„Pegasus Spiele“ ist in der deutschen Pen&Paper-Szene ja schon lange eine feste Größe mit zwei etablierten Marken. Nun gesellt sich neben dem Cyberpunk-Fantasy-Mix „Shadowrun“ und dem Grusel-Rollenspiel „Cthulhu“ noch ein drittes Standbein hinzu: Die Mantel-und-Degen-Fantasy „7te See“, dessen Neuauflage von 11.483 Kickstarter-Backern mit 1.316.813 $ gefundet wurde. Beachtliche Zahlen, aber die deutsche Übersetzung setzt da noch eins drauf: Das vollfarbige Hardcover kostet grad mal nen Zwanni :-D OK, so überraschend ist das nicht, bei den anderen beiden Marken ist es ebenso – Die Backer mussten dafür immerhin 60 $ pledgen ;-) Aber genug drumherum geredet, wie schlägt sich die rundum erneuerte zweite Edition denn nun? Wie gesagt handelt es sich bei „7te See“ um ein Fantasy-Rollenspiel im Mantel-und-Degen-Setting. Handlungsschauplatz ist der abwechslungsreiche Kontinent Théah, welcher von seinem Aufbau her ziemlich an das Europa des 17. Jahrhunderts erinnert: Im Süden gibt es mediterrane Mittelmeer... ähm natürlich Witwensee-Anliegerstaaten wie beispielsweise das an das absolutistische Frankreich erinnernde Montaigni, während im Osten das wüstenreiche Halbmondreich regiert und die rauen Hochlandmarschen im Norden ihre Ruhe haben wollen. Die Länder an sich sowie ihre Beziehungen werden im Grundregelwerk untereinander gut beschrieben. Dabei sind die realen Vorbilder nicht von der Hand zu weisen, sodass ich mich – gerade auch, weil „7te See“ von Überspitzungen und Klischees lebt – überraschend leicht in die Spielwelt einleben konnte. Hier fügt sich selbst Magie gut ein, was aus meinem Mund bekanntermaßen ein großes Lob ist ;-) Das Grundregelwerk enthält neun Kapitel auf knapp über 300 Seiten:
1. Nach einer Kurzgeschichte wird man mit Willkommen bei 7te See kurz begrüßt. Eine knappe Einleitung und Übersicht, die für einen Ersteindruck so aber vollkommen ausreicht, damit man auf den Geschmack kommt. 2. Der Kontinent Théah wird im zweiten Kapitel auf rund einem Drittel des Buches vorgestellt. Zu zehn Nationen erfährt man beispielsweise etwas über Kultur, Namen, Gebräuche und Außen- sowie Innenpolitik. Dazu gibt es jeweils Illustrationen, die den individuellen Charakter dieser Nation gut einfangen. Ferner wird auch über das Alltagsleben, verschiedene Interessengruppen (Kirche, Piraten, Geheimgesellschaften etc.) und auch Monster berichtet. Insgesamt sind die Beschreibungen gut, aber entsprechend der Masse an Nationen kratzen sie doch eher an der Oberfläche und schreien förmlich nach Quellen- und Erweiterungsbänden ;-) 3. Nun weiß man also, worauf man sich da einlässt, also kann man loslegen mit der Erschaffung eines Helden. Die läuft in acht Schritten ab (dazu später mehr) und ist dafür, dass „7te See“ doch recht erzähllastig ist und eigentlich einen recht schmalen Charakterbogen hat, überraschend umfangreich. Aber das muss ja nicht schlecht sein :-P 4. Und was machen Helden dann? Genau, Action und Drama. Hier geht es um die Regeln, zu denen ich später noch genauer schreibe. 5. Überraschenderweise geht es in Zauberei um Zauberei ;-) Interessant finde ich dabei das Konzept, dass es für diese gewaltige Macht keine einheitliche Quelle gibt, sondern dass jede Erscheinungsform einen anderen Ursprung hat und anderen Regeln folgt. 6. Zu einem Mantel-und-Degen-Setting gehört natürlich auch zünftiges Duellieren mit verschiedenen Kampfstilen und -Manövern. 7. Und da man bei einem Spiel, wo schon See im Namen steckt, auch gern mal Seefahrt betreibt, gibt dafür auch noch ein eigenes Kapitel :-) Dabei geht es nicht nur um die bloße Fortbewegung mit einem Schiff und was man dabei erleben kann (z.B. Seeungeheuer), sondern auch um Details wie das Besatzungsmanagement. 8. Die oben angesprochenen Geheimgesellschaften werden in diesem Kapitel ausführlich behandelt. 9. Zum Schluss gibt es noch ein paar Tipps & Tricks für den Spielleiter, woraufhin ein hilfreicher Anhang (enthält z.B. einen Index und den Charakterbogen) das Buch abschließt.
