Vor etwas mehr als zwei Monaten ging ein aufrüttelnder Blog-Post durch die einschlägigen Rollenspiel-, Tabletop- und generell Nerd-Foren. Unter dem Titel „Tabletop Gaming has a White Male Terrorism Problem“ (Link) schrieb eine Kanadierin ihre Erfahrungen in der Tabletopszene auf und behauptete, dass die Szene noch heute ein Problem mit weißer, männlicher Gewalt gegen andere hätte. Ich denke, ich reagierte wie viele andere männliche Leser auch: Erst „Schlimm! Schlimm!" (eh man das falsch versteht, ich war ehrlich entsetzt) und dann aber gleich „aber so etwas gibt es bei uns doch nicht“. Oder gibt es das eben doch?
Zugegeben, ich konnte mir das wirklich nicht vorstellen, bis tatsächlich meine Freundin Nadine den Ausschlag gab. Die ist ja mittlerweile auch mal alleine, gerade im Tabletop-Bereich, unterwegs und berichtete mir nicht nur von exzessiven Brüsteanstarren, sondern auch von einem Typen der wohl mehrfach nicht wusste welche Distanzzonen (Link), trotz ihrer Abwehr, angemessen sind... Das Thema ließ mich danach irgendwie nicht los und ich wollte wissen, ob die männlich dominierte Nerd-Szene (wie genau grenzt man diesen Begriff eigentlich ein?) wirklich manchmal nicht weiß, wo sie ihre Finger lassen soll... Eine befreundete Studentin schrieb mir, dass an solchen Vorkommnissen ja immer der Sexismus Schuld sei. Wenn man sich viele Rollenspiel-Illustrationen oder Tabletop-Figuren anschaut (ich denke da nur an die leichtbekleideten Söldnerinnen aus meinem Lieblingsspiel „Dust Tactics“), dann entdeckt man dort durchaus Stereotypen und Sexismus.
Ich habe mich dann über das Thema mit ein paar anderen "Nerds" unterhalten, und wie in der Einleitung geschrieben kam als Antwort dann „aber so etwas gibt es bei uns doch nicht“ oder auch „das sind nur Einzelfälle“. Hatte also Nadine nur Pech? Hatte die Blog-Post-Autorin nur Pech? Ich habe dann einfach mal ein paar Rollenspielerinnen meiner Freundesliste zufällig ausgewählt und angeschrieben. Darunter Spielerinnen aus der lokalen fränkischen und mitteldeutschen Szene genau so wie Szene-Berühmtheiten. Gestellt habe ich sechs Fragen, welche ich zuvor mit einem befreundeten Psychologen, Carsten von Eskapodkast (Link), ausgearbeitet hatte:
1. Wie alt bist Du und wie lange bist Du in der Nerd-Szene aktiv? 2. In welchen Nerd-Szenen außer dem Rollenspiel bist Du aktiv? 3. Findest Du, dass beispielsweise Frauen in Rollenspielen Stereotypen oder Sexismus ausgesetzt sind? 4. Wie empfindest du generell das Verhalten von Nerd-Jungs/Männern Dir als Frau gegenüber? 5. Hast Du schon sexistisches oder unpassendes Verhalten in Deinem Hobby erlebt? 6. Hat Dir diese Erfahrung den Spaß am Hobby gemindert?Insgesamt 8 Frauen habe ich gefragt – mir ist klar, dass dies nicht repräsentativ für ganz Rollenspiel-Deutschland ist – und folgende Antworten bekommen: Cornelia
1. Ich bin 26 und in der "Nerdszene" seit circa 2006; also knapp 10 Jahre. 2. Außer Pen & Paper-Rollenspiel betreibe ich noch aktiv und leidenschaftlich Cosplay und manchmal „Vampire Live“. 3. Grundsätzlich bzw. wenn man sie "live" sieht nein. ABER: Das Internet ist leider sehr auf reine Äußerlichkeiten reduziert und szenefremde (bzw. Leute mit keiner Ahnung was Cosplay ist) sehen sicherlich ein Sexsymbol in der Person 4. Sehr gut! Als Frau werde ich sehr oft mit offenen Armen, sehr freundlich und hilfsbereit empfangen :-) Ich denke, es liegt an der eher geringeren weiblichen Population und finde, da ist definitiv noch Nachrückbedarf an Damen! :-D 5. Ich persönlich noch nicht, lege es aber auch nicht darauf an, bzw. schaue schon auf welchen Veranstaltungen ich keine "Fetisch-Verwechslungsklamotten" bzw. die Mindestrocklänge von 40 cm einhalte ;-) 6. Nein :-D Denke aber, dass es da sicherlich Damen gibt; zumindest habe ich davon schon gelesen... leider (gab da gerade erst wieder einen Pressedurchgang von der Hanami von vor 3 Wochen; da hat ein älterer Herr eine Cosplayerin unsittlich berührt)Bina
