„Das Schwarze Auge“, mittlerweile über 30 Jahre alt und nach wie vor der Platzhirsch in der deutschen Rollenspiel-Landschaft, gehört selbst in der entschlackten 5. Edition zu den komplexen Vertretern seiner Zunft. Wäre es da nicht schön, wenn man das Spiel auch außerhalb der eingeschworenen Rollenspiel-Gemeinde bekannt machen könnte? Mit dem neuen Abenteuerkartenspiel „Aventuria“ gelingt der Kooperation aus „Heidelberger Spieleverlag“ und „Ulisses Spiele“ genau solch ein Kunststück: Ein überaus leicht zugängliches „Living Card Game“ (nicht zu verwechseln mit „Trading Card Games“), welches man nicht nur im Duell gegeneinander spielen kann, sondern in welchem man auch die Möglichkeit hat alleine oder gemeinsam spannende Rollenspielabenteuer zu bestehen. Da stellt sich natürlich die Frage, ob die beiden verschiedenen Spielkonzepte aufgehen und ob sowas dann auch wirklich Spaß macht? Beginnen wir mit der Duell-Variante, welche sicher die meisten Nicht-Rollenspieler bei „Aventuria“ eher interessieren wird. Hier gilt es, einen Helden mitsamt einem aus 30 Aktionskarten bestehenden Deck gegen einen gegnerischen Helden antreten zu lassen. Wer die Lebenspunkte des Gegenspielers zuerst auf 0 setzt, hat gewonnen. Das jeweils ca. halbstündige Duell ist dabei rasch aufgebaut: Der Lebenspunktanzeiger (ein stylisches Rad) wird auf den Startwert von 40 Lebenspunkte gedreht, die Heldenkarten werden ebenso wie die Schicksalspunkte ausgelegt, dann zieht man aus seinem gemischten Kartendeck die ersten fünf Handkarten. Und schon kann es losgehen :-) Immer abwechselnd führen die Spieler nacheinander folgende Schritte in ihrem Zug durch: Zuerst werden „Beginn des Zuges“-Karten abgehandelt, dann werden zwei Karten vom Nachschubstapel gezogen und die erschöpften Karten wieder aufgeladen (dazu gleich mehr). Nun kommt die, neben dem Angriff, vielleicht wichtigste Phase: Die Wahl der Ausdauerkarten. Diese verdeckt ausgelegten Karten (jede Runde bis zu zwei, entweder von der Hand oder nicht mehr benötigte Ausrüstung) sind sozusagen die Währung oder auch Energie für die Nutzung neuer Karten. Beispielsweise kostet die Ausstattung des Helden mit einem Kurzbogen vier Ausdauerpunkte, sodass man vier Ausdauerkarten verbrauchen muss (und diese erst im nächsten Zug wieder aufladen darf). Ein Angriff mit diesem Kurzbogen kostet dann immerhin noch einen Ausdauerpunkt, sodass man gerade in den ersten Spielrunden abwägen muss ob man lieber rasch aufrüstet oder doch gleich mal ein paar harte Schläge austeilt. Es ist auch sinnvoll, sich noch ein paar Ausdauerpunkte für die gegnerische Spielrunde aufzuheben, um beispielsweise Rüstungen zu aktivieren oder auch freie Aktionen (z.B. verbessertes Ausweichen) zu spielen. Womit wir auch schon bei den Aktionen des Spielers sind. Dieser kann, solange nur genügend Ausdauerpunkte vorhanden sind und er die entsprechenden Aktionskarten auf der Hand hat, seinen Helden ausrüsten, dessen Werte verbessern oder auch einen Angriff starten. Letztes geht bei manchen Helden sogar bis zu drei Mal: Je einmal einen Nah- und einen Fernkampfangriff sowie bei Zauberern einen magischen Angriff. Hierzu würfelt man mit einem W20 (immerhin sind wir bei „Das Schwarze Auge“, da ist der zwanzigseitige Würfel absolute Pflicht ;-)) gegen sein jeweiliges Angriffsattribut, wenn man kleiner oder gleich diesem Wert ist, gelingt die Attacke. Gelingt dies nicht, bekommt der angreifende Spieler immerhin einen Schicksalspunkt (um einen Angriff zu wiederholen, eine weitere Aktionskarte vom Stapel zu ziehen oder einen Ausdauerpunkt zu erhalten). Der Gegner darf dann ebenfalls mit einem W20-Wurf versuchen auszuweichen, gelingt ihm dies, senkt sich die Schadensmenge um die Hälfte. Auch Rüstungen senken den erlittenen Schaden, dessen Grundwert von der jeweiligen Angriffswaffe abhängt. Beim oben erwähnten Kurzbogen wäre dies 1W6+4. Der Schaden, der dann am Ende durchgeht, wird vom Lebenspunkt-Rad runtergedreht, bis dieses auf 0 steht und der betroffene Spieler somit verloren hat. Nicht nur der W20 ist Rollenspielern aus „Das Schwarze Auge“ bekannt, sondern auch kritische Erfolge (gewürfelte 1) und kritische Misserfolge (gewürfelte 20). Für einen kritischen Erfolg darf man eine weitere Aktionskarte vom Stapel ziehen, während der Gegner bei einem kritischen Misserfolg eine Karte aus der Spielerhand auswählen und abwerfen darf. Das ist echt fies… Kleines Zwischen-Fazit: Der Duell-Modus funktioniert spielmechanisch gut und bereitet schon mit der Grundbox – welche mit vier vorgefertigten Charakteren/Kartendecks daherkommt – viel Freude. Mit den zukünftig erscheinenden Erweiterungen, welche dann auch die abwechslungsreichere