Auch wenn ich mit diesem neumodischen Erzählrollenspiel eigentlich nix anfangen kann - Eines muss man dem „Uhrwerk-Verlag“ mit „seinem“ Rollenspielsystem „Fate Core“ lassen: Hier gibt es einfach die coolsten Settings! Letztes Jahr mit „Eis & Dampf“ interessanten Steampunkt und mit „Deponia“ humorvolle Post-Apokalypse - Beide absolut verdient mit einem "GOLDENER STEPHAN"-Leserpreis ausgezeichnet :-D Und dieses Jahr nun der originelle Setting-Mischmasch „Bergungskreuzer MÖWE“, immerhin (und soviel sei gesagt: nachvollziehbarer) Gewinner der ersten „Fate-Weltenband-Challenge“. Worum geht es in diesem Setting überhaupt? 1909 begann ein riesiges Ufo von der Größe Thüringens über dem Atlantik mit Terraforming (oder besser Aquaforming). Die kaiserliche Marine konnte das Ding zwar effektvoll vom Himmel pusten, aber da war der Meeresspiegel schon um 125 Meter gestiegen. Dies hatte im weiteren Verlauf der Weltgeschichte natürlich drastisch verschobene Machtverhältnisse zur Folge: Küstenstaaten wie Dänemark und die Niederlande gibt es de facto nicht mehr, England ist nur noch ein Zusammenschluss weniger Inseln. Auch Frankreich und das zur neuen Weltmacht aufgestiegene Deutschland haben ebenfalls Land verloren, doch noch genug übrig um sich wirtschaftlich auf die maritimen Herausforderungen einzustellen. Und die sind gewaltig: Zwar ist das abgeschossene Ufo im Atlantik versunken, doch scheint es die sich prächtig entwickelnde Meeresfauna gegen die Menschen aufzuhetzen. Da erscheinen die zahlreichen Piraten ja fast als das kleinere Übel... 1982 treten die Spieler ihren Dienst auf dem deutschen Bergungskreuzer MÖWE an. Dieses eigentlich zivile, aber trotzdem gut bewaffnete Schiff dient zur Erforschung und Plünderung der abgesoffenen Städte. Dafür besitzt es nicht nur einen großen Frachtraum, sondern auch Kräne, Tauchglocken und sogar Mini-U-Boote. Also wie gemacht für einen Haufen wagemutiger Entdecker :-) Die auf 21 Seiten etwas knapp beschriebene Spielwelt (inklusive vier globaler Aspekte), welche ein wenig wie ein „Best of maritime Literatur/Filme meets 80er Style“ wirkt, ist überaus originell und launig. Sie macht einfach Spaß und bietet genug Ansatzpunkte, um verschiedenste Abenteuer-Ideen (von Unterwasser-Horror über Entdecker-Action bis hin zu Landratten-Politik) umzusetzen. Dafür wird das Regelsystem um neue, passende Fertigkeiten und Stunts (manche davon nur für Schiffe, welche als NSCs behandelt werden) erweitert. Außerdem gibt es Regeln zu Wind und Wetter, Tauchen und Seekämpfen (z.B. Entern, Rammen und Unterwasserkampf). Es folgen noch rund ein Dutzend Beispielschiffe und dann kann es mit sechs vorgefertigten, mehr oder minder ausgearbeiteten Kurzabenteuern (plus Mini-Zufallsereignisgenerator) auch schon losgehen. Natürlich bedarf es dafür aber erst einer kompetenten Crew: Die MÖWE-Mannschaft wird nach normalen Regeln erschaffen, allerdings gliedert sich die Aspekte-Erschaffung in die drei Lebensereignisse Ausbildung, Erste Fahrt und Zweite Fahrt. Hierbei rät das Buch dazu, schon während dieser Ereignisse erste Verknüpfungen zu anderen Charakteren aufzubauen, damit die Spieler als eingeschworenes Team starten. Außerdem braucht jeder echte Seemann natürlich einen Spitznamen und jedes Schiff einen Heimathafen und einen Kapitän :-) Wer direkt loslegen will, kann auch die vorgefertigte, fünfköpfige Beispiel-Crew nehmen. Was braucht man sonst noch? Gegner! Leider werden hier nur 8 Stück genannt, diese decken aber immerhin eine ausreichende Bandbreite vom „normalen“ Hai bis hin zum fiesen Quallenmensch ab. Außerdem gibt es noch eine Musik-Hitliste des Jahres 1982, wenn man die passende Musik braucht, sowie einen Glossar mit Seemannssprache. Und dann ist das 80-seitige Büchlein auch schon durchgelesen. Und dies ging tatsächlich recht fix, sind die Texte doch flüssig geschrieben und gut lektoriert. Zudem wurden sie mit einigen comichaften, sehr ansehnlichen Illustrationen versehen. Daher gehen die vom „Uhrwerk Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) verlangten 14,95 € für das stabile Softcover, auch wenn das Papier irgendwie ein wenig dünn ist, in Ordnung. Fazit: Ein wirklich sympathisches, originelles Setting hat sich Wettbewerbsgewinner Günther Lietz da ausgedacht. Ich persönlich hätte mir zwar von Allem (z.B. Weltbeschreibung, NSC, Abenteuer) noch viel, viel, viel mehr gewünscht – was zeigt wie sehr ich dieses Setting mag – aber auch so bietet das kleine Büchlein genug Inhalt, um einige vergnügliche Stunden damit zu verbringen fiese Holländer und noch fiesere Quallenmenschen zu jagen ;-)