Wer die letzten Tage rsp-blogs.de durchforstet hat, bemerkte möglicherweise, dass ein Thema immer wieder auftauchte: "Maleficium" (Link), ein auf dem Esoterik-Kartenspiel "Tarot" basierendes, düsteres Rollenspiel. David Ruschkowski hat nämlich, passend zum Crowdfunding-Start (Link), einige Blogs angeschrieben - So auch mich ;-) Und weil ich ja liebend gerne den Spieldesign-Nachwuchs unterstütze, erzählt euch David jetzt, warum ihr euch sein Rollenspiel unbedingt mal anschauen sollt... Hallo David. Stell dich doch erstmal den Blog-Fans vor.
"Hi Philipp, meinen Namen hast du ja schon preisgegeben. Ich bin 34, wohne in Herne, habe einen Hund, und in meiner Freizeit versuche ich so oft zu spielen, wie es nur geht. Als Kind und Jugendlicher waren es meist Videospiele, die mich begeistert haben. Ich glaube Spiele wie "Unreal", "Mechwarrior 2: Mercenaries" und co., mit denen ich schon früh in Kontakt gekommen bin, haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Analoge Unterhaltung war natürlich am Rande auch immer mit dabei und mittlerweile bevorzuge ich diese Art des Spielens, sei es Rollenspiel, Brettspiel, Kartenspiel – Gesellschaftsspiel eben."
Ganz allgemein, wie kamst du zum Rollenspiel-Hobby?
"Über Familie. Ich kann mich nur noch vage erinnern, aber mein Bruder hat mich damals mit zu einer DSA-Session genommen. Mein erster Charakter war ein Jäger, der am Rande des Weges stand und bei der nächstbesten Abenteuergruppe angeheuert hat. Das Warum spielte nur eine untergeordnete Rolle. Aber es hat Spaß gemacht. Zur selben Zeit habe ich im Badmintonverein mit einem Freund begeistert über Rollenspiel und die Möglichkeiten dieser neuartigen, für uns beinah magischen Form des Spiels gesprochen. Sowas wie RPG war uns damals noch nicht untergekommen und ich war einfach beeindruckt von den Möglichkeiten und Freiheiten, die Rollenspiele boten. Wir haben also schnurstracks ein paar Freunde zusammengetrommelt und eine Runde gegründet. Ich war SL und habe ein Einführungsabenteuer für "Dungeons & Dragons", das damals in der Schachtel von "Baldur's Gate 2" beigefügt war, für DSA konvertiert (mit einem seeeeeehr langen eigens geschriebenen Einführungstext). Als ich dann das erste Mal dran war, einen Charakter in der Runde zu verkörpern, hat es richtig gezündet. And the rest is history, as they say. Kurioserweise war es eine Gruselszene mit einem Geist auf einem Dachboden, die mich in seinen Bann gezogen hat. Die DSA 4-Spieler wissen wohl, welche ich meine. Es scheint also passend, dass mein erstes veröffentlichtes Spiel dem Horrorgenre zuzuordnen ist."
Und wie verlief deine Karriere vom Spieler zum Spieleentwickler?
"Die fing an, als ich das erste mal Stift und Würfel in die Hand genommen habe und die "Schwerter & Helden"-Box meines Bruders aufgemacht habe. Jeder Spieler entwickelt eigene Charaktere im Rollenspiel und jeder SL eigene NSCs, Szenarien und Welten. Und mit Regelsystemen und dem Schreiben bzw. Umschreiben eben jener befassen sich in der Spielpraxis doch auch beide. Hier werden Hausregeln aufgestellt, die alte ersetzen, dort ganz neue hinzugefügt, um eine Situation abzudecken, für die bislang eine Regelumsetzung fehlte. Was unterscheidet den "klassischen Spieleentwickler" vom "gemeinen RPGler". Ich würde sagen nicht viel. Und das ist ja auch eines der tollen Seiten dieses Hobbys."
Nun spoilere ich mit dieser Frage zwar schon ein wenig den Unique Selling Point, aber es gehört ja auch irgendwie zur Vorstellung: Das Besondere an "Maleficium" sind ja die Tarot-Karten. Hast du zu dieser Thematik einen besonderen Zugang?
