Gut Ding will Weile haben - Das gilt nicht nur für diese Artikelserie (tatsächlich schon das 30. Indie-RPG-Interview), sondern auch für "MAGUN - Zeitalter der Prüfungen". Denn dieses mittlerweile sehr erfolgreich per Kickstarter finanzierte Fantasy-Rollenspiel hat nun schon anderthalb Dekaden Entwicklungszeit hinter sich. Grund genug, dem Autor Leander Aurel Taubner mal über seine Entwicklungsarbeit auszufragen :-) Hallo Leander. Bevor wir anfangen, stell Dich doch bitte den Lesern vor.
"Ich heiße Leander Aurel Taubner, lebe mit meiner kleinen Familie in Marburg an der Lahn. Ich bin diplomierter Kommunikationsdesigner, arbeite als Projektassistent in einer Agentur und bin noch freischaffend als Illustrator tätig."
Wie kamst Du zum Hobby und wie dazu, ein eigenes Rollenspiel zu entwickeln?
"Ich hatte schon immer Freude an phantastischen Welten. Egal ob Fantasy, Sci-Fi oder einfach nur Märchen. Mit meinem damals engsten Freund habe ich schon mit 12 Jahren eigene kleine Brettspiele gebastelt, und kam durch ihn auch auf Fantasyrollenspiele. Über andere Freunde kam ich dann zu AD&D, dann zu DSA, Shadowrun und noch vielen weiteren Systemen. In meinen Spielrunden hatten wir schon immer vereinzelte Hausregeln oder haben Systemversionen kombiniert. Irgendwann haben mich einige Dinge an den von mir damals gespielten Systemen gestört. Ich bastelte kurz vor meinem Abi an einem SciFi-RPG. Einige meiner Klassenkameraden spielten es mit mir, und wir hatten so viel Spaß daran, dass ich es weiter ausbauen wollte, hatte aber mehr Lust auf Fantasy. Ich begann dann an "MAGUN" zu arbeiten. Meine Spielrunden haben Spaß an den Abenden gehabt und ich baute "MAGUN" immer weiter aus."
Worum geht es da denn nun genau?
"Auf der Kickstarterseite (Link) beschreibe ich es glaube ich am besten: “Ein Fantasy P&P Rollenspiel mit einem Hauch von Horror, einer lebendigen Geister- und Dämonenwelt und neuen Völkern erwartet Dich.” Das Setting von "MAGUN" ist recht klassisch. Ein feudalistisch angelegtes Fantasyspiel, allerdings relativ bodenständig, also kein Highfantasy mit Stachelrüstung und Drachen, die an jeder Hausecke auf einen warten. Dafür aber viel Mystik, Geisterleben und Dämoneneinfluss."
Kannst Du etwas zu den Regeln sagen?
"In "MAGUN" braucht man als SpielerIn nur einen w20. Fast jedes Problem lässt sich mit einem Wurf abwickeln. Ein hoher Wert erhöht die Chancen auf einen Erfolg, und ein niedriges Wurfergebnis erhöht die Qualität der durchgeführten Aktion. Auf diesem System basieren alle Fähigkeiten. Den Kampf beschreibe ich gerne als “fühlbar”, da ich nicht mit abstrakten Zahlenwerten wie “Lebenspunkten” arbeite, sondern mit Wunden und Trefferzonen. Der Kampf wirkt auf den ersten Blick etwas kompliziert, ich habe aber von mehreren UnterstützerInnen bereits bestätigt bekommen, dass die Kämpfe zügig ablaufen und das System von Wunden und Trefferzonen helfen, sich den Kampf sehr bildlich vorstellen zu können, ohne dass die Spielleitung die einzelnen Attacken und Treffer beschreiben muss. Das Magiesystem ist nicht darauf ausgelegt, dass ein magischer Charakter mit seiner Magie in die Schlacht zieht. Es ist zwar möglich, einen magischen Charakter sehr zerstörerisch auszulegen, aber das System ist mehr auf praktische und Fluff-Rituale ausgelegt. Der Aufbau eines Charakters ist so konzipiert, dass man sich als SpielerIn leichter mit den Werten in den Körper und Geist des Charakters versetzen kann. "MAGUN" kann theoretisch ohne Erfahrungspunkte gespielt werden. Die Fertigkeiten verbessern sich durch reine Anwendung und durch Training im Spiel können Werte verbessert werden, ohne dass es Belohnungspunkte bräuchte. Es gibt aber trotzdem Entwicklungspunkte, um zum Beispiel gutes Spiel und extreme Situationen zu belohnen. Es gibt keine Charakterklassen und kein Stufensystem. Man muss sich zwar am Anfang entscheiden, ob ein Charakter magisch begabt ist oder nicht, was die Möglichkeit beeinflusst, besondere kämpferische oder magische Fähigkeiten zu erlernen. Aber danach enden auch schon die “Klassen”-Trennungen."