Also ordentlich Material, welches sich sehr flüssig weggelesen hat. Nicht ganz so flüssig lief die Einarbeitung in das Regelsystem, welches für mich recht ungewohnt war: Der Spielleiter beschreibt eine Szene, woraufhin die Spieler mit einem Lösungsansatz reagieren müssen. Ist die geplante Lösung mit einem Risiko verbunden, wird eine Probe vorbereitet. Hierfür stellt man einen W10-Würfelpool zusammen, dessen Umfang sich aus der Summe von einer benötigten Eigenschaft und einer benötigten Fertigkeit errechnet. OK, das war einfach, oder? Jetzt wird es aber ein wenig kompliziert: Für etwas Salz in der Suppe beschreibt der Spielleiter nun warum die Lösung mit einem Risiko verbunden ist, was die Konsequenz des Risikos ist und welche Chance man bei dieser Lösung hat. Dann wird gewürfelt. Aus den Ergebnissen bastelt man sich nun Steigerungen zusammen, daher man legt so viele Würfel zusammen, dass deren Summe mindestens 10 beträgt. Hat man eine Steigerung zusammen, bastelt man sich mit den restlichen Würfeln eine neue Steigerung, und dann noch eine... Einfaches Beispiel zur Erklärung: Drei Würfel, das Ergebnis ist 9 + 9 + 9. Eine Steigerung erreicht man mit 9 + 9 = 18, die dritte 9 reicht nicht bis zur vollen 10 und fällt daher weg. Immerhin kann die übriggebliebene 9 dann vom Spielleiter in Besitz genommen werden, was sowohl dem Spieler als auch dem Spielleiter einen Bonuspunkt bringt. Der erzielten Steigerungen werden dann eingesetzt um Aktionen durchzuführen, Konsequenzen abzuwehren, Chancen zu nutzen, anderen Helden Chancen zu ermöglichen oder ganz profan Schaden zu verursachen. Im Prinzip muss man hier also „Ressourcenmanagement“ betreiben. Wenn man beispielsweise nur zwei Steigerungen hat, sich jedoch zwischen der Durchführung einer Aktion, der Abwehr einer Konsequenz und dem Nutzen einer Chance entscheiden muss, dann bleibt zwangsläufig eine der drei Optionen ungenutzt. Die Grundmechanik ist also recht simpel und darauf ausgelegt narratives Spiel zu fördern (beispielsweise gibt es auch einen Bonuswürfel, wenn man in einer Szene eine neue, unverbrauchte Aktion ausprobiert). Trotz dessen ist der Regelteil überraschend umfangreich ausgefallen, da es noch eine ganze Menge an Zusatzoptionen und Sonderregeln gibt, beispielsweise wenn mehrere Spieler an einer Szene mitwirken, ein Spieler mutwillig scheitert oder Schicksalskarten eingesetzt werden. Genau so umfangreich ist auch die Charaktererstellung, welche in neun Schritten vonstatten geht:
0. Zuerst überlegt man sich einen Entwurf seines Helden. Hat man keine Idee, kann man 20 Fragen beantworten (sehr cool, kann man auch für andere Rollenspiele nutzen). 1. Dann wählt man aus, auf welche der fünf Eigenschaften (Entschlossenheit, Gewandtheit, Muskeln, Stil, Verstand), deren Grundwert jeweils zwei und deren Maximalstufe jeweils fünf beträgt, man seine zwei Erschaffungspunkte draufpackt. 2. Anschließend vergibt man den Nationalitätsbonus. Beispielsweise bekommen die rauen Hochlandmarschen +1 Muskeln oder Gewandheit, während die rebellischen Inismore +1 Stil oder Verstand erhalten. 