"Nein, eigentlich nicht. Die Idee, ein kurzweiliges Horrorspiel mit Tarotkarten zu schreiben, kam mir schlichtweg eines Tages (vermutlich unter der Dusche? Keine Ahnung). Tarotkarten werden ja übernatürliche Fähigkeiten nachgesagt. Sie sind esoterisch, haben aber auch etwas Mystisches, Unergründliches an sich, und das macht sie für mich in Bezug auf Grusel interessant.
Kommen wir mal zu deinem in der Entwicklung befindlichen Rollenspiel: Worum geht es eigentlicht in "Maleficium"?
Bei "Maleficium" geht es um Figuren, die mit Fehlern behaftet sind und in einer scheinbar ausweglosen Situation, und zwar einem Fluch, der auf ihnen liegt, den Ausweg finden müssen. Dabei werden sie mit Monstern, böser Magie, Kultisten, Tentakelviechern, oder was dem SL sonst noch einfällt konfrontiert. Aber eben auch mit ihren eigenen Makeln. Zudem stehen sie unter Zeitdruck, denn der Fluch steigert sich in seiner Intensität im Laufe der Handlung. Szenarios bei "Maleficium" dauern daher nur wenige Spieleabende an. Ein Spielleiter präsentiert klassischerweise Welt und Gefahren und bis zu vier Spieler können teilnehmen."
Horror-Rollenspiele gibt es viele, Universalsysteme auch. Besonders an "Maleficium" ist ja die Thematik des Verfluchens. Wie kamst du darauf und wie wird das spielerisch umgesetzt?
"Ich hatte mir ja schon früh die Einschränkung auferlegt, Tarotkarten statt Würfel zu benutzen. Nun musste ich einen Weg finden, die großen Arkana, also Karten wie den Narren, den Teufel, den Turm und so weiter, in das Spiel zu integrieren, denn einfach unter den Tisch fallen lassen konnte ich die natürlich nicht. Anfangs war die Überlegung, die Karten tatsächlich wie beim Kartenlegen anhand ihrer Motive zu interpretieren. Die Idee habe ich aber schnell fallen gelassen, weil ich dem SL diese Arbeit nicht antun wollte. Es sollten also klare Regeleffekte her, und zwar von der Art, die sich Zahlen zu Nutze macht oder bereits bestehende Regeln abändert oder aushebelt. Der Fluch war eine Möglichkeit, diese Regeleffekte zu legitimieren. Warum erhält man Schaden, wenn man den Tod zieht? Naja, man ist eben verflucht. Jetzt muss sich der SL für das Szenario, das er leitet, nur noch überlegen, wie genau sich diese Regeleffekte im Narrativ auswirken."
Und damit sind wir bei der Mechanik. Wie genau funktioniert das Regelsystem?
"Ist das Ergebnis einer Handlung unklar, steht eine Probe an. Zu diesem Zweck hat jeder Charakter drei Wesenszüge, Körper, Verstand und Seele, die Werte von 1 bis 5 haben. Man zieht nun eine Karte vom gemeinsamen Kartendeck und deckt diese auf. Es gibt drei Informationen, die auf der Karte relevant sind: Wert, Farbe und Ausrichtung. Der Wert wird mit dem Wesenszug addiert, um einen Schwellenwert zu erreichen oder zu überschreiten. Wenn das gelingt, ist die Handlung gelungen, ansonsten nicht. Farbe und Ausrichtung sind in Bezug auf Nebeneffekte von Bedeutung, die bei den meisten Proben zusätzlich zum Tragen kommen. Die Farbe bezieht sich dabei auf einen Aspekt des Charakters oder seiner Umgebung und zwar wie folgt.