Was macht "MAGUN" einzigartig? Und, ich weiß das ist eine schwierige Frage, mit welchem anderen Rollenspiel ist es am ehesten vergleichbar?
"Hm… am ehesten vergleichbar? Also, "MAGUN" entstand aus meiner Liebe zu Fantasyrollenspielen und der Welt der Phantastik im Allgemeinen. Daher schmeckt man die klassischen Bilder bestimmt auch noch heraus. Aber ich habe versucht die Klischees immer wieder mit leichten Änderungen zu brechen. Bis auf die Menschen gibt es bei mir keines der “klassischen” Fantasyvölker, keine Elfen, Orks oder Zwerge. Die Magie ist – zumindest hoffe ich das – etwas “begründeter” als in den meisten anderen Fantasywelten. Ich habe Berufungen, die an klassische erinnern, habe aber bei vielen Begriffen mehr nach dem Ursprung geforscht und dann versucht aus diesem heraus einen etwas untypischen Weg zu gehen. Ein Spieler und Spielleiter hat diese Unterschiede ganz gut ausformuliert, da er natürlich einen besseren Blick von Außen auf meine Welt hat. Hier (Link) kann man den Testbericht des Spielleiters lesen."
Was kam zuerst: Das Setting oder die Regeln?
"Am Anfang waren es eher die Regeln. Ich wollte erst gar keine “neue” Fantasywelt bauen, sondern nur ein System aufbauen, das für Fantasywelten funktioniert. Ich habe am Anfang alles mögliche aus anderen mir bekannten Welten genommen und versucht, mein eigenes System zu bauen. Irgendwann kam dann der Anspruch auch die Welt eigenständiger zu gestalten und so wurden nach und nach Dinge gestrichen und umformuliert oder neu interpretiert. Ich hatte zum kitschigen Höhepunkt “meines” Systems 21 spielbare Völker und es war immer schwerer geworden, die Welt konsistent wirken zu lassen. Jede Menge Rotstift und viele Ideen für den Weltaufbau haben "MAGUN" dann immer eigenständiger werden und zu einem konsistenten Neuanfang wachsen lassen."
Wer ist noch alles an der Entwicklung beteiligt?
"In erster Linie meine Frau. Ich nerve sie immer wieder mit Ideen und Konzepten. Dann meine vielen guten Freunde, die nicht zurückhalten, wenn ich nach konstruktiver Kritik frage. So frage ich gerne meine “Powergamer” und Regelfüchse nach bestimmten Ideen, oder sehe dann in Testrunden, wie diese Spieler es dann schaffen, mit meinem Standardheilzauber die Welt zu erobern. Meine Testspieler haben in meinen Augen den größten Beitrag geleistet, um "MAGUN" zu verbessern. Auch die Runden, bei denen ich einfach nur daneben saß und jemand anders leitete die Runde. Ich habe mir immer aufgeschrieben, wenn die Spieler ins Stocken kamen oder wenn meine Formulierungen nicht richtig verstanden wurden. Aber diese Arbeit hört nie auf. Ich schreibe auch jetzt immer noch neue Formulierungen und Ideen auf. Ich befürchte, ein Rollenspiel ist NIE wirklich fertig. Ansonsten muss ich sagen, habe ich alles alleine entwickelt. Die Welt, die Regeln, die Völker und das gesamte Artwork sind von mir. Das geschieht aber nicht in einer absoluten Isolation, das konnte ich nur in Verbindung mit anderen SpielerInnen, mit Vergleichen mit anderen Systemen und den wilden Ideen, die man mit Partnerin und Freunden auf langen Autofahrten hat."
