In den gut anderthalb Jahren, die ich mit dem Rollenspiel-Hobby verbracht habe, sind mittlerweile einige Grundregelwerke in meine Sammlung gewandert. Meistens weil ich das Setting einfach toll fand (beispielsweise „Contact“) und eher seltener weil mir das Regelwerk als solches zugesagt hat (beispielsweise „Savage Worlds"). Ein Rollenspiel aber gibt es, bei dem mir sowohl das Setting als auch das Regelwerk deutlich zusagen: „Star Wars: Am Rande des Imperiums“. Und da mit „Zeitalter der Rebellion“ schon der Nachfolger (oder sagt man eher der rebellische Bruder?) in den Startlöchern steht und ich mich schon mit den Erweiterungen auseinandergesetzt habe, wird es endlich mal Zeit das umfangreiche Grundregelwerk zu besprechen.
Das „Am Rande des Imperiums“-Grundregelwerk befasst sich mit dem spannenden „Star Wars“-Setting rund um die alte Trilogie. Das bedeutet, die Galaxie wird noch immer vom Imperium mit Sturmtruppen und TIE Fightern beherrscht, die Jedi-Ritter glänzen mit Abwesenheit. Doch die Rebellion gewinnt immer weiter an Stärke, während an den Rändern des Imperiums Glücksritter, Kriminelle und Schmuggler ihr Unwesen treiben. Und genau einen solchen sollen die Spieler mit diesem 450 Seiten dicken Grundregelwerk verkörpern können.
Das in einem stabilen Hardcover vorliegende und durchgehend vollfarbige Buch beginnt wie fast jedes Regelwerk mit einer kurzen, gut geschriebenen Einleitung zum Thema Rollenspiel und dem „kriminellen“ Setting. Dann folgt ein einseitiges Inhaltsverzeichnis (wem das zu grob ist: Ganz hinten gibt es 6 Seiten Index!) und schon geht es mit dem ersten Kapitel über die Grundregeln los.
„Am Rande des Imperium“ ist eher ein Erzählspiel als ein Simulationsspiel, obschon dort meiner Erfahrung nach eine ganze Menge gewürfelt wird und es für viele Situationen Regelungen gibt. Proben durchgeführt werden mit insgesamt vier verschiedenen Würfeltypen: W6, W8, W10 und W12. Man kann hierfür ganz „normale“ Würfel nutzen, eigentlich ist das Spiel aber auf speziell für dieses Regelsystem hergestellte Würfel konzipiert: Diese haben unterschiedliche Farben (hellblau: W6-Verstärkungswürfel, grün: W8-Begabungswürfel, gelb: W12-Trainingswürfel, schwarz: W6-Komplikationswürfel, lila: W8-Schwierigkeitswürfel, rot: W12-Herausforderungswürfel und weiß: W12-Machtwürfel) und Symbole (Erfolg, Vorteil, Triumph, Fehlschlag, Bedrohung, Verzweiflung, Macht). Lediglich der W10 wird ebenso „klassisch“ wie selten als W100-Prozentwurf geworfen.
Um nun mit diesen ganzen Würfeln ein Ergebnis zu bekommen, wird ein Pool aus den Begabungs- und Schwierigkeitswürfeln sowie gegebenenfalls Trainings- und Herausforderungswürfeln gebildet. Die gewürfelten positiven und negativen Ergebnisse heben sich dann gegenseitig auf, am Ende hoffentlich mindestens ein Erfolg übrig bleibt um die Probe zu bestehen. Um dies zu erreichen und deshalb das Ergebnis zu den eigenen Gunsten zu variieren, kann man zusätzlich mit hilfreichen Verstärkungswürfeln und noch hilfreicheren, aber nur selten einsetzbaren Machtwürfeln die eigenen Chancen erhöhen. Ein fieser Spielleiter oder eine ungünstige Spielsituation kann die Chancen dagegen mit Komplikationswürfeln erschweren.