1. Ich bin 31 & hab mit 20 angefangen. 2. Ich spiele Pen and Paper, diverse LAPRs und Onlinegames. 3. Auf den ersten Blick vielleicht also rein optisch ja. Aber es kommt immer auch auf die Ausstrahlung an. 4. Die meisten sind eher schüchtern. Schauen zwar, gerade wenn ich was mit Ausschnitt trage, aber trauen sich eher selten was zu sagen. 5. Da ich im LARP auch ab und an eine prostituiere Spiele kam es schon vor, dass mal einer mit zu viel Alkohol versucht hat mich an intimen Stellen zu berühren. Aber die meisten haben bisher immer gut zwischen Spiel und Ernst unterschieden. Daher, Frage 6, hab ich nach wie vor viel Spaß daran.Mháire
1. 31 Jahre alt, 16 aktiver Nerd 2. LARP, Comics, Cosplay 3. Stereotypen auf jeden Fall und einer Form des unbewussten Sexismus (ist doch nicht schlimm… ist doch immer so gewesen …) Männer werden auch überzeichnet (allerdings genauso nach Male Gaze (Link)) 4. In 90% der Fälle okay, 10 % unangenehme Ausfälle. Das gilt aber genauso für Frauen, bizarrerweise. 5. Absolut. Diskussionen darüber, dass Frauen „regeltechnisch“ bestimmte Dinge nicht können und wirklich ekelhafte Vergewaltigungs- oder Sex-Witze. 6. Nicht langfristig.Jadzia*
1. Selbst bin ich fast 26 Jahre alt, in der Nerdszene selbst bin ich quasi mein gesamtes Leben über. Ich fing im Alter von 3 oder 4 Jahren an. 2. Ich bin auch „Star Trek“-Nerd, Musiknerd im Bereich des Musizierens mit Synthesizern und auch Nerd-Brettspiele wie "Eclipse". 3. „Sex Sells“ lautet das Motto, doch hierbei verkommt Frau zum Sexobjekt und der Mann wird als animalisches Tier dargestellt, welches nur seinen Trieben folgt. Beides fördert nicht die Gleichberechtigung und wirft auf beide Geschlechter kein gutes Licht. Mann als Täter, Frau als Opfer. Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr wird klar, inwieweit Sexismus die Gesellschaft durchdringt und welche Folgen er hat. Auch im Nerdkontext tritt Sexismus leider auf. 4. Das Verhalten männlicher Wesen ist im Regelfall mir gegenüber absolut korrekt, egal ob „Star Trek“ oder Brettspiele, man muss dabei eben aber auch sehen, ich bin nicht das typische Mädel; eher werde ich mal noch mit einem Jungen verwechselt. Würde ich aber belästigt werden oder würde ich nur aufs Äußere reduziert werden, zum Objekt, das würde mir sehr den Spaß an der Sache verderben. Auf solche oberflächlichen Dinge sollte es aber gemäß Gene Roddenberrys „Star Trek“-Vision auch nicht ankommen. 5. Selbst habe ich in allen Bereichen Sexismus nicht erfahren müssen (damit erübrigt sich Frage 6), beobachte ihn aber sehr stark. So sind klassische Beispiele Messebabes, die Hardware schmackhaft machen sollen oder die leicht bekleidete Kämpferin in Computerspielen. Dies soll nicht generalisiert werden, es ist nicht überall so. Zum Beispiel die Heldin in "Mass Effect", man hat die Wahl beim Geschlecht, trägt eine realistische Rüstung und kein „Taschentuch“. Wiederum andere Spiele wie zum Beispiel "Dead or Alive" und "Tomb Raider" mit Lara Croft sind das Beispiel für Sexismus schlechthin. Hier soll eindeutig das pubertierende Publikum angesprochen werden oder der einsame Nerd. Solche Fehldarstellungen vermitteln aber auch ein vollkommen falsches Frauenbild.Melanie*
