„Eine universelle Dorfbeschreibung für alle Fantasy-Rollenspielsysteme“ - So prangt es groß auf dem Cover von „Schnutenbach: Böses kommt auf leisen Sohlen“ von Karl-Heinz Zapf. Zugegeben, ich war am Anfang ein wenig skeptisch ob dieses Konzept funktionieren würde (schon so manche Universal-Settingsbeschreibung war eher mittelprächtig spannend und nicht zufriedenstellend konvertierbar). Gerade auch, da eben der Fokus auf einem einzelnen Dorf liegt, sozusagen auf jedem einzelnen Haus, anstatt auf einer ganzen Fantasy-Welt. Na mal schauen, ob das was wird…
Schnutenbach ist ein kleines Fantasy-Dorf an der Grenze des Alten Königreichs und weit entfernt von größeren Städten oder gar schützenden Burgen. Auf den ersten Blick geht hier alles seinen üblichen Gang: Der Bauer erntet, der Müller mahlt, der Fischer fischt, der Priester segnet und die Hübscherin… ach, das soll jeder selber rausfinden ;-) Doch die Dorfidylle trügt. Denn viele der detailliert beschriebenen Dorf- und Umlandbewohner haben ein schmutziges Geheimnis. Die können eher harmlos sein wie etwa uneheliche Kinder oder aber gravierend wie Mutationen und Flüche.
Für die Beschreibung des Ortes und der Dorfumgebung verwendet der Autor gut die Hälfte des über 200 Seiten starken Buches. Dabei werden alle wichtigen Orte, von der Schenke bis zur Tischlerei, detailliert und lebhaft beschrieben. Auch die dort lebenden und/oder arbeitenden Dorfbewohner werden mit ihrem Aussehen und den ganz individuellen Eigenschaften und Besonderheiten vorgestellt. Die Beschreibungen sind dabei lebhaft und flüssig, sodass man die Orte und Personen direkt vor seinem geistigen Auge auferstehen sieht. Wobei man hier aber auch zugeben muss, dass der Autor mit einigen Klischees arbeitet, allerdings hilft das natürlich ungemein sich die Personen besser vorzustellen.
Was fängt man nun mit diesen ganzen Informationen an? Idealerweise präsentiert der Spielleiter seiner Gruppe nun einen spannenden Spielplatz, den es zu erforschen gilt. Das Buch enthält mehrere Kurzszenarios und Abenteuer, um den Forscherdrang der Spieler anzuregen und ihnen nach und nach die wichtigsten Personen vorzustellen. Dabei werden gerade die Kurzszenarios ihrem Namen mehr als gerecht, denn sie sind wirklich rasch durchspielbar und zumeist eher eine Anregung für den Spielleiter, daraus eine eigene Idee zu entwickeln. Dafür sind sie aber abwechslungsreich und erfordern sowohl soziale als auch kämpferische Fähigkeiten. Die stärker ausgearbeiteten Abenteuer können dafür, je nach Spielstil, auch mal mehrere Spielsitzungen lang dauern. Mit einer umfangreichen Zufallsbegegnungstabelle wird dem Spielleiter zudem ein mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben, um die Spielrunde nochmal ein wenig aufzupeppen und die Spielwelt lebendiger zu gestalten.
Das Buch endet mit einem kaum mehr als eine Seite umfassenden Mini-Regelwerk namens „Mächte, Mythen, Mutationen“, welches auf einfachen W100-Proben basiert: Es muss lediglich der geforderte Attributswert (insgesamt gibt es 10 Attribute) unterwürfelt werden. Hiernach folgt nochmal eine Auflistung aller relevanten NSCs mitsamt ihrer Attributswerte. Weitere notwendige Angaben, etwa über das Verhalten, die Rüstung oder Zauber, muss man aus der Personenbeschreibung im vorderen Teil herauslesen. Wobei „Mächte, Mythen, Mutationen“ ganz klar eher als simpler Notbehelf gedacht ist - „Schnutenbach: Böses kommt auf leisen Sohlen“ will mit einem bestehenden Regelsystem gespielt werden. Der Einfachheit halber wären W100- oder W20-basierende Systeme sicher zu präferieren, aber ich würde mir (als immer noch sehr unerfahrener Spielleiter) beispielsweise eine „Savage Worlds“-Konvertierung durchaus zutrauen.
Sehr gut lesbare Texte, lebendige Beschreibungen - Bis jetzt gab es eigentlich noch überhaupt keinen Grund irgendwelche Kritik zu üben. Aber jetzt geht es los ;-) Der Aufbau des Buches ist nicht optimal gelungen: Bei so vielen Informationen wäre ein Lesebändchen schön und ein Index Pflicht gewesen. Außerdem ist der Glossar viel zu weit hinten platziert, das ist der Übersichtlichkeit abträglich. Auch die Wahl von schwarzer Schrift auf mittelgrauem Hintergrund (an den Rändern noch mit bis in den Text ragenden, noch dunkleren Illustrationen) ist zumindest diskussionswürdig. Und, aber das ist natürlich Geschmackssache, das Titelbild ist so seltsam nichtssagend…
Wobei mich die Wahl dieses Titelbildes schon echt wundert, wo es doch so viele tolle Illustrationen im Buch gibt. Jeder relevante NSC (mit relevante NSC meine ich Personen & Kreaturen, die auch Werte spendiert bekommen haben, und das sind über 140!!!) hat ein schön gezeichnetes Portrait mit mal mehr, mal weniger comichaften Zügen bekommen. Dazu gibt es einige teils ganzseitige Zeichnungen (warum nicht eine davon als Titelbild???) und mehrere Gebäude- und Höhlenkarten. Der publizierende „Mantikore Verlag“ (Link) hat auch wieder gewohnte Qualität geliefert mit einem guten Lektorat und guter Druckqualität. Für die gebotene Leistung erscheinen mit die 24,95 € durchaus angemessen.
Fazit: Ja, ich war skeptisch ob das Konzept funktioniert. Um es kurz zu machen: Es funktioniert prächtig! „Schnutenbach: Böses kommt auf leisen Sohlen“ ist ein lebhaft beschriebenes und detailliert ausgearbeitetes Setting, welches so viele Anknüpfungspunkte, Ereignisse und Verflechtungen bietet, dass man auch nach der Absolvierung der mitgelieferten Abenteuer viele Spielabende Freude haben wird. Schnutenbach ist jetzt offiziell mein neues Lieblingsdorf :-D
PS: Meinen Dank dem Autoren Karl-Heinz Zapf, der mir ein Exemplar seines Buches zur Verfügung stellte.