Besonders an diesem Spielsystem ist, dass selbst verpatzte Proben (mehr erwürfelte Fehlschläge als Erfolge) dank gewürfelter Vorteile (Triumph- oder Vorteilsymbole) noch eine nahezu cineastische Wendung hervorbringen können. Beispielsweise kann der Held zwar daneben schießen (verpatzte Probe), dank des erwürfelten Triumphsymbols jedoch anstatt des verfehlten Gegners den Kronleuchter treffen, der dem armen Imperialen dann auf den Kopf fällt.
Konkurrierende Proben, beispielsweise das Feilschen mit einem Händler, werden direkt gegeneinander ausgewürfelt, wobei der NSC-Verhandlungsgegner statt Begabungs- die Schwierigkeitswürfel und statt Trainings- die Herausforderungswürfel bekommt. Ist die Anzahl der Würfel bei konkurrierenden Proben gegen Nichtspielercharaktere also immer fest, wird der Schwierigkeitsgrad von Fertigkeitsproben wie z.B. Medizin flexibel über die Anzahl der negativen Schwierigkeitswürfeln bestimmt. Beispielsweise gibt es für das Kleben eines Pflasters auf eine Schürfwunde nur ein oder zwei Schwierigkeitswürfel, während eine komplizierte Operation schon vier Schwierigkeitswürfel erfordert. Ebenso ist es mit den Kämpfen: Ein Schuss auf kurze Entfernung erfordert einen Schwierigkeitswürfel, ein Schuss über große Distanz dagegen schon drei! Im Prinzip ist dieses System also recht einfach erlernbar, auch wenn man zur Auswertung der verschieden interpretierbaren Würfelergebnisse sicher ein wenig Kreativität braucht.
Kämpfe spielen sich durch die spannenden Effekte sehr „cineastisch“ und sind trotz der eher einfachen Regeln taktisch: Zu Beginn wird die Kampfreihenfolge per Würfel bestimmt, dann darf jeder Spieler und jeder Nichtspielercharakter genau einmal eine Aktion (z.B. Angreifen) und ein Manöver (z.B. Zielen) ausführen. Wer in jeder Runde welchen Platz in der Initiativreihenfolge bekommt, steht den Spielern dabei aber vollkommen frei, solange nur jeder Spieler ein einziges Mal dran ist.
Hmm, jetzt hab ich geschrieben dass die Kampfregeln eher einfach sind und doch umfassen sie im Regelwerk 22 Seiten plus einer Menge Seiten an Ausrüstung mit diversen Sonderregeln. OK, formuliere ich es darum doch ein wenig anders: Der eigentliche Kampfablauf geht schnell von der Hand, die Verwaltung der Werte (Wunden, Erschöpfung, etc.) und diverse Sonderregeln bremsten in meiner Spielrunde den Spielfluss aber gelegentlich aus – Wobei, wir sind ja allesamt noch Anfänger, da wird es in erfahreneren Runden wohl zügig und problemlos von der Hand gehen ;-)
Bevor man sich aber in epische Schlachten stürzt, sollte man sich aber Kapitel 2 zu Gemüte führen: In 10 einfachen Schritten geht hier die Charaktererschaffung von der Hand. Wer bei der Charaktererschaffung dabei so unkreativ wie ich ist, kann nahezu alles auswürfeln. Beispielsweise auch die Verpflichtungen, welche gerade fürs Kampagnenspiel einen wichtigen Antreiber darstellen. Kapitel 3 befasst sich mit den zahlreichen Fertigkeiten und Kapitel 4 mit den Talenten. Hier gibt es eine ganze Menge an Möglichkeiten, sodass man am Ende auch dank der 8 möglichen Rassen und 18 Berufe eigentlich wohl wirklich sehr selten auf einen charaktergleichen Mitspieler treffen wird. Auf was man aber definitiv nicht in „Am Rande des Imperiums“ trifft: Jedi-Ritter! Diese kann man erst im irgendwann erscheinenden „Force and Destiny“-Grundregelwerk spielen (die englische Version erscheint demnächst, das heißt die deutsche Version vielleicht Ende nächstes Jahr – Möge die Macht mit euch sein, Heidelberger Spieleverlag :-) ). Wenigstens die Zweitkarriere als „Machtsensitiver im Exil“ ist möglich, allerdings reichen die Fähigkeiten eher für dezente Taschenspielertricks.