Zusammenstellung eigener Decks ermöglichen, wird „Aventuria“ aber sicher nochmal einen gehörigen Schub in der Kartenspiel-Community bekommen :-D Ich hoffe dabei sehnlichst darauf, dass der Verlag hierfür in Richtung Organized Play geht und Turniere veranstaltet, vielleicht so eine Art „Friday Night Aventuria“, wie es der große Konkurrent (oder hierbei besser Vorbild) „Magic the Gatering“ vormacht. Gerade auch, weil es sicher nicht ausbleibt, dass die nicht-rollenspielenden Kartenspieler über den Abenteuermodus langsam und behutsam an das „Das Schwarze Auge“-Rollenspiel herangeführt werden. Womit wir beim zweiten Spielmodus von Aventuria sind, welcher meiner subjektiven Beobachtung nach von den Spielern sogar noch viel enthusiastischer als der Duell-Modus aufgenommen wurde! Hierbei kämpfen die Spieler nicht gegen-, sondern miteinander um kleine Abenteuer zu bestehen. Der Spielaufbau gleicht dem des Duell-Modus, nur kommt noch zusätzlich die jeweilige Talentkarte des Helden hinzu. Auf diesem werden seine Charakterwerte (Handwerk, Heimlichkeit, Körperbeherrschung, Sinnesschärfe, Überzeugen, Wildnisleben, Willenskraft & Wissen) angezeigt. Im Prinzip besteht solch ein oftmals mehraktiges Abenteuer aus einem Vorlesetext, welcher in eine W20-Talentprobe (bringt Spielvorteile/-nachteile) oder einen Kampf mündet. Hierbei kämpfen die Helden gemeinsam gegen vom Schwierigkeitsgrad vorgegebene, zufällig gezogene Gegner. Diese haben einen jeweiligen Gefahrenwert (sodass man beim mehrmaligen Durchspielen beispielsweise mal viele schwache, dann aber wenige starke Gegner bekommt) und spezielle Fähigkeiten. Außerdem verfügt jeder Gegner über eine Aktionstabelle, die gewürfelt wird, sobald die Gegner an der Reihe sind. Das W20-Wurfergebnis zeigt an, ob der Gegner sich beispielsweise heilt, einen Helden angreift, einfach nur irgendetwas Atmosphärisches tut (z.B. Ork-Schimpfwörter brüllen) oder aber die Flucht ergreift. Und wofür das Ganze? Natürlich, um ein spannendes Abenteuer zu erleben :-P Aber auch, um Belohnungskarten zu erbeuten und die Charakterwerte zu verbessern. Looten & Leveln halt, wie bei einem „richtigen“ Rollenspiel :-D Zufallsbegegnungen bietet das Spiel übrigens auch, wenn man noch ein wenig mehr kämpfen will... Und wo wir bei dem Thema Zufall sind, das ist vielleicht der einzige kleine Kritikpunkt am Spielsystem, zumindest aus Sicht von Kartenspiel-Powergamern: Durch das Auswürfeln des Schadens kann man schon mal echt Pech haben und mit einem gut ausgerüsteten Helden weniger Schaden anrichten als ein glücklich würfelnder Schwächling. Und im Abenteuermodus kriegt man mit einer schlechten Starthand, zumindest auf den höheren der vier Schwierigkeitsgrade, auch mal rasch die Rüstung zerdeppert – Andererseits, das ist dann ja wie im Rollenspiel auch, also eher eine authentische Balancing-Umsetzung ;-) Die „Aventuria“-Grundbox liefert leider nur ein kurzes und ein langes Abenteuer mit, wohl beide basierend auf „echten“ Rollenspielabenteuern (das war dann aber lange vor meiner Zeit ;-)). Diese sind durchweg unterhaltsam, dank des vierstufigen Schwierigkeitsgrades ist zudem der Wiederspielwert gegeben. Ich bin da sehr gespannt, was in den Erweiterungen folgt, wünschen würde ich mich persönlich etwas in Richtung Spielbuch, also mit mehreren Wegen zum Ziel. Aber ich bin, nach der tollen Grundbox, zuversichtlich dass der „Heidelberger Spieleverlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) mich da nicht enttäuschen wird :-) In der etwas überdimensionierten, aber stabilen Grundbox enthalten sind 4 Helden-, 126 Abenteuer- und 120 Aktionskarten, 4 Heldenmarker, 4 Lebenspunkträder, 9 Schicksalspunkte, 8 Würfel (je 4x W20 und W6), über 70 Spezialmarker, 1 Heldenblock sowie 1 Regel-/Abenteuerheft. Allesamt von robuster Qualität, mit stylischem Artwork und teilweise auch sehr schönen Fluff- und klaren Regeltexten. Gerade das Regelheft sticht hier nochmal gesondert hervor, es ist so übersichtlich gestaltet, dass man sehr rasch in das Spiel reinkommt und kaum Fragen übrig bleiben. Wirklich toll! Insgesamt wirklich sehr gute Qualität für absolut gerechtfertigte 39,95 €. Fazit: Das kommt ja nicht oft vor, aber hier bin ich mal wirklich restlos begeistert. Tolles Konzept, tolle Spielmechaniken, tolles Artwork, tolle Texte – Ich will mehr davon! Mehr Turniere, mehr Abenteuer! Los, macht hin! ;-) PS: Bin ich eigentlich der Einzige, dem aufgefallen ist, dass auf der Verpackung groß „ab 14“ steht, aber im Regelheft „ab 10“? :-P PPS: Danke Nico (Link) für den Hinweis, dass ich den Satz zum Deckbau unsauber formuliert habe. Zur Klarstellung: Auch im Grundspiel kann man sein eigenes Deck bauen!