Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube im Zuge einer Rollenspiel-Neuveröffentlichung noch nie solch hitzige Diskussionen erlebt zu haben (auch im Bekanntenkreis) wie bei „Achtung! Cthulhu“ (Link). Dabei ging es nicht wie sonst (etwa bei Editionswechseln) um verkorkste Regelmechanismen, sondern um das Setting: Der Cthulhu-Mythos vermischt mit coolen Nazi-Schergen – Ist das geschmackloser Schund oder einfach nur klischeebeladener Pulp?
Vorneweg: Die Frage, ob man so einen Weltkriegs-Cthulhu-Mischmasch gut finden sollte, muss man natürlich für sich selbst beantworten. Als jemand, der solche „Weird War“-Settings bereits von Comics ("Die Eisendivisionen“ (Link), „Spynest" (Link)) und Tabletops ("Dust 1947" (Link)) kennt, hatte ich hier vermutlich weniger Berührungsängste. Zumal mein rollenspielender Bekanntenkreis durchweg die geistige Reife und moralische Festigung besitzt, um das Setting richtig einzuordnen. Aber ich kann durchweg jeden Kritiker verstehen, dem die (ich zitiere mal meinen geschätzten Blogger-Kollegen Hofrat (Link)) „Trivialisierung und “Kewlisierung“ des Dritten Reichs, insbesondere im Artwork“ sauer aufstößt. Das Buch ist sich dieser Problematik bewusst, spricht es im Vorwort aber recht unglücklich formuliert an – Ich bezweifle, dass „Weird War“-Rollenspiele dazu beitragen, das Andenken der Soldaten zu ehren und dass es hilft, die Geschichte nicht zu vergessen und nicht zu bagatellisieren. Hier habe ich eher das Gefühl, als nähme sich das Spiel ein wenig zu ernst :-P Ob man nun den realhistorischen Schrecken mit dem ausgedachten literarischen Schrecken auf eine Stufe stellen muss, mhhhm, das kann man zumindest missinterpretieren...
Okay lieber Leser, Du bist trotz der Thematik noch da, dann lass uns mal über den Inhalt reden: Das „Achtung! Cthulhu: Spielleiterhandbuch zum Geheimen Krieg“ ist ein 320 Seiten starker Ergänzungs- beziehungsweise Quellenband. Zum Spielen benötigt man entweder ein „Call of Cthulhu“- oder „Savage Worlds“-Regelwerk. Alle abgedruckten Spielwerte und Regelergänzungen beziehen sich auf diese beiden Regelsysteme. Beide funktionieren gut, wobei ein Vergleich eher wie der zwischen Äpfeln mit Birnen erscheint ;-) Für heroische Action und größere Gefechte, eventuell auch mit Battlemap, neige ich persönlich eher zu „Savage Worlds“. Diesem ist auch ein eigenes Kapitel gewidmet, womit ich stilvoll zum Inhalt des Spielleiterhandbuches überleite:
1. Nach dem Vorwort folgt Aus den Schatten, einer sehr groben Chronologie realer und fiktionaler Geschehnisse von 1907 bis 1945. 2. Fast das Gleiche gibt es nochmal bei Im Reich, wobei es hier speziell um Deutschland von 1920 bis 1945 geht und es keine Vermengung mit dem Geheimen Krieg gibt. Lesenswert ist dieses Kapitel speziell wegen dem kurzen Text „Die Anziehungskraft des Bösen“, welcher einen Eindruck davon gibt, wie man als Spielleiter gegnerische Menschen-NSCs, also primär Nazi-Soldaten, spielen soll und wie man dies mit dem Mythos in Einklang bringen kann. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass bösartige Menschen den Mythos finden, anstatt dass der Mythos Menschen böse macht – Diesen interessanten Text hätte ich mir im Vorwort und nicht versteckt im Geschichtskapitel gewünscht :-( 3. Wer sich für die Struktur und die Funktionsweise einer Armee interessiert, ist bei Die Macht des Stärkeren genau richtig. Zudem finden sich eine ganze Reihe an Soldaten-Charakterwerten. 4. Mit Der andere geheime Krieg ist der Einsatz von Geheimdiensten gemeint, welche dieses Kapitel vorstellt. 5. Den „echten“ geheimen Krieg führen aber natürlich Geheimgesellschaften und okkulte Gruppierungen, von denen besonders die Nazi-Okkultisten vom „Kult der Schwarzen Sonne“ als vermutlich primärer Hauptfeind vieler „Achtung! Cthulhu“-Kampagnen hervorstechen. Im Gegensatz zu den anderen Okkultisten wird dieser Kult umfangreich beschrieben und auch mit zahlreichen Beispiel-NSCs versehen. Mit ihren übernatürlichen Waffen, Zaubern und Monstern gehen sie noch am ehesten in die Pulp-Richtung, bleibt doch der Rest des Buches eher in der klassischen, "realweltlichen" Mythos-Horror-Schiene. 