3. Der Hintergrund individualisiert den Helden. Zwei Stück (sowohl allgemeine als auch nationsspezifische) darf man auswählen, welche Vorteile, Spleens und Fertigkeiten verschaffen. 4. Nun dürfen 10 Punkte auf 16 Fertigkeiten verteilt werden, jedoch nur bis maximal Stufe 3 von insgesamt 5. 5. Jetzt kommen noch weitere Vorteile hinzu, die umso mächtiger sind, je teurer sie sind. 6. Unter dem Punkt Arkana wählt man eine Tugend und eine Untugend, welche jeweils einmal pro Abenteuer aktiviert werden dürfen. 7. Um noch ein wenig Dramatik reinzubringen, bekommt der Held seine Heldengeschichten, daher einen noch ungeklärten Konflikt aus seiner Vergangenheit. 8. Es fehlt nur noch Der letzte Schliff, bei dem man die letzten freien Stellen des Charakterbogens auffüllt.
Zwischenfazit: Für ein Erzählrollenspiel ist „7te See“ überraschend gut ;-) Das Setting an sich ist sehr rund und megacool, meine Testrunde und ich konnten uns wirklich rasch einleben. Das Regelsystem kam ebenfalls gut an, wir mussten uns aber erst komplett umstellen (wir sind ja eher Battlemap- & Tickleisten-Spieler) und dann, als wir uns aufs narrative Spiel einließen, umgekehrt wieder zügeln. Denn durch die Einteilung in Szenen ist komplett freies Erzählspiel eben auch nicht möglich, weil man durch das Würfelmanagement doch in seiner kreativen Freiheit eingeschränkt ist und, gerade da der Spielleiter ja vorher die Chancen und Konsequenzen nennt, auch gerne einfach mal nüchtern & rational das Ergebnis abwägt. Letztendlich wird „7te See“ bei uns öfters auf den Tisch kommen und ich kann mir vorstellen, dass mit ein wenig mehr Spielpraxis alles flüssiger von der Hand geht. Eventuell wäre dies etwas schneller gegangen, wenn die Regeln etwas besser zusammengefasst worden wären. Aber immerhin, das Layout ist übersichtlich und die Spielbeispiele vermitteln doch einen recht guten Eindruck, wie man die Regeln dann in die Praxis umsetzen muss. Trotzdem sollten hier eher erfahrene Spielleiter ihren Job tun, um Spieler zu zügeln :-P Prinzipiell gefallen haben mir auch die Texte und das Artwork, wobei ich bei beiden leichte Einschränkungen machen muss. Bei den Texten, weil sich doch auch mal ein Fehler reingeschmuggelt hat. Und beim Artwork, weil die Bilder zwar gut gemacht, aber doch recht generisch sind – Wenn nicht gerade mal ein Schiff zu sehen ist, könnten diese auch aus jedem anderen Fantasy-Rollenspiel stammen. Ein klein wenig mehr 17. Jahrhundert hätte es ruhig sein dürfen ;-) Präsentiert wird alles in einem 318 Seiten umfassenden Hardcover, welches „Pegasus Spiele“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) für unschlagbar günstige 19,95 € verkauft. Selbst die limitierte Sonderausgabe (Link) schlägt läppische 39,95 € zu Buche! Fazit: Das deutsche „7te See: 2. Edition“ (Link) bietet ein absolut cooles Setting mit einem ungewöhnlichen, nach Eingewöhnung aber funktionierenden Regelsystem. Für den Preis kann man ruhig mal einen Blick riskieren :-D