Kelche: andere Charaktere Münzen: Materielles oder Körper Schwerter: Verstand Stäbe: Seele
Die Ausrichtung sagt aus, ob der Nebeneffekt positiv oder negativ ist. Wurde die Karte richtig herum gezogen, passiert etwas Gutes, wurde sie umgekehrt gezogen, passiert etwas Schlechtes. Hier werden die Vorteile von Spielkarten als Mechanismus deutlich, denn sie enthalten mehr Informationen als ein Würfel. Nicht umsonst ist "Magic: The Gathering" so komplex, obwohl die Grundregeln vergleichsweise simpel sind. Hervorheben möchte ich auch den Fluch höchstselbst: Der SL sammelt im Laufe des Szenarios große Arkanakarten. Hat er genug davon in seinem Besitz, kann er diese als Set aus Charakterkarte, Effektkarte und Zusatzkarte spielen und die schädlichen Effekte des Fluchs zur Geltung bringen. Der Spieler ist dabei aber nur betroffen, wenn er von diesen drei Karten verdeckt die Effektkarte zieht. Und je höher seine Fluchstufe ist, desto häufiger muss er ziehen! (die Karten werden neu gemischt, wann immer der Spieler von ihnen zieht) Diese großen Arkanakarten, die die Macht des Fluchs repräsentieren, erhält der SL, indem die Spieler vom Kartendeck ziehen. Jede Probe ist für die Spieler also immer mit einem Risiko verbunden."
Und wie funktioniert die Charaktererschaffung?
"Auf die Wesenszüge werden Punkte frei verteilt. Schwerpunkte dienen der weiteren Ausgestaltung der Charaktere. Die werden frei formuliert und können Fertigkeiten darstellen, aber zum Beispiel auch Persönlichkeitsmerkmale, die von Vorteil sein können. Dann sucht sich der Spieler zwei der im Spiel erhältlichen Charakterkarten aus. Diese Karten muss der SL beim Wirken des Fluches spielen, um dem Charakter zu schaden. Es gibt:
Der Narr Der Magier Die Hohepriesterin Die Herrscherin Der Herrscher Der Hierophant Der Eremit Der Gehängte
Darüber hinaus gibt es noch die Makel. Der Spieler formuliert für seinen Charakter seine größte Angst, seinen größten Fehler und seine größte Schwäche. Diese drei Punkte liefern solide Anhaltspunkte für die Persönlichkeit des Charakters und sind einerseits eine Spielhilfe für den Spieler, andererseits aber auch eine Inspirationsquelle für den SL. Er kann die Antworten, die die Spieler auf diese drei Fragen geben, beispielsweise bei der Ausgestaltung seiner Flucheffekte einsetzen. Die Effektkarte "Die Mäßigkeit" hat etwa zur Folge, dass der Wesenszug Verstand permanent um 1 sinkt. Schön und gut, aber wie könnte das in der Praxis aussehen? Zum Beispiel könnte ein Charakter, dessen größter Fehler es war, jemanden umgebracht zu haben, auf den Geist seines damaligen Opfers treffen und dabei den Verstand verlieren."
Für welchen Spieltyp ist das System gedacht? Eher Erzählspiel-Fans oder Powergaming-Regelfüchse? Und mit welchem anderen Rollenspiel könnte man "Maleficium" vergleichen, damit die LeserInnen eine ungefähre Vorstellung bekommen?
"Ich vergleiche das Spiel gerne mit "Dread", weil es ähnliche, kurzweilige Horrorgeschichten erzählen kann. Der Unterschied ist, dass "Maleficium" ein weiter ausgebautes Regelgerüst hat. Diese Regeln transportieren das Thema des Spiels, sind im Kern aber durchaus auch konventionell und sollten daher für die meisten Rollenspieler leicht verständlich und umsetzbar sein. "Maleficium" ist ja auf kurze Szenarien ausgelegt, und da möchte man sich nicht erst mit komplexen oder unintuitiven Regeln auseinandersetzen müssen. "Maleficium2 ist aber dennoch regelleicht und ermöglicht daher noch keine nennenswerten Powergaming-Strategien oder Min Maxing. Es gibt auch keine Charakterentwicklung im Sinne der Spielwerte. Der Fokus liegt auf der Handlung, die von Spieler und Spielleiter gleichermaßen vorangetrieben wird."
Wie weit ist die Spielentwicklung fortgeschritten? Was gibt es schon? Was funktioniert gut? Wo muss noch gearbeitet werden?