6. Zum Kampf gegen fiese Okkultisten bietet dieses Kapitel eine ganze Menge Flugzeuge, Züge und Dinge, die krachen. Von kleinen Handfeuerwaffen über Panzer und Bomber bis hin zu Vergeltungswaffen gibt es alles, was man sich vorstellen kann – Natürlich auch in der übernatürlichen Version ;-) Die Auswahl geht in Ordnung, bildet aber nur einen Bruchteil der Entwicklungen ab. Anhand zweier gut nachvollziehbarer Beispiele wird jedoch erklärt, wie man selber Waffen und Fahrzeuge entwickeln kann. 7. Auf in den Kampf ist zweifelsohne selbsterklärend :-P Ob Feuergefechte zwischen Flugzeugen oder Panzern, Erstürmungen von Bunkern oder der Einsatz von Artillerie – All dies wird hier erklärt. 8. Zusätzliche Regeln für Savage Worlds bietet dieses Kapitel. 9. Jetzt wird es wieder etwas okkulter, denn hier geht es um Artefakte und Folianten. 10. Vielleicht will man statt Blei lieber Magie nutzten, hierfür benötigt man Tödliche Illusionen und verfluchtes Wissen. 11. In Schrecken und Monstrositäten wird kurz der Cthulhu-Mythos vorgestellt, eh man die verschiedenen Götter, Kreaturen und Rassen kennenlernt. Neben altbekannten gibt es zudem neue, speziell an das Setting angepasste Wesen wie beispielsweise die Gefallenen, welche man als magisch erweckte Soldaten-Zombies beschreiben könnte. 12. Für Spielleiter besonders hilfreich erachte ich das Kapitel Verbündete und Todfeinde. Neben einer vernachlässigbaren Kurzvorstellung historischer Persönlichkeiten (oder weiß jemand noch nicht, wer Adolf Hitler war?) werden eine ganze Reihe typischer Alltags-NSCs wie Polizisten, Fabrikarbeiter und Hitlerjungen vorgestellt. Zudem werden kurz Beispielsörtlichkeiten beschrieben. 13. Zehn sehr kurze Abenteuerideen bietet dieses Kapitel. Mehr als ein bischen Inspiration gibt’s hier also leider nicht. Eine ausgearbeitete Beispielmission oder eine Plot-Point-Kampagne hätte mir besser gefallen, so war ich von diesem kurzen Kapitel doch sehr enttäuscht :-( 14. Hier gibt es nochmal eine kurze Regelübersicht, gut zwei Seiten für „Call of Cthulhu“ (inkl. Anpassungen an die 7. Edition) und viereinhalb Seiten für „Savage Worlds". 15. Abschließend noch eine kurze Übersicht an Inspirations-Quellen: Bücher, Filme, Museen, Gedenkstätten und natürlich Rollenspiele. Zuletzt finden sich noch eine Danksagung, zwei Seiten Index (inkl. Tabellen-Verweise, sehr geil :-)) sowie Charakterbögen.Spielleiter bekommen also eine ganze Menge Material an die Hand :-D Ich hatte aber irgendwie das Gefühl, der Inhalt wäre ein wenig unausgewogen: Beispielsweise gibt es eine ganze Menge an ziemlich ähnlichen Soldaten-Profilen, aber nur sechs Seiten mit Abenteuerideen. Zudem hätte man, wenn man schon übernatürliche Waffen vom „Kult der Schwarzen Sonne“ bringt, auch gerne noch ein paar Wunderwaffen wie den überschweren Panzer VIII Maus oder die Reichsflugscheibe reinpacken können. So fühlt sich „Achtung! Cthulhu“ bisher, auch wenn das hübsche Titelbild in Richtung Pulp-Action geht, eher wie ein ganz normales „Call of Cthulhu“-Setting (wenn man mal von der "Savage World"-Regeloption absieht) an, welches halt ein paar Jahre nach den 20ern spielt und bei dem die Waffen andere Namen haben. So betrachtet macht es seine Sache aber zu meiner Zufriedenheit: Das Spielleiterbuch ist gut und übersichtlich aufbereitet, zudem flüssig lesbar, denn die Übersetzer und das Lektorat haben bei der Menge an Text überwiegend ordentliche Arbeit geleistet – Wobei, nennt mich einen übersensiblen Gutmenschen, aber die Formulierung „ermordet“ im Zusammenhang mit Kriegsverbrecher Reinhard Heydrich liegt irgendwo zwischen unpassend und bedenklich :-( Die Präsentation ist gelungen, da gibt es nix zu meckern. Auch die Druckqualität stimmt, wie man es halt vom „Uhrwerk Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat) gewohnt ist :-) Der Preis von 39,95 € für ein so umfangreiches, vollfarbiges Hardcover geht vollkommen in Ordnung. Fazit: Das „Achtung! Cthulhu: Spielleiterhandbuch zum Geheimen Krieg“ (Link) ist ein guter Quellen- beziehungsweise Erweiterungsband. Wenn man sich mit dem Setting anfreunden kann, darf man – trotz meiner Kritikpunkte – gerne mal einen Blick hineinwerfen :-)