Als ich letztes Jahr den Verleger Torsten Low fragte, was denn das nächste große Romanprojekt seines gleichnamigen Verlags sei, berichtete er mir enthusiastisch vom Fantasy-Roman „Herbstlande“. Einige Monate später, auf der Literaturmesse „BuCon“ (siehe Bild), konnte er dann die Früchte des Erfolgs ernten: Die „Herbstlande“ waren der absolute Bestseller, auch ich sicherte mir ein Exemplar. Nun, nachdem es schon in einigen Literaturblogs teils euphorische Lobeshymnen auf die von vier AutorInnen geschriebene Geschichte gab, möchte auch ich meine Meinung kundtun. Ganz so kritiklos wie meine Blogger-Kolleginnen bin ich aber nicht...
Das Buch „Herbstlande“ handelt von der jungen Frau Scarlett Hayden, welche durch ihre eigene Naivität und fehlende Reife gefangen ist in einer äußerst ungesunden, von Missbrauch geprägten Beziehung mit dem manipulativen, kontrollsüchtigen Nathan (Besorgte Anmerkung hierzu: Wie nicht nur eine LeserIn, darunter auch eine Blogger-Kollegin, dies als glückliche Beziehung verklären konnte, ist mir schleierhaft???). Jedenfalls fehlt nur noch ein Kind zu Nathans Glück, doch trotz mal mehr, mal weniger freiwilliger Mitarbeit von Scarlett will es einfach nicht klappen. Beim Versuch, Nathans Wunsch doch noch zu erfüllen, versucht es die sich selbst die Schuld gebende, von Verlassensängsten getriebene Scarlett mit einem Kürbiszauber: Sie verbrennt ihren Wunsch in einer Kürbisfratzenflamme, doch ignoriert sie dabei die wichtigste Regel: Anstatt in der Halloween-Nacht nutzt sie den Zauber bereits im August. Die erzürnte Kürbiskönigin rächt sich, indem sie Nathan einen Unfall verursachen lässt und sich so seines Geistes bemächtigt. Scarletts einzige Chance ist nun, mittels erneuter Zauberei in die Herbstlande zu reisen, um die Kürbiskönigin um Erlösung zu bitten... Hierfür muss sie eine ausgesprochen phantasievolle Welt durchreisen, welche nur so vor kreativen Geschöpfen wie Laubdrachen, Regentropfengeister, Feuerfresserchen und Kürbiswichteln wimmelt. Die vier AutorInnen haben sich wirklich redlich Mühe gegeben, die drei Regionen der Herbstlande mit allerlei kreativen, in vielen Fällen noch erfrischend unverbrauchten Monstern und Tieren zu füllen. Jede einzelne dieser drei Regionen ist dabei nach einem Herbstmonat (September, Oktober, November) benannt und atmosphärisch an diesen angelehnt.
Wie oben beschrieben haben gleich vier Autoren an der Entstehung des Fantasy-Romans mitgewirkt. Fabienne Siegmund (Gewinnerin des letztjährigen Blog-Leserpreises GOLDENER STEPHAN in der Kategorie Literatur) beschrieb den Echtwelt-Prolog sowie Scarletts Reisebeginn im September. Besonders lobenswert ist in ihrem Text, dass sie es innerhalb weniger Seiten schafft, mit Nathan einen waschechten Antagonisten zu erschaffen – Ehrlich, eigentlich hab ich das ganze Buch über gehofft, Scarlett möge endlich zu Vernunft kommen und dieses Scheusal bei der Kürbiskönigin verrotten lassen ;-) Stephanie Kempin ist anschließend für den Oktober zuständig, bei dessen Durchquerung Scarlett noch sehr zaghaft, aber endlich mal, anfängt ihre Beziehung zu hinterfragen. Die Geschichte gipfelt schließlich in das November-Finale mit der Kürbiskönigin sowie dem anschließenden Echtwelt-Epilog. Für die merklich düsterere Atmosphäre zeigen sich Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser verantwortlich. Zu all dem steuert Jana Damaris Rech wirklich sehr ansprechende Bilder hinzu.
Gefallen haben mir an „Herbstlande“ die qualitativ guten, wirklich flüssig lesbaren Texte des Autoren-Quartetts. Dabei war ich positiv überrascht, wie ähnlich sich die Schreibstile lesen – Man mag gar nicht glauben, dass hier nicht ein einzelner, sondern gleich vier Schreiberlinge am Werk waren :-) Auch gefiel mir die glaubwürdige Figurenzeichnung der Protagonistin – Nicht nur einmal wollte ich sie kräftig durchschütteln, damit sie zur Vernunft kommt und diese destruktive Beziehung hinter sich lässt. Ihre schrittweise Charakterentwicklung, ihre aufkeimenden Zweifel und beginnende Selbstreflektion, erfolgt dabei bis auf einige seltene Hauruck-Holzhammer-Momente in einem angemessenen, nachvollziehbaren Tempo. Gefallen hat mir, wie oben beschrieben, auch die Kreativität des Autoren-Quartetts, wobei ich ausgerechnet hier aber auch einen der Kritikpunkte des Romans ausmachen muss: Tatsächlich hatte ich an einigen Stellen das Gefühl, die Autoren wären ein wenig zu kreativ ;-) Damit meine ich, dass die Geschichte stellenweise zu langsam voran geht, weil ein ums andere Mal das „Monster-of-the-Chapter“ abgehandelt werden muss und Scarlett so gefühlt auf der Stelle tritt. Zweifelsohne hätte man das Buch an diesen Stellen um gut und gerne 10 – 15 %, also um die knapp 30 – 50 Seiten, kürzen und diese (wie gesagt tolle, aber zuweilen bremsende) Kreativität ins lesenswerte Quellenbuch „Herbstlande – Ein Reisejournal“ (Link) auslagern können. Zudem hätten manche Kapitel ruhig ein wenig dramatischer sein können, nicht immer kam ein echtes Bedrohungsgefühl auf. Zuletzt ist die Handlung ein wenig vorhersehbar, aber hier gilt mal wieder meine gern genutzte Binsenweisheit „Der Weg ist das Ziel“ :-P
Für ein 362 Seiten starkes Taschenbuch möchte der „Verlag Torsten Low“ faire 14,90 € haben. Geht bei so einem Kleinstverlag vollkommen in Ordnung, auch wenn ich mir ein wenig dickeres Papier gewünscht hätte. Dafür verdient das Lektorat nochmal ein gesondertes Lob :-)
Fazit: Der Fantasy-Roman „Herbstlande“ (Link) ist ein kreatives Feuerwerk, bei dem alle vier Autoren gute und überraschend gleichwertige Arbeit geleistet haben. Der September bekäme von mir 82%, der Oktober 81% und der November gar 83%. Damit läge der Durchschnitt bei 82%, aber für die stimmungsvollen Illustrationen spendiere ich noch ein Pünktchen, sodass ich „Herbstlande“ mit 83% beziehungsweise 4,15 / 5 Sternchen eines Nathan-bösen Onlinehändlers aufrichtig weiterempfehlen möchte.