Kapitel 5 befasst sich mit der Ausrüstung, Kapitel 6 mit den oben erwähnten Kampfregeln, Kapitel 7 mit Fahrzeugen und Raumschiffen und Kapitel 8 reißt das Thema der Macht an. Besonders erwähnenswert bei dieser Auflistung finde ich das 7. Kapitel: Es liegen ziemlich detaillierte Regeln für den Kampf zwischen Fahr-/Flugzeugen beziehungsweise Raumschiffen bei. Auf diese detailliert einzugehen würde jetzt den Rahmen sprengen, aber ich kann kurz sagen dass sie ziemlich durchdacht sind und meiner Erfahrung nach besonders auf größeren Schiffen mit mehreren Besatzungsmitgliedern gut funktionieren. Beispielsweise kann der Pilot fliegen und der Schütze aus der Geschützkanzel heraus feuern, während der Mechaniker die Schilde verstärkt, ein Störsignal sendet oder beschädigte Systeme repariert.
Es folgt im 9. Kapitel ein hilfreicher Abschnitt für angehende Spielleiter mit zahlreichen Tipps und Hinweisen. Nebenbei bemerkt, dieser Abschnitt ist wesentlich gehaltvoller als die paar Infos aus dem Spielleiterset (siehe meine Review dazu, genau hier in diesem Blog). Dann beginnt mit dem 10. Kapitel und geht fließend über ins 11. Kapitel der umfangreiche Fluff-Teil, wobei das nicht ganz korrekt ist da ja schon in den vorherigen Abschnitten (etwa bei Rassen, Ausrüstung und Fahrzeugen) schon eine ganze Menge Hintergrundinformationen gegeben wurden. Kapitel 12 schließlich präsentiert eine Sammlung typischer Gegner und ganz am Ende im Kapitel 13 wartet ein (von mir leider noch nicht ausprobiertes) kurzes Abenteuer.
So, fertig. Buch durch, ist eine ganze Menge hochqualitativer Lesestoff. Kann man wirklich eine ganze Weile mit verbringen :-) Aber das sollte man auch, denn der Preis ist mit 49,95 € ziemlich hoch. OK sagt jetzt der ein oder andere Leser, das ist doch Rollenspielgrundregelwerk-typischer Durschnitt. Ja, aber da fehlen noch die Würfel welche auch um die 15 € rum kosten (denn immer mittels Tabelle die Werte von „normalen“ Würfeln umrechnen ist echt mühsam und zeitraubend). Trotzdem habe ich aber diesen Preis gerne gezahlt: Denn die Qualität, sowohl vom Druck als auch vom Lektorat und natürlich vom Regelsystem her, ist super. Was aber noch wichtiger ist: Dieses Buch atmet „Star Wars“! Schon das Titelbild mit dem gejagten Millennium Falken und Han Solo & Chewbacca versprüht ordentlich Atmosphäre und innen drin dann sehr vielen Seiten sehr viele sehr schön gezeichnete Bilder! Jeder, der sich für den Krieg der Sterne oder auch nur kampflastige Science-Fiction allgemein interessiert und auch nur ein minimales Interesse am Thema Rollenspiel hat sollte hier beherzt zugreifen!
Und da viele Leser ein „richtiges“ Fazit wollen: Atmosphärisches Regelbuch zu einem spannenden Spielsystem.