Lange musste man darauf warten, nun ist er endlich da: Der erste Roman im Universum des „Splittermond“-Rollenspiels. Ich bin zwar zugegebenermaßen nicht der allergrößte Fan dieser Fantasy-Spielwelt (allerdings feier ich das Regelsystem hart), doch klang die Handlung rund um einen Auftragsmörder, der in eine Mordserie rutscht, durchaus interessant. Auch hörte ich über den mit mehreren Szene-Preisen ausgezeichneten Autor Anton Weste nur Gutes, also hab ich mir den Roman einfach mal gegönnt :-) Ob sich der Kauf am Ende gelohnt hat? Der junge Vasco lebt in der vom Handel geprägten Hafenmetropole Herathis und ist ein unscheinbarer Schankbursche im Gasthaus Säufermond. Zumindest nach außen hin, denn eigentlich arbeitet er unter dem Decknamen Schwarzer Dorn als erfahrener Meuchler für die Gilde der Langen Messer. Ihm zur Seite steht die dickliche Gnomin Pitt, mit der er schon so manchen „Kunden bedient“ hat. Eines Tages wird der Ton in der Meuchler-Gilde rauer: Ihr bisheriger Gildenanführer und Auftraggeber Eslat, der sich immer an den Ehrencodex ihres Berufsstandes hielt, wird durch die skrupellose Harlekine Aurania ersetzt. Deren Aufträge passen so gar nicht in Vascos Selbstbild des „edlen Tötungsdienstleisters“, schon bald erkennt er einen Zusammenhang zwischen der neuen Gildenanführerin und der bestialischen Mordserie, welche in Herathis wütet. Als er bei einer Mission dann auch noch das Opfer rettet und stattdessen seinen neuen Partner Aris angreift, kommt es endgültig zum Bruch mit den Langen Messern. Während diese nun Jagd auf ihn machen, versucht er seinerseits hinter die Geheimnisse der Mordserie zu kommen und entdeckt dabei eine gewaltige Intrige, deren Auswirkungen die gesamte Stadt bedrohen… Zuvorderst: Als Leser muss man sich natürlich darüber im Klaren sein, dass die „Protagonisten“ (bewusst in Anführungszeichen gesetzt) des Romans, nämlich Vasco und Pitt sowie später deren Lehrling Ulias, ziemlich skrupellose Auftragsmörder sind und damit eigentlich Antagonisten. Dieses moralische Dilemma versucht der Autor dadurch zu lösen, dass sie sich an einen Ehrencodex halten, welcher beispielsweise besagt, dass man nur „Kunden bedient“, welche sich in irgendeiner Form schuldig gemacht haben. Außerdem müssen die Opfer bei der Tat sehen, wer sie gerade umbringt… Okay, netter Versuch, aber Mord für Geld bleibt Mord für Geld und nebenbei gehen auch gern mal Bedienstete drauf, die das Pech haben, für das Opfer zu arbeiten. Aber sei es drum, letztendlich versuchen diese Schurken die Stadt vor noch größeren Schurken zu retten, da heiligt der Zweck wohl irgendwie die Mittel… Gut, genug über Moral, jetzt mal zum Roman an sich: „Nacht über Herathis“ bietet eine durchaus unterhaltsame, etwas vorhersehbare Geschichte, welche als solche auch problemlos in so ziemlich jedem anderen High Fantasy-Setting funktionieren würde. Da der Roman aber das „Splittermond“-Label trägt, bietet der Autor allerlei Fan-Service und schafft es dabei durchaus, Herathis mit dem „Splittermond“-Flair zum Leben zu erwecken. Seine Beschreibungen fügen sich gut in die Spielwelt ein. Als jemand, der nun kein Fanboy des Settings ist, fand ich die Beschreibungen jedoch etwas langwierig, sodass die eigentliche Handlung ausgebremst wurde und ich beständig das Gefühl hatte, man hätte den Roman um ein gutes Zehntel, vielleicht 30 bis 40 Seiten, kürzen können. Gerade nach dem furiosen Start, bei dem Vasco einen Despoten bedient, dauert es dann fast ein Fünftel des Buchumfangs von 320 Seiten, bis die Handlung endlich wieder an Fahrt aufnimmt. Dabei muss man dem Autor aber zugutehalten, dass in diesen unaufgeregten Passagen schon viele Samen gepflanzt werden, die dann im weiteren Handlungsverlauf erblühen. 