Wie seid Ihr bei der Entwicklung vorgegangen? Lass uns mal über Eure Schultern schauen ;-)
"Es fing wie gesagt damit, an einfach nur “Hausregeln” für eine generische Fantasywelt zu schaffen. Daraus wuchs der Wunsch etwas eigenes zu machen, und damit begann das Weltenbauen. Da ich als freischaffender Illustrator auch für die Umsetzung von anderen Welten gearbeitet habe (unter anderem DSA und Frostzone) sind mir dadurch und durch meinen hohen Konsum von Fantasyspielen und Filmen dann aber schnell die Ähnlichkeiten zu bestehenden Systemen und Welten aufgefallen. Oft werden nur reale Kulturen der Geschichte mit anderer Farbe bestrichen und als neues Fantasyland bezeichnet. Elfen sind überall sehr ähnlich, die Orks sind immer die Bösen oder wenigstens relativ “primitiv” und die Zwerge sind trinkende Bergwerker mit langen Bärten. Das variiert hier und da, mit schönen spannenden Ausbrechern. Shadowrun ist für mich zum Beispiel eine schöne Abwechslung. Ich habe anfangs bei den Regeln fast jeden Spieleabend neue Versionen angeschleppt. Meine Testspieler waren sehr geduldig und haben die vielen Änderungen über sich ergehen lassen. Die Welt ist deutlicher in einzelnen Schritten zu der geworden, die sie jetzt ist. Volk für Volk bekam die Welt ein eigenes Gesicht. Auch die Konzipierung der Institutionen und der gesellschaftlichen Ordnung hat mit am längsten gebraucht. Wo die Änderung der Regeln sehr fließend und ununterbrochen ablief, hat sich die Welt in Clustern entwickelt. Durch eine Idee für ein Volk mussten die Auswirkungen dieser Idee auf andere weltbestimmende Elemente überdacht werden, und so half eine Änderung die nächste einzuleiten."
Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand?
"Fertig. "MAGUN" wurde im Winter 2016 finanziert und Anfang 2017 ausgeliefert. Ich habe fast das sechsfache von dem Erhofften umgesetzt und habe viele Wochen lang unser Schlafzimmer als Bücherlager mitgenutzt. Aktuell arbeite ich an einem Quellenband für den Süden des bespielten Kontinents und an einem Kartenspiel, das im "MAGUN"-Universum spielt. Einige Ideen für das Ausweiten der Regeln habe ich bereits und es wird bald eine kleine Änderung am Regelwerk geben, die hier und da noch etwas mehr Möglichkeiten erlaubt, das Können des Charakters auszureizen. Aber wirklich große Änderungen wird es erstmal nicht geben, auch wenn ich bereits an einer neuen Version rumüberlege und mir immer wieder Ideen in mein Notizbuch schreibe. Die aktuelle Version kann in digitaler Form (Link) erworben werden."
Wo kann man das Spiel mal antesten? Seid Ihr auf Cons oder Spieleveranstaltungen unterwegs?
