Die Comic-Spezialisten vom „Splitter Verlag“ haben ja einige Geschichtscomics im Programm, welche historische Ereignisse mal mehr (z.B. „Roma“, „Auf die Barrikaden!“) und mal weniger (z.B. „Der Ruhm meines Vaters“) stark mit Fiktion und/oder Phantastik vermengen. Zur erstgenannten Gruppe, daher Historiencomics mit stark fiktionalem Anteil, zählt auch der Sammelband „Kameraden“, welcher die Russische Revolution 1917 und die folgenden Kriegsjahre als Kulisse für eine abenteuerliche Adelsromanze nutzt.
Der Gardesoldat Wolodja liebt die junge Frau Ania – Eigentlich könnte alles so schön sein für die beiden Turteltäubchen, würde diese Liebesgeschichte nicht im Revolutionsjahr 1917 spielen und wäre Ania nicht in Wirklichkeit die jüngste Zarentocher Anastasia… Während Wolodja nun gar nichts rafft, enttarnt der skrupellose Revolutionär Stalin die arglose Anastasia rasch und nimmt sie als Geisel, um den Zaren zur Abdankung zu zwingen. Wolodja wird währenddessen in die Februarrevolution verwickelt, dann an die Front abkommandiert und schließlich verhaftet, als er im Zorn zwei betrunkene Kameraden tötet. Um dem Standgericht zu entgehen, wird er von Lenin und Stalin mit einer streng geheimen Mission beauftragt: Er soll die mittlerweile von den Bolschewisten deportierte Zarenfamilie erschießen – Und damit auch seine geliebte Anastasia…
Damit ist der erste von drei Bänden in dieser Sammlung abgeschlossen; hier hat sich schon eine Menge Fiktion mit historischen Ereignissen und Personen gemischt: Beispielsweise schafft Zar Nikolaus II. den Polizeistaat nur deshalb ab, weil Anastasia als Gegenleistung dafür ihre Beziehung mit Wolodja beenden soll. Ehrlich, das ist schon ganz schön großer Quatsch, aber die Autoren Benoît Abtey und Jean-Baptiste Dusséaux setzen in den folgenden beiden Bänden noch eins drauf: So wird die Zarenfamilie im letzten Moment von deutschen und britischen Geheimagenten gerettet, um dann nach Berlin ins Exil zu gehen. Wegen der Reparationsforderungen nach dem verlorenen Krieg schickt die deutsche Regierung jedoch Wolodja und Anastasia in geheimer Mission zurück in das nun vom Bürgerkrieg geplagte Russland, um den zurückgelassenen Zarenschatz zu holen. Es folgt ganz viel Hin und Her mit allerlei historischen Persönlichkeiten (selbst Hitler ist mit dabei, um mit dem Ex-Zaren über Pflichtbewusstsein zu diskutieren!); letztendlich kämpfen Wolodja, Anastasia und Nikolaus II. im polnisch-sowjetischen Krieg gegen ihr einstiges Vaterland…
Wie gesagt, das ist schon ganz schön großer Quatsch. Das wäre eigentlich auch gar nicht schlimm, wenn sich die Autoren auch nur ein kleinwenig die Mühe gemacht hätten, die Protagonisten auch nur irgendwie nachvollziehbar handeln zu lassen. Und vor allem, wenn sie der Geschichte nicht so offensichtlich gezwungene Handlungsverläufe verpasst hätten, bei denen der Leser das Gefühl hat, als wollte man einfach möglichst viele historische Personen und Ereignisse unterbringen, egal wie unlogisch und konstruiert die Geschichte dadurch wirkt… Auch sind die Figuren sehr flach in einem recht plakativen schwarz/weiß-Schema charakterisiert, sodass man nur schwerlich mit ihnen mitfiebern kann. Aber, ich staune selbst ein wenig darüber, trotz aller Kritik macht es doch jederzeit Spaß dem Verlauf der teils recht episodisch erzählten Handlung zu folgen. Der Spannungsbogen bleibt erstaunlich hoch – Ich wollte einfach die ganze Zeit wissen, in was für einen Schlamassel beziehungsweise eher in welches historische Ereignis Wolodja und Anastasia jetzt wieder hineinrutschen und wie es die Autoren zum x-ten Mal hingebogen haben, dass Hauptantagonist Stalin auch mit vor Ort ist (es hat schon seinen guten Grund, warum Stalin so prominent das halbe Buchcover einnimmt).
Während die Handlung also eine Menge Kritik einstecken muss, gibt es für die Zeichnungen von Mayalen Goust viel Lob von mir. Gerade durch die ziemlich blasse, nur durch wenige Farbtupfer (“dank“ vieler Tote und Anastasias Haar vor allem rot) aufgelockerte Kolorierung wirkt jede einzelne Seite sehr atmosphärisch. Lob gibt es auch wie immer für die Druckqualität vom „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat), welcher für 168 Seiten im Hardcover 24,80 € haben möchte.
Fazit: Ich habe es schon zweimal erwähnt, aber nur zur Sicherheit: Die arg konstruiert wirkende Geschichte von „Kameraden“ (Link) ist ganz großer Quatsch. Aber trotzdem entwickelt sie, zusammen mit den wundervollen Zeichnungen, einen ganz eigenen Reiz. Kein Meisterwerk (hier ist und bleibt das im selben Verlag erschienene „Auf die Barrikaden! #2 Die roten Elefanten“ (Link) die Referenz), aber Genre-Fans werden ihren Spaß haben :-)