"Ich selbst habe Testspiele geleitet, war bei welchen als Spieler dabei und andere Runden haben ohne mein Zutun das Spiel ausprobiert. Das Spiel ist regelseitig fertig, soweit man bei sowas jemals von fertig sprechen kann. Denn irgendwas lässt sich immer abändern, manchmal sogar, weil solche Projekte lang in der Entwicklung sind und sich der Geschmack des Entwicklers ändert. Irgendwann muss man aber doch einen Schlussstrich ziehen. Man will ja nicht wie George Lucas enden. Ich will mein Augenmerk nun verstärkt auf Layout richten. Und was definitiv fehlt ist Artwork."
Heute startet ja dein Crowdfunding. Warum wählt du diesen Finanzierungsweg und wofür ist das Geld genau?
"Den Weg des Crowdfundings schlage ich ein, damit das Buch auch gut aussieht. Das Geld kommt nämlich der Finanzierung des Artworks durch den Künstler Rüdiger Neick zugute, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, Teil des Projektes zu werden. Rüdiger ist ein erfolgreicher Künstler aus dem Osten der Republik und ist auf Schwarz-Weiß-Kunst spezielisiert. Er malt Naturlandschaften, fängt aber auch das rege Treiben der Großstadt mit seinen Bildern ein. Besucht doch mal seine Website (Link) und überzeugt euch selbst: https://www.recknitzthal.de/de/ Das Crowdfunding findet auf Startnext (Link) statt und läuft vom 14. Mai, also heute, bis einschließlich 30. Juni. Als Dankeschöns wird es Postkarten, Kunstdrucke von Rüdigers Bildern und Kerzen mit "Maleficium"-Logo geben, die am Spieltisch für die richtige Spielatmosphäre sorgen. Ich biete sogar die Vorabversion eines meiner noch nicht vollendeten Spielprojekte an, für die, die sowas gerne mal testen. Die Preise sind auf meiner Startnext-Seite (Link) einsehbar."
Nehmen wir an, dass das Crowdfunding erfolgreich und irgendwann mal abgeschlossen ist: Wie geht es weiter? Mehr Spielmaterial für "Maleficium" oder ein neues Entwicklungsprojekt?
"Ideen für neue Spiele gibt's immer. Ich glaube da bin ich nicht allein. Manch eine ist vielversprechend genug, um weiter daran zu arbeiten, aber was ich mit diesen Projekten mache, entscheide ich, wenn sie soweit sind. Ich will mich da auch nicht selbst unter Druck setzen, denn Game Design soll Spaß machen. Genau darum geht's doch letztlich. Der Plan für "Maleficium" besteht darin, weitere Fertigabenteuer auf meiner Website www.maleficium-spiel.info (Link) hochzuladen."
Zuletzt: Hast du für den Rollenspielentwicklungsnachwuchs ein paar Tipps & Tricks?
"Es ist immer hilfreich, sich aufzuschreiben, was man mit dem Spiel erreichen möchte, was die Leitmotive sind. Das dürften auch dieselben Argumente sein, die dich anfangs dazu gebracht haben, das Projekt überhaupt anzugehen. Auf die kann man während des Schreibprozesses zurückgreifen, wann immer man bei einer Regel unsicher ist. Man fragt sich dann: Wieso ist diese spezielle Regel so, wie sie ist? Solange die Antwort in einer Beziehung zu einem Leitmotiv des Spiels steht, ist alles gut. Und das kann man mit jeder Regel machen. Ich kenne sogar thematisch starke Regeln zu Ausrüstungsbelastung (siehe "Blades in the Dark"). Im Idealfall bekommt man so ein Spiel zustande, dessen Botschaft allein durch die Regeln transportiert wird. "Mutant: Year Zero" ist ein gutes Beispiel. Da geht es um Exploration, Verfall, Gemeinschaft und Neuaufbau und das wüsste ich auch, ohne ein Wort im Spielleiterteil gelesen zu haben. Natürlich muss nicht jede Regel tief im Thema des Spiels verankert sein. Für solche Regeln fällt mir auch noch ein Tipp ein: Nicht das Rad neu erfinden."
Vielen Dank David, dass du in so einer arbeitsreichen Crowdfunding-Vorbereitungsphase etwas Zeit für mich hattest :-)
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