Kritischer Erfolg auf Wahrnehmung - Ich kann in die Köpfe der Leser blicken: „Böse Möse? OMG? WTF? ROFLcopter? Hat Philipp es jetzt schon so nötig nach Klicks zu betteln???“ ;-) Klar, viele Klicks schmeicheln meinem Ego, aber heute geht es um das „Kolonie-Handbuch Auda“, dem ersten Quellenband für das kontrovers diskutierte deutsche SciFi-Rollenspiel „Ultima Ratio“. Diese Erweiterung ist nicht optional, sondern aktuell ein notwendiger Pflichtkauf um in die Spielwelt einzusteigen – Logisch, dass ich deswegen besonders genau nachgeschaut habe ob das „Kolonie-Handbuch Auda“ seinen Anforderungen gerecht wird! Danke an den Verlag, dass er mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte!
Lasst mich zu Beginn eine kurze Zusammenfassung der Lage geben: Mit dem „Ultima Ratio“-Basisregelwerk kam ein lupenreines Regelwerk mit kaum mehr als 2 Seiten nichtssagenden Flufftexten auf den Markt. Das W4-Regelwerk an sich hat mich eigentlich trotz einiger Eigenheiten (Stufenaufstieg mit W4-Paschwürfen) und fehlender Informationen (keine übersichtliche Tabellen) ganz gut unterhalten und so war ich natürlich sehr auf dieses Erweiterungsbuch gespannt. Würde sich meine Vorstellung von der Spielwelt, die ich anhand der Informationsschnipsel im Basisregelwerk und auf der Webseite (Link) , grundlegend ändern oder lag ich doch ganz dicht dran?
Vorgestellt habe ich mir die Spielwelt vergleichbar mit „Shadowrun“, lediglich ohne Drachen und Magie, dafür aber mit Raumfahrt und Aliens. Und lag ich damit richtig? Nein... Ja... Naja, so halbwegs... OK, das ist jetzt etwas kryptisch, dass muss ich genauer erklären: Also erstmal lag ich prinzipiell richtig: Es ist futuristisches Cyberpunkt mit sozialer Ungleichheit, Machtgruppen und natürlich großen Konzernen. Ein wesentlich größerer Aspekt wird hier aber auf die Themen Unterdrückung und Überwachung gelegt. Beispielsweise: Wer sich nicht mit einem KIND-Chip anfreunden kann, damit die Überwachungs-/Kontrollsysteme MUTTER und WÄCHTER ihn (natürlich zur eigenen Sicherheit ;-) ) ihn im Blick haben, ist de facto von der Gesellschaft ausgeschlossen. Wer einen zu niedrigen Kreditlevel hat, ist quasi ohnmächtig ob der gesellschaftlichen und politischen Vorgänge (bis hin zu Zwangsumsiedlungen). „Ultima Ratio“ ist also etwas politischer, was mir persönlich sehr gut gefällt, noch dazu kann man auch problemlos als gesetzestreues KIND spielen. Von meinem subjektiven Gefühl her würde ich die Spielwelt als Kind (na, wer hat die Anspielung verstanden?) von den Eltern „Shadowrun“ und „Paranoia“ bezeichnen - Wobei ich nicht ausschließen möchte dass sich bei dieser Kleinfamilie nach dem Erscheinen der Weltraumerweiterungen das Vater als „Traveller“ herausstellt ;-)
So aber jetzt mal direkt zur Kolonie Auda. Die wird in diesem 40seitigen DIN-A4-Heft wieder in der selben Qualität (sowohl Druck als auch Layout) präsentiert wie schon das Basisregelwerk. Leider wird aber auch NUR die Kolonie Auda vorgestellt, sodass mir als Interessenten der gesamten Spielwelt noch der Gesamtüberblick verwehrt wird. Hier sollte aber bald die Erweiterung „Das Lukeanische Reich“ aber endlich Licht ins Dunkel bringen :-)
Der Quellenband hält sich nicht mit einem Vorwort auf, sondern startet gleich durch mit 2 Seiten zur Geodäsie und Geografie des Planeten. Direkt daran anschließend folgt ein zweiseitiges Kapitel über Reisen inklusiver einer Verkehrskarte. Und dann wird es langsam spannend: Zwei Seiten über die Geschichte der Kolonie (erinnert vom Schreibstil her ein wenig an Wikipedia) und dann nochmal zwei Seiten über die Gesellschaft. Sehr spannend, aber wegen des Platzmangels (wie gesagt, nur zwei Seiten) arg oberflächlich. Allein zur Sozialisation (KINDer gelten ohne Hochschulabschluss nicht als Erwachsene, Kreditlevel-Beschränkungen, etc.) hätte ich hier gern viel mehr gelesen. Auch zur Volkssportart Nummer 1 „Tanak“ hätten mich die Regeln interessiert. Dafür fand ich die kurzen Beschreibungen der wichtigsten Großveranstaltungen der Kolonie äußert inspirierend für eigene Abenteuerideen.