"Ich selber kann es mir zeitlich wie finanziell nicht leisten, auf mehr als eine Messe im Jahr zu gehen. Das ist in meinem Fall noch die SPIEL, und da auch nur als Zeichner. Allerdings ist die Messe nicht mehr sehr offen für Illustratoren und ich werde mir dann eine neue Messeplattform suchen, allerdings weiter auf Basis meiner Illustrationen. Einige der SpielerInnen von "MAGUN" melden aber von sich aus kleine Proberunden auf Messen an. Auf der RPC, Dreieichcon und der Ratcon wurden schon "MAGUN"-Runden gespielt. Zwei der gespielten Abenteuer kann man bald auf der Homepage gratis herunterladen. Ich habe auch vor, solche Testrunden zu unterstützen, Material für die Spielleitung und natürlich ein bisschen Werbematerial für die Probespieler bereitzustellen. Solche Runden würde ich dann natürlich auch auf meiner Homepage von "MAGUN" verkünden. Das ist aber auch erst für 2018 geplant. Die Cons für dieses Jahr habe ich noch nicht alle auf dem Schirm."
Zuletzt, nach so vielen Jahren Entwicklungserfahrung: Hast Du Tipps für angehende Rollenspielautoren?
"Gute SpielerInnen sind Gold wert. Am meisten habe ich gelernt durch offene SpielerInnen, die Spaß daran haben zu experimentieren, mal ein Charakterkonzept bauen, das noch nicht probiert wurde und die bewusst etwas aus Deinem Regelsystem machen, das zu wenig beleuchtet wurde. Und am wichtigsten, SpielerInnen, die Dir eine ehrliche und vor allem konstruktive Kritik liefern, die fern von “ich mag das nicht” und anderem Geschmackgemecker ist. Auf viele “Kritiken” gehe ich nicht wirklich ein. Wenn zum Beispiel das Setting oder der Stil nicht gefallen, dann ist das keine Kritik, sondern Geschmack. Niemand ist gezwungen, Dein Rollenspiel zu kaufen und Du bist auf keinen Fall gezwungen, es allen Recht zu machen. Ich habe "MAGUN" nicht gemacht um den Leuten zu gefallen, oder um Leute von ihren geliebten Rollenspielen wegzulocken. Ich versuche "MAGUN" so gut vorzustellen wie es mir möglich ist. Wem meine Bilder und meine Ideen gefallen, der wird sich dort auch wohl fühlen. Wer mich aber immer nur mit seinem Lieblingsrollenspiel vergleicht … nun ja. Ich habe versucht in kleinen, aber mir wichtigen Aspekten des Rollenspiels etwas anders zu sein als die Masse. Das kann das System sein, das kann die Welt sein. "MAGUN" war am Anfang sehr generisch. Aber das ist alles am Anfang. Jeder Text, jedes Bild, jedes Lied, jeder Tisch ist am Anfang ein unförmiger Klotz. Irgendwann kommt der Punkt, wo die Arbeit an dem Ganzen nur noch sehr feine Detailarbeit ist, dann sollte man über eine Veröffentlichung nachdenken. Und zum Prozess der Veröffentlichung: Ich habe Kickstarter genutzt. Ich finde die Plattform super und die Unterstützung der SpielerInnen war herrlich. Gebt euch Mühe bei der Inszenierung der Kickstarterseite. Versprecht nicht zu viel und kalkuliert jeden Posten genau. Bonusziele können finanziell ein Desaster werden und euren Gewinn schnell auffressen. Und unterschätzt nicht die Zeit, die man in den Vertrieb und Versand stecken muss. Ich habe 144 Exemplare verkauft und die Logistik dahinter war schon ziemlich nervig. Meine Erfahrung bei Kickstarter waren klasse… und erschöpfend, aber auf jeden Fall eine Erfahrung, an die ich mich gerne erinnere."
Ich danke Dir herzlich für das spannende Interview und das Bildmaterial. Gerne verweise ich meine Leser noch auf die "MAGUN"-Webseite (Link), Deinen Illustratoren-Blog (Link) und eine interessante Zusammenfassung vom Antiquariat Barth (Link).
Tags