Meine Indie-Interviewreihe hat es ja nun schon auf 10 Teile gebracht und so einige unbekannte Schätze zum Vorschein gebracht. Die meisten Projekte waren ja eher noch in einer frühen Entwicklungsphase, manche Projekte haben es aber mittlerweile schon bis zur Marktreife gebracht und mit etwas Glück sogar einen namhaften Verlag im Rücken. Solch ein - ja man kann es ohne Übertreibung sagen - Vorzeigeprojekt ist das deutsche "Malmsturm". Zu diesem eher speziellen Fantasy-Rollenspiel, das laut Webseite "barbarische Länder wie die blutige Bühne einer arktischen Heavy Metal Oper" bietet, habe ich nicht einen, nicht zwei, nicht drei, sondern gleich vier Autoren zu einem Interview überreden können!
Hallo, Ihr seid aber viele ;-) Mögt Ihr Euch den Lesern bitte kurz vorstellen?
Dominik: "Ich heiße Dominik Pielarski, bin 36 und dem ein oder anderen vor meiner kürzlichen Heirat als Dominik Dießlin, rollsomedice oder Typ hinter www.rollenspiel-almanach.de bekannt. Angefangen hat alles mit 11, meines Bruders Schrank und DSA 1 gefolgt von Wanderungen durch Athas und Barsaive um letztendlich System- und Setting-Hopping zu betreiben und im erzählerischen Bereich zu landen. Durch meinen Beruf als Mediengestalter und der Arbeit am Rollenspiel-Almanach bin ich relativ schnell in der Verlagsarbeit gelandet und neben Rollenspielen wie "Ratten!", "Funky Colts" (www.projekt-kopfkino.de), "Savage Worlds" ("Gentleman's Edition", "Sundered Skies") und "Scion: Hero", mach ich auch diverse kleinere Projekte. Eines davon ist die Übersetzung des Indie-Herr-der-Ringe-Rollenspiels „Legends of Middle Earth“ mit Daniel Mayer. Aktuell bin ich für die deutsche Übersetzung von "Fate Core" im Uhrwerk Verlag mitverantwortlich und einer der Schergen hinter "Malmsturm"." Werner: "Ich bin Werner und habe die Welt, bzw. das Setting von "Malmsturm" entworfen und geschrieben. Regeln sind bei diesem Projekt also eigentlich nicht so meine Baustelle, es sei denn, es geht um Bereiche wie die verschiedenen magischen Traditionen, welche sehr eng mit dem entsprechenden Fluff von "Malmsturm" verbunden sind." Sebastian: "Ich bin Sebastian und habe zusammen mit Helge die Regeln für die neue "Malmsturm"-Ausgabe entwickelt. Zur Ankündigung eines neuen "Malmsturm"-Regelwerks hatte ich damals ein relativ ausführliches Feedback geschrieben, was ich gerne so in der neuen Ausgabe anders bzw. überarbeitet sehen möchte. Kurze Zeit später kam dann die Anfrage, ob ich nicht bei der Entwicklung der neuen Ausgabe mitmachen möchte." Helge: "Ich heiße Helge und bin wie Sebastian einer der Neuzugänge im Team. Nach einer DSA-Jugend sind es inzwischen doch mehr die kleinen Systeme abseits des Mainstreams, die mich interessieren. Zu "Malmsturm" bin ich gestoßen, weil ich den Jungs regelmäßig auf die Nerven gegangen bin, nachdem ich von Regel- und Weltenband total begeistert war."Euer Spielsetting ist ja ausgesprochen düster und weitab des Fantasy-Einheitsbreis. Könnt Ihr es bitte kurz vorstellen? Was hat Euch speziell zu diesem ungewöhnlichen Setting inspiriert?
Werner: ""Malmsturm" entstand in dem Bemühen, ein Rollenspielsetting zu erschaffen, welches sich vor allem als Schauplatz für Abenteuer und Geschichten im Stil der klassischen Sword-and-Sorcery-Fantasy aus den 1920ern und 1930ern (Howard, Smith, Leiber, Moore etc.) empfiehlt, dabei aber gleichzeitig Raum für modernere Inkarnationen von Sword & Sorcery (Moorcock, Wolfe, Wagner etc.) bietet und viele seiner Inspirationsquellen aus dem Bereich des Heavy Metal (Musik, Texte, Cover, Stilrichtungen etc.) bezieht. Somit sucht man Elfen und Halblinge in "Malmsturm" ebenso vergebens wie Feenwesen oder gemütliche Eckläden, in denen Zauberstäbe und magische Rüstungen feilgeboten werden. Es gibt zwar durchaus hier und dort fremdartige intelligente Kreaturen, aber Menschen sind die dominante Spezies und die Welt ist in weiten Teilen wild und unzivilisiert. Magie ist selten, aber allgemein bekannt genug, um ihre möglichen Folgen zu fürchten. Die Welt ist außerdem – in der Tradition des „Dying Earth“-Genres – sehr alt und von den Trümmern vieler vergessener Hochkulturen gezeichnet, von denen die letzte gerade eine erneute Runde in ihrem langen Todeskampf aus Dekadenz und Zerfall durchlebt." Dominik: "Ich würde "Malmsturm" gar nicht mal als düster beschreiben. Vielmehr ist das Alleinstellungsmerkmal die formbare Realität: „Alles ist möglich, wenn nur genug Leute daran glauben. Das kollektive Unterbewusstsein formt die Realität. Fanatismus ist eine greifbare Macht. Uralte Legenden und verfallene Ruinen bekommen plötzlich eine Bedeutung, nur weil sie sind, was sie sind.“ In "Malmsturm" geht es um Integrität und Wahrhaftigkeit. "Malmsturm" ist ein charakterzentriertes Rollenspiel, in dem es um den Willen des Einzelnen geht. Das wird durch Aspekte nicht nur unterstützt, sondern gefordert. An beiden Seiten des Tisches. Aspekte machen die Welt wahrhaftig. Das wiederum sind genauso Paradigmen des Metals wie auch der Charaktere aus der Sword & Sorcery. "Malmsturm" entstand seinerzeit, als Stefan und ich ein erzählerisches System entwickeln wollten und unabhängig voneinander auf "Fate 2" stießen. Für uns die Wucht in Tüten! Kurze Zeit später veröffentlichten Evil Hat "Spirit of the Century" und schnell war für uns klar, dass wir die SotC-OGL nutzen wollen, um damit generische Fantasy zu bespielen. Als der Plan, die SRD zu übersetzen und ein wenig zu verändern, konkrete Formen annahm, sprach man auch im Freundeskreis drüber. Werner hatte da so einige Ideen, die schon sehr früh in Richtung Sword & Sorcery gingen. Aus ein wenig Geplänkel entstand schnell der Gedanke, wie sich wohl eine Welt anfühlen würde, die nach den Tropen des Metal funktioniert. Wie sähe wohl ein Volk aus, das den Death Metal lebt oder die Ideen des Trash verinnerlicht? "Malmsturm" war geboren. Mit diesem Spiel machen wir einfach unser Ding und wer Bock drauf hat, ist herzlich eingeladen, uns zu begleiten. "Malmsturm" ist ein charakterzentriertes Rollenspiel mit einem erzählorientierten Spielsystem, das dich „wirklich“ machen lässt, was du möchtest. Wenn Cover, Liedtexte, Songtitel und Attitüde diverser Spielrichtungen des Metal auf Sword & Sorcery treffen und so zu Völkern, Wesen, Landstrichen und Artefakten werden, kommt "Malmsturm" dabei raus. Eine Melange, die schon weitaus älter als gedacht ist – schließlich haben sich Musik und Autoren schon jeher gegenseitig beflügelt. In der neuen Version, die aktuell einen Betatest erfährt, haben wir diesmal statt einem generischen Fantasysystem ein definiertes Regelset, wie man "Malmsturm" mit "Fate Core" spielt."Kommen wir zur Spieltechnik. Was macht es im Vergleich zu anderen Systemen besonders?
Helge: ""Malmsturm" baut auf "Fate" auf, in der ersten Ausgabe auf "Fate 3" und in der neuen Ausgabe auf "Fate Core". Die Frage wäre also eher, was "Fate" besonders macht." Sebastian: "Zu "Fate Core" im Allgemeinen: Zu den Besonderheiten, Vorteilen und Nachteilen von "Fate Core" als Regelsystem wurde, glaube ich, genug geschrieben und gesagt. Meine persönliche Meinung: "Fate Core" schafft einen guten Spagat zwischen Indie-Rollenspielen mit „ungewöhnlichen“ Regelmechaniken und Altbewährtem. Zur aktuellen "Malmsturm"-Ausgabe auf "Fate Core"-Basis im Speziellen: Wichtigstes Designziel war und ist, so nahe wie möglich an den "Fate Core"-Grundregeln zu bleiben und die Anzahl an zusätzlichen Regeln gering zu halten. Wir haben also viel an Stellschrauben des Systems gedreht um das Genre Sword & Sorcery und das Setting "Malmsturm" so gut wie möglich abzubilden. Ganz ohne neue Regeln sind wir natürlich nicht ausgekommen. Ein großer Teil unserer Arbeit ist in die Entwicklung des Magiesystems, die regeltechnische Abwicklung von Malmstürmen und den Umgang mit Schätzen und Reichtümern geflossen."Und habt Ihr die Regeln gezielt auf dieses Setting hin entwickelt, oder kamen erst die Regeln?
Helge: "Sowohl als auch. "Fate" als Grundgerüst stand natürlich schon. Ob jetzt das Setting für "Fate" geschrieben wurde oder "Fate" als Regelsystem einfach am Besten zum Setting passt – oder ein bisschen von beidem – das können Dominik und Werner wohl am Besten beantworten. In Bezug auf die neue Edition kann ich jedoch sagen, dass das Setting schon stand und die Settingregeln maßgeschneidert für diese Welt konzipiert wurden. Es ist aber auch so, dass die Beschäftigung mit den Regeln mitunter das Fällen von Weltentscheidungen nach sich zieht. Da kann man nicht direkt sagen, was zuerst da war: Welt oder Regeln - beides entsteht oft in einem synergetischen Prozess." Sebastian: "Zur neuen "Malmsturm"-Ausgabe: Grundlage der Entwicklung war "Malmsturm – die Welt", quasi unsere Setting-Bibel. Ziel war zu Beginn, das Setting so gut wie möglich mit den Regeln abzubilden, insbesondere settingspezifische Phänomene wie Malmstürme oder die dramatische Realität und genre tropes der Sword & Sorcery. Zu einem kleinen Teil ging der Weg aber auch andersherum. Werner und Bjorn haben auch an einigen Stellen aus den Regeln neue Inspiration für das Setting ziehen können." Werner: "Erst kamen Dominik und Stefan mit ihrer auf das Fantasy-Genre ausgerichteten Übersetzung / Adaption des "Fate"-Systems in seiner „Spirit of Adventure“-Inkarnation. Dann folgte der Wunsch nach einem passenden Fantasysetting und so kam ich dann ins Spiel. Dabei wurde „Malmsturm – die Welt“ zwar als praktisch regelneutrales Settingbuch geschrieben, aber über die Elemente von Sword & Sorcery und Heavy Metal hinaus, spielte der narrative Ansatz von "Fate" eine entscheidende Rolle in der Entwicklung dieser Welt. Diese verfügt über eine „dramatische Realität“, also einen direkten Einfluss von Wollen und Glauben, von Geschichten und Gerüchten auf die physische Wirklichkeit: Hier sind unheimliche Ruinen fast zwangsläufig die Heimat gefährlicher Kreaturen oder dienen blutigen Kulten als Versteck. Hier scheint die Sonne über jeder glücklichen Dorfhochzeit und hier finden grausame Entscheidungsschlachten natürlich unter schwarzen Gewitterwolken statt. In einer frühen Reaktion auf "Malmsturm" war mal die Rede von „Conan meets Unknown Armies“ – und das trifft es immer noch ziemlich gut. ;-) "Plaudert doch mal aus dem Entwickler-Nähkästchen. Wie kann ich mir die Entwicklung eines Rollenspiels so vom Arbeitsablauf und Arbeitsaufwand vorstellen?
Helge: "Ich kann ja nur für die Zeit ab Herbst 2013 sprechen, als die Truppe fürs neue Regelwerk zusammenkam. Da wir alle an unterschiedlichen Orten leben, findet so gut wie alles online statt, in „Telefonkonferenzen“ – was ja irgendwie wichtiger klingt als „Hangouts“. Viel entsteht einsam im stillen Kämmerlein, aber wir treffen uns grundsätzlich einmal die Woche für gut zwei Stunden und besprechen alles, was geklärt werden muss. Und vor allem alles, was überhaupt nichts zur Sache tut, aber für gute Laune sorgt. Es gab aber auch Hochzeiten, wo wir fast jeden Tag in verschiedenen Zusammensetzungen am Regelwerk gebastelt haben. Das Wort Arbeitsaufwand beinhaltet leider das unangenehme Wort Arbeit. Wir gehen ein wenig nach dem Prinzip des gelenkten Chaos vor. Jeder macht, was ihm Spaß macht, worauf er Bock hat, worin er gut ist und kommt jederzeit mit den wahnsinnigsten Einfällen, mit denen er den geordneten Fortschritt des Projekts am effektivsten behindern kann – aber eben auch eine neue Motivationswelle auslöst. Der Aufwand ist mitunter sehr groß – Arbeit im Sinne von Mühsal ist es jedoch nicht und soll es vom Grundgedanken her auch niemals sein." Sebastian: "Zu Beginn habe ich erstmal das gesamte Team mit meinen Ideen für neue Regeln oder Regeländerungen terrorisiert und sehr viel diskutiert. Das hat sich bestimmt über ein Vierteljahr hingezogen. Danach wusste ich aber ziemlich genau, wo die Vorlieben und Abneigungen der einzelnen Leute aus dem Team liegen. Danach habe ich an einem langen Wochenende eine Alpha-Version (so haben wir das Ding zumindest intern genannt) zusammengeschrieben, das einmal alle Ideen und den Stand der Diskussion zusammengefasst hat. Auf dieser Basis haben wir dann angefangen die Texte zu schreiben, Regeln weiterzuentwickeln und zu testen. Einen kleinen „Bruch“ (im positiven Sinne) gab es dann nochmal auf und nach der SPIEL 2014. Da haben wir uns das erste Mal real als Team getroffen. Außerdem bin ich auf der SPIEL durch Zufall Leonard Balsera (Lead System Developer von "Fate Core") über den Weg gelaufen und wir haben mehrere Stunden über "Fate Core", den "Dresden Files Accelerated Playtest" und "Malmsturm" diskutiert und gefachsimpelt. Leonard hat uns ein paar tolle Tipps und Anregungen gegeben. Nach der SPIEL haben wir dann nochmal basierend auf Leonards Feedback Teile der Regeln überarbeitet.Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand? Und wie ist die Resonanz der Spieler?
Helge: "Derzeit läuft die Closed Beta, zu der sich bereits einige Dutzend Spieler angemeldet haben. Die Closed Beta enthält den aktuellen Stand des Regelwerks. Wir erhoffen uns von der Beta viele Tipps und Verbesserungsvorschläge. Man wird ja selber nach über einem Jahr an den Texten auch etwas betriebsblind." Sebastian: Wir machen derzeit einen „halbgeschlossenen" Betatest für die neue "Malmsturm"-Ausgabe. „Halbgeschlossen“ in dem Sinne, dass man sich für den Betatest anmelden und ein paar Fragen beantworten muss, aber jeder, der sich anmeldet, Zugang zu den Betaregeln bekommt. Es haben sich deutlich mehr Leute zur Beta angemeldet, als wir erwartet haben, was uns natürlich nochmal einen Motivationsschub gegeben hat. Momentan spielen wir intern unsere eigene kleine Testrunde und sammeln Feedback. Der Betatest geht noch bis Ende April, dann werden wir uns um das Auswerten des Feedbacks kümmern."Wie wird die Zukunft aussehen? Kommen weitere Abenteuer? Errata? Regelerweiterungen? Oder, Ihr seid ja eines der wenigen Rollenspiele, die ich kenne, die so etwas anbieten – Kommt auch mehr Merchandising?
Helge: "Es gibt immer wieder Ideen für neues Merchandising-Material. Es geht uns jedoch dabei immer auch darum, etwas zu produzieren, was wir selber gerne nutzen würden, selber in den Schrank stellen oder auf den Leib ziehen würden. Es gibt ziemlich konkrete Ideen für ein, zwei Merchandise-Artikel, unsere Prioritäten lagen in den letzten Monaten aber beim Regelwerk. In Planung sind derzeit noch drei Settingbände. Dazu können Bjorn und Werner aber sicher noch mehr sagen." Dominik: "Unser Veröffentlichungsplan sieht vor dass wir das neue Regelwerk veröffentlichen. Dicht gefolgt von den schon im Layout befindlichen Produkten "Malmsturm