Und jetzt kommen wir endlich zur „bösen Möse“ :-D Genauer gesagt, zur Beschreibung der verschiedenen Metropolen. Dort gibt es allgemeine Informationen wie Einwohnerzahl und Kreditlevel, aber auch nähere Erläuterungen zu nennenswerten Orten wie Yachthafen, Tierpark und eben „Die Möse“. Die ist ein von Bombastius „Der Aal“ Allrich betriebener SadoMaso-Schuppen mit so speziellen Events wie „offene Möse“ und „böse Möse“ – Kein Scheiß! Das heißt wirklich so! Nun ist ja „Ultima Ratio“ immerhin 9 Jahre in der Entwicklung gewesen, ich hoffe einfach der Autor kann diese Namenswahl als Jugendsünde entschuldigen :-P Wie man auf dem folgenden "live"-Beweisbild sehen kann, sorgte es aber bei meiner Freundin immerhin für ein irritiertes Grinsen – Aber vielleicht bin ich als Teilzeit-Christ & Provinz-Ossi einfach nur prüde oder verstehe nix von der großen weiten Welt, bei uns tragen solche Lokalitäten so kreative Namen wie „Chantalle“ ;-)
Drei weitere Seiten befassen sich dann mit dem Ödland außerhalb der Metropolen. Diese weitläufige Gegend ist als ehemaliges Kriegsgebiet wirklich öde und kommt ein wenig Endzeit-mäßig rüber. Diese Landstriche finde ich persönlich sogar wesentlich spannender als die Metropolen, aber das ist ja bekanntermaßen Geschmackssache. Dem anschließend gleich ein dreiseitiger Abschnitt über Flora und Fauna. Hier gibt es auch endlich (!!!) mal Gegnerwerte! Zwar nur für Viehzeug, aber besser als nix :-P Die kurzen, aber gut und bildlich beschriebenen Texte über Flora und Fauna gefallen mir, ich hätte mir dazu aber ein Bild gewünscht da manche Exemplare in meinem Kopf doch sehr exotisch aussehen.
Damit haben wir grad mal die Hälfte des Buches geschafft. Es folgt noch als reines Quellenmaterial eine Seite über Krankheiten, drei Seiten über Sicherheit und Untergrund (wieder sehr anregend für Abenteuerideen) und weitere drei Seiten über die Kolonie-Wirtschaft.
Und als hätte der Verlag gemerkt, dass das Basisregelwerk nur das „halbe“ Produkt ist, folgt im Anschluss eine Menge Material was ich noch bei der Basisregelwerk-Rezension schmerzlich vermisst habe: Zwei Seiten mit insgesamt vier Ideen für Kampagnen. Es sind zwar nur kurze Anregungen mit maximal 3 Zeilen, aber ich muss hier positiv erwähnen dass es sowohl Ideen für gesetzestreue KINDer als auch Untergrund-Vagabunden gibt. Hier besteht aber noch viel Potential und ich hoffe auf ein baldiges, umfangreiches und komplett ausgearbeitetes Abenteuer. Für die vorgeschlagenen Kampagnenideen gibt es dann auch noch eine Seite mit passender Ausrüstung (die wenigen Ausrüstungsoptionen waren ja ein Kritikpunkt am Basisregelwerk) wie beispielsweise Flammenwerfer. Leider fehlen aber immer doch Granaten :-(
Dann kommen noch drei Seiten Appendix mit drei neuen Professionen (Kundschafter, Künstler, Jurist) und daraus abgeleiteten Berufen wie KI-Rechtler und Stammeskrieger. Eine ganze Menge an potentiellen neuen Gegenspielern! Zuletzt wird mit dem Volk der „Riszxlik“ ein neues, insektenartiges Volk vorgestellt, welches natürlich auch eigene Spezialkräfte mitbringt.
Als kleinen Bonus gibt es am Ende noch die Regeln für das Kartenspiel „Restabbaster“. So vom Lesen der Regeln her fand ich es ganz witzig, auch wenn es jetzt nicht sooo superkomplex ist dass ich nachvollziehen könnte warum die Bewohner Audas da voll drauf abgehen – Andererseits, Poker ist ja auch ein simples Kartenspiel und trotzdem so ne Art Volkssport. Ich hab mal irgendwo gelesen, es käme vielleicht mal als Kartenspiel raus – Wenn ich es dann mal ausprobiert habe, kann ich dazu mehr sagen (kleiner Wink mit dem Zaunpfahl zwecks Rezensionsexemplar ;-) ).
Jetzt ist diese Rezension schon wieder so ewig lang geworden. Das zeigt wohl, wie sehr mich „Ultima Ratio“ beschäftigt... Also mein erstes Fazit: In dem Artikel über das Basisregelwerk hab ich geschrieben, dass ich glaube mit dem Quellenband würde sich meine verhalten-optimistische Meinung noch deutlich ins Positive ändern. Und was soll ich sagen? Definitiv ja, ich bin positiv überrascht – Man muss aber mit dem etwas sperrigen W4-Regelwerk klar kommen und sich der Tatsache bewusst sein, dass sich das „Kolonie-Handbuch Auda“ nur mit diesem Planeten und nicht mit der ganzen Galaxie befasst. Außerdem ist es eher als eine Art Sandbox angelegt, daher als Spielleiter muss man sich noch selbst in die Materie einarbeiten. Dann hat man aber auch eine Menge kreative Freiheit und wirklich sehr viele Optionen. Für den Preis von 12,95 € durchaus eine lohnende Investition.
Und jetzt kommen wir gleich noch zum zweiten Fazit: Da man Basisregelwerk und Quellenband zusammen erwerben sollte, um vernünftig in „Ultima Ratio – Im Schatten von MUTTER“ einzusteigen, bleibt die Frage ob sich der Kauf von knapp 26 € für beide Produkte (zusammen 80 Seiten) lohnt. Ich würde mal sagen: Wer sich für SciFi-Cyberpunk interessiert und kein Problem mit einem mathelastigen Regelwerk hat, kann hier trotz einiger Ecken und Kanten (siehe Basisregelwerk-Rezension) gern zugreifen. Wenn ich mir die angekündigten Erweiterungen anschaue, glaube ich dass hier mit mehr Material eine gute, greifbare und vor allem interessante Hintergrundwelt entstehen wird und das Rollenspiel zu dem tollen Produkt reifen wird, welches der Autor im Sinn hatte!