (also Spieler, die nur mit den gelieferten Komponenten ohne direkten Kontakt zum Designer spielen) hat, die einem wichtige Informationen liefern. Glaubt man dann, dass das Spiel spielfähig ist, geht die Suche nach einem Hersteller los. Bei CoSims ist der Markt nicht sehr groß und die Anzahl der Hersteller ist überschaubar. Neben den bekannten amerikanischen Herstellern gibt es aber auch einige wenige in Europa. Viel Erfolg bei der Suche!"
Vielen Dank für die spannenden Einblicke und das Bildmaterial. Sehr gerne verweise ich die LeserInnen noch auf die Informationsseite zum Spiel (Link) und die Vorbestellung (Link).
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