1. Ich bin 24 Jahre alt und seit 14 Jahren in der Nerd-Szene aktiv. 2. Ich bin Rollenspieler, Larper, Cosplayer und Warcraft Spieler. 3.Dass Frauen im Rollenspiel immer knapp angezogen sein müssen, find ich persönlich lästig, aber ich habe mich damit abgefunden, da nun mal die Herren die Szene dominieren. Mir persönlich wird die Frau zu sehr auf ihr äußeren Reize beschränkt, fast so als könnte sie nichts anders. Dies ist zum Glück nicht in jeder Gruppe so, aber leider schon in vielen Regelwerken sind die Bilder und die vorgefertigten Charakter immer leicht bekleidete Damen wenn es um Zauberer, Druiden und Co geht. Es ist immer das Gleiche: Die Frau im Rollenspiel ist die super sexy magisch Begabte mit zu knappen Klamotten. Ja es sexistisch und stereotypisch. 4. Das Verhalten der Herren finde ich so wie es ist in Ordnung, sie drängen sich mir nicht auf und lassen mich nicht links liegen (Ausnahmen gibt es immer mal). 5. Unpassendes Verhalten habe ich bereits erlebt. Ich war damals nicht allein, ein weiteres Mädchen musste mit da durch. Wir haben uns zusammen gerauft und uns gewehrt so gut es ging. Das Verhalten in diese Gruppe war einerseits so dass wir Damen nichts zu melden hatten. Alles was wir sagten wurde ignoriert. Unsere weiblichen Charakter wurden regelmässig von ihren ausgezogen und so weiter. Das kann man noch belächeln. Allerdings steigerte sich das bis dahin, das es vom IT auch ins OT ging und die Aussage wie wir Frauen seien nur zum Putzen, Kochen und fürs Bett gut, für was anders braucht man uns nicht... Man musste sich von Herren zwischen 16 und 28 sowohl im Spiel als auch außerhalb also Sexobjekt behandeln lassen, alles nur verbal und nicht nonverbal. Mit ihnen spiele ich nicht mehr und wenn am Spielertreff einer in die gleiche Runde will, such ich mir eine andere. 6. Mir hätte es den Spaß am Hobby genommen, wenn ich nicht bereits die Erfahrung gemacht hätte dass es anders geht und nur diese Gruppe, in der ich öfters rein rutschte so ist. Für die andere die dabei war, hat nach viermal in dieser Runde das Hobby ein Ende gefunden. (Ich kann sie verstehen, ohne andere Erfahrungen hätte ich auch auf gehört)(alle mit Sternchen gekennzeichneten Namen sind Pseudonyme) Das waren bisher fünf Erfahrungsberichte. Zwei weitere Angeschriebene antworteten mir, dass sie etwas in die Richtung nie erlebt hatten. Eine letzte Angeschriebene meldete sich emotional aufgewühlt, dass sie darüber nicht schreiben könne, weil sie ihre Erinnerungen zum Heulen brachten :-( „So etwas gibt es bei uns nicht“ - Offensichtlich doch. Und um ehrlich zu sein, ich bin schon ein wenig erschüttert darüber was ich lesen musste. So eine kleine Stichprobe, doch so viele negative Erfahrungen :-( Man kann es aber auch andersherum sehen. Sie alle berichteten davon, dass der deutlich überwiegende Teil der männlichen Spieler sich vollkommen korrekt verhalten hat. Also doch nur Einzelfälle? Vielleicht. Aber jeder Einzelfall ist natürlich einer zu viel. Aber wie kann man diese Einzelfälle verhindern? Sexismus aus Rollenspielen, Comics, Tabletops etc. verbannen wird nicht funktionieren. Das ändert keine verfestigte Gedankenstrukturen. Was wohl eher hilft, ist „Zivilcourage“. Bei der aktuellen [Blog-O-Quest] (Link) antworteten Teilnehmer bei der entsprechenden Frage, dass sie bei Rassismus sofort einschreiten würden. Genau so sollte es bei Sexismus sein. Gerade was Melanie* aus ihrer Spielrunde berichtete, so etwas schreit danach dass man auf den Tisch haut und den/die entsprechenden Spieler zur Räson ruft oder, wenn das nicht hilft, rauswirft. Denn was wir alle nicht brauchen können, dass unser gerade wieder irgendwie an Popularität gewinnendes Hobby durch negative Erfahrungen, verursacht durch ein paar Deppen, in Verruf gerät.