320 Seiten (abzüglich einer kurzen Setting- und Figurenbeschreibung sowie einem Glossar, was ich sehr gut finde) sind ein durchaus angemessener Umfang für die recht übersichtliche, in ihren potentiellen Auswirkungen aber weltumwälzende, Geschichte. Da schmerzt es mich schon, dass nicht näher auf die handelnden Figuren eingegangen wird. Gerade die Beschreibung von Vasco ist recht dünn, er ist halt ein supertoller Meuchelmörder mit Ehrencodex und Familienanhang (welcher seine Arbeit nicht so recht gut findet). Mehr erfährt man nicht von ihm, leider gerade auch nicht, warum er diese Profession ausübt, wie er dazu kam und ob er je Zweifel daran hat, etwa weil seine Familie darunter leidet. Hier sehe ich eine große vertane Chance, hätte man die Hauptfigur des Romans doch mit einer nachvollziehbaren Handlungsmotivation deutlich ambivalenter gestalten können. Kumpanin Pitt ist ebenso blass, jedoch erfährt man bei ihr, warum sie lieber Leute umbringt anstatt ehrlichem Handwerk nachzugehen. Immerhin bekommt die dritte Hauptfigur, der Botenjunge Ulias, einen wirklich nachvollziehbaren Grund bei Vasco und Pitt in die Lehre zu gehen. Generell ist er der unterhaltsamste Charakter der „Heldentruppe“ (wie immer mit Anführungszeichen ;-)), welcher mit seinem opportunistischen Kindscharakter die Handlung deutlich bereichert. Auf der Gegenseite sieht es charaktertechnisch auch nicht besser aus: Der Oberbösewicht ist halt ein religiöser Fanatiker und Neu-Gildenanführerin Aurania will Geld und Rache. Durch diese holzschnittartigen Figurenzeichnungen wirken manche Handlungen der Figuren deshalb auch arg abrupt und gewollt. Trotzdem bereitete mir „Nacht über Herathis“ durchaus Lesefreude. Denn sobald die Geschichte mal Fahrt aufnimmt, das ist ungefähr nach dem ersten Drittel, ist sie spannend und unterhaltsam. Die Handlungsstränge greifen logisch ineinander und man kann ihnen gut folgen. Und auch wenn der grobe Verlauf absehbar ist, möchte man letztendlich doch wissen, wie die Geschichte wohl ausgeht und wie die verschiedenen Ereignisse miteinander zusammenhängen. Dazu liest sich der Schreibstil von Anton Weste sehr flüssig, auch hat das Lektorat gut gearbeitet. Daher gehen die geforderten 12,95 € für das 320 Seiten umfassende Taschenbuch beziehungsweise 8,99 € für das eBook in Ordnung. Fazit: „Nacht über Herathis“ (Link) ist ein unterhaltsamer High Fantasy-Roman, welcher für sich betrachtet auch von Nichtkennern des Settings gelesen werden kann, besonders aber „Splittermond“-Fans glücklich machen wird. Er liest sich dank der übersichtlichen, zusammenhängenden Geschichte und dem flüssigen Schreibstil von Autor Anton Weste gut weg, hätte aber noch etwas Feinschliff bei Figurenzeichnung und Erzähltempo gebraucht. So kann ich guten Gewissens ordentliche 74 % beziehungsweise 3,7 / 5 Sternchen vergeben. Knallharte Fans dürfen aber bedenkenlos weitere 5 % draufschlagen ;-)
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