Endlich wieder ein Indie-Interview, diesmal allerdings zum Thema Brettspiel :-D Andreas Odendahl, kurz Ode, hat sogar schon bei einem Kleinverlag sein erstes eigenes Spiel veröffentlicht. Und noch einige weitere Konzepte in der Schublade, worüber er nun freudig Auskunft gibt :-) Hallo Ode. Stell Dich doch bitte erstmal den Lesern vor.
"Ich bin Andreas Odendahl, aber alle nennen mich seit meiner Jugend "Ode", was ich mehr oder weniger nun auch selber mache. Ich werde dieses Jahr schon 40, bin aber immer noch Spielkind. Ich lebe in einem kleinen Örtchen namens Leer im Münsterland mit meiner Frau und einem halben Zoo. Wir haben Hunde, Katzen und auch zwei Ziegen. Neben unseren eigenen Hunden nehmen wir auch immer wieder Pflegehunde aus dem Tierschutz bei uns auf. Ich arbeite derzeit als Persönlicher Assistent eines Rollstuhlfahrers, also im weiteren Sinne in der Behindertenhilfe. Seit ca. 2008 arbeite ich an eigenen Spielideen und bisher ist eine davon als "La Granja" bei "Spielworxx" (Link) erschienen."
Wie wurdest Du Spieler und kamst Du dazu, Spiele zu designen?
"Intensivspieler wurde ich quasi als Pärchenspieler. Meine Frau und ich haben gemeinsam begonnen uns intensiver mit Spielen zu beschäftigen. Das begann Anfang der 2000er Jahre und hat sich seitdem stetig gesteigert. Aber gespielt wurde eigentlich schon immer, besonders die Klassiker im Familienkreis und "Doppelkopf" im Freundeskreis. Meine Arbeit bringt es mit sich, dass ich sehr lange Schichten habe und entsprechend auch sehr lange Freizeit am Stück. Diese Freizeit und das Mitspielervakuum am Vor- und Nachmittag habe ich anfänglich mit Solovarianten von Mehrpersonenspielen gefüllt, wie "Agricola" oder "Le Havre". Der Einstieg in die Verlagsszene ergab sich dann durch das Kennenlernen von Uwe Rosenberg und Ralph Bruhn von "H@ll Games". Ralph hat mich bei "Loyang" schon in die Testphase des Spiels einbezogen und das steigerte sich dann beim zweiten Spiel des Verlages namens "Luna". Ralph war damals so nett und hat mich auch als Redakteur auf der Schachtel aufgeführt. Die sehr intensive Testphase von "Luna" und die regelmäßigen Treffen zu Testspielen mit Uwe haben dann dazu geführt, dass ich mich ernsthafter mit meinen Spielideen beschäftigt habe, auch daher, weil ich in der Zeit von Ralph und Uwe sehr viel gelernt habe. Dies gipfelte bisher in der Veröffentlichung von "La Granja"."
An welchen Projekten arbeitest Du gerade?
"Aktuell sind zwei Projekte von Relevanz und fressen meine Freizeit auf: Im Sommer 2016 wird mein zweites Spiel erscheinen. Wieder eine Zusammenarbeit von Michael Keller und mir. Es wird "Solarius Mission" heißen und auch wieder bei "Spielworxx" erscheinen. Dabei handelt es sich im weitesten Sinne um ein mittelkomplexes Weltraum-Entwicklungs- und Besiedlungsspiel. Vom Komplexitätsgrad mit "La Granja" zu vergleichen. Hier befinden wir uns gerade in der Endphase der Entwicklung. Ebenfalls 2016 wird noch ein weiteres Spiel von mir veröffentlicht werden. Derzeit trägt es noch den Arbeitstitel "No Siesta" und es handelt sich dabei um ein "La Granja"-Würfelspiel. Hier habe ich den Würfelmechanismus aus "La Granja" genommen und um ihn herum ein vergleichsweise einfaches Würfelspiel entwickelt. Anders als "La Granja" ist es eben kein komplexes Brettspiel, sondern hier werden in einem relativ einfachen Spiel Würfelergebnisse mit dem Stift auf einem Wertungsbogen festgehalten. Auch hier befinde ich mich in der Endphase der Entwicklung, damit das Spiel 2016 bei "ADC Blackfire" rauskommen kann.
Darüber hinaus gibt es mehrere Prototypen in verschiedenen Entwicklungsstadien. Diverse Würfelspiele aber auch große Brettspiele. Mit einem davon, welches den Arbeitstitel "Cooper's Island" trägt, bin ich derzeit so weit, dass ich einen Verlag dafür suche. Dabei handelt es sich um ein Spiel, in dem jeder Spieler seine eigene Insel erkundet und versucht zu nutzen. Sowohl beim Abbau von Rohstoffen, als auch landwirtschaftlich nachdem die Rohstoffe verbraucht sind. Interessant daran ist der dreidimensionale Puzzlemechanismus. Die Spieler müssen mit Hilfe von Domino-Hex-Plättchen die eigene Insel entdecken und "erpuzzlen" dabei nicht nur eine zweidimensionale Ebene, sondern auch weitere Ebenen in der Höhe. Durch die intensive Arbeit an den beiden oben genannten Spielen kommt dieses Spiel allerdings im Moment etwas zu kurz."
Wie kann ich mir die Entwicklung eines Spiels vorstellen? Kommt erst das Szenario oder hast Du erst eine Mechanik im Kopf?
"Das ist unterschiedlich. Aber tendenziell ist zuerst die Mechanik da. Ich mache es oft so, dass ich mir Mechaniken suche, die mir besonders gut gefallen. Und dann versuche ich sie auf eine neue, eigene Art zu verwenden. Beispielsweise die Verwendung der multifunktionalen Karten in "La Granja": Die Grundidee habe ich vom wirklich tollen Spiel "Ruhm für Rom" übernommen und das Ganze dann auf meine eigene Weise verwendet und in ein Spiel eingebaut, dass ein ganz anderes Spielgefühl hat. Die Grundidee von meinem neuen Spiel "Cooper's Island" habe ich mir von dem Spiel "Antics" abgeschaut. Dort baut jeder Spieler einen "Aktions-Ameisenhaufen". Auch aus "Domino-Hex"-Plättchen in dreidimensionaler Weise. Diese in "Antics" eher nebensächliche Mechanik habe ich nun in meinem Spiel als zentrales Spielelement ausgebaut und auch auf andere Weise verwendet. Und wieder entsteht ein völlig eigenes Spielgefühl, da es darüber hinaus ja auch noch andere Elemente gibt. Diese Art Mechaniken aufzugreifen und neu zu interpretieren finde ich sehr spannend. Gleichzeitig lege ich wert darauf hinzuweisen, dass ich diese Art der Weiterverwendung von tollen Spielmechaniken als anerkennendes Zitieren betrachte. Auf das ich auch in der Spielregel hinweisen möchte, wenn der Verlag mir die Möglichkeit gibt. Ich weiß nicht, ob ich ein guter Spieleautor bin, aber neue und originelle Spielmechaniken zu erfinden gelingt den wenigsten Autoren. Nur alle paar Jahre erscheint ein Spiel mit innovativen Elementen. Ich hoffe, dass mir das auch irgendwann einmal gelingt. Aber hin und wieder habe ich auch erst ein Thema im Kopf, bevor ich mit der Entwicklung von Spielmechaniken beginne. Ich bin vor ein paar Jahren in die kleine und feine Burgmannstadt Horstmar gezogen und relativ schnell fiel mir auf, dass die Stadtverwaltung ein stilisiertes Symbol des Grundrisses der Altstadt quasi als eine Art Stadtsymbol oder modernes Stadtwappen verwendet - und dieser Grundriss allein sieht aus wie ein Spielbrett. Das hat mich dazu motiviert ein Spiel zu erfinden, welches diesen Altstadt-Grundriss als Spielplan verwendet - es wird also um den Aufbau der Stadt gehen. Das Spiel ist aber noch nicht sehr weit entwickelt. Ein anderes Beispiel ist die Historie unserer Kreisstadt Steinfurt. Als ich mich damit genauer beschäftigte, kamen die Ideen für ein Spiel, welches sich mit dieser Stadtentwicklung beschäftigt von ganz alleine. Aber auch dieses Spiel steckt noch in den Kinderschuhen, da ich derzeit andere Projekte vorziehen muss. Für mich ist wichtig, dass Thema und Mechanik ab einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung eines Spiels Hand in Hand gehen. Wie intensiv sich das Thema dann innerhalb der Entwicklung abbildet ist dann aber unterschiedlich und am Ende ist ein mechanisch funktionierendes und reizvolles Spiel wichtiger als ein perfekt umgesetztes Thema. Zumindest im Euro-Spiel-Bereich, denn niemand spielt ein tolles Thema, welches mechanisch nicht funktioniert, mehr als einmal."
Welche Tipps hast Du für andere, aufstrebende Designer?
"Da kann ich den Tipp weitergeben, den Uwe Rosenberg mir damals gegeben hat: Es gibt viele Leute, die von der eigenen Spielidee tagträumen. Irgendwann muss man sich überlegen, ob man weiter von Ideen träumen möchte, oder sich tatsächlich mal hinsetzt und etwas macht? Ich weiß, dass der Schritt von der Idee zum spielbaren Prototypen ein sehr schwieriger ist. Man muss sich wirklich hinsetzen und etwas machen um diesen Schritt zu gehen. Da ich selber nicht der kreativste Autor bin, hat es mir sehr geholfen funktionierende Mechaniken zu nehmen und diese erstmal in einem eigenen Konstrukt zu verwenden um genau diesen Punkt zu erreichen: Dass man tatsächlich ein Spiel hat, das man spielen kann und nicht mehr nur die Idee eines Spiels. Aber das ist nur der erste Schritt. Selbst, wenn man diesen erreicht hat, dann muss man sich erst das Rüstzeug anlernen, um das nun spielbare Spiel in ein funktionierendes, eigenständiges Konstrukt zu verwandeln. Das hat bei mir einige Jahre und ein paar furchtbare Prototypen lang gedauert. Ich möchte mich nachträglich bei allen Testspielern und lieben Freunden entschuldigen, die diese grauenhaft designten Spiele im Schweiße ihres Angesichts getestet haben. Nachdem "La Granja" nun erschienen ist und auch durchaus positiv aufgenommen wurde, bilde ich mir ein, dass diese Lehrjahre sich bewährt haben. Und, wenn ich es mir erlauben darf, möchte ich noch ein Thema anschneiden, dass mir sehr am Herzen liegt. Kein Autor kann Spiele erfinden und entwickeln ohne Testspieler. Mein Rat ist daher: Nur im Familien- und Freundeskreis zu testen bringt euch nicht weiter. Ihr braucht Testspieler außerhalb dieser Kreise. Und mein Anliegen: Diese Testspieler, egal, ob Familie, Freunde oder einfach nur spielebegeisterte Fremde, stecken ihre Zeit und viel Arbeit in eure Prototypen um sie für euch zu testen. Das Mindeste, was man als Autor machen kann ist dafür zu sorgen, dass diese Zeit und Arbeit dadurch honoriert wird, dass man gut vorbereitet in Testrunden geht. Es ist äußerst ärgerlich, wenn man schlecht konstruierte Spiele, nicht ausprobierte Mechaniken und miserabel ausgearbeitete Prototypen vorgesetzt bekommt. Davon hat kein Testspieler und kein Autor etwas. Daher sollte man ein Bewußtsein dafür entwickeln, was man den Testern abverlangt. Ich weiß, dass das nicht immer klappt. Aber man sollte es so gut es geht versuchen. Testspieler sind die "unsung heroes" der Spieleentwicklung. Kein Autor kann ohne sie Spiele entwickeln, kein Verlag ohne sie Spiele verkaufen. Ich wünsche mir, dass sich diese Sichtweise durchsetzt und auch in den fertigen Spielen niederschlägt."
Ich danke für das Interview und weiterhin viel Erfolg und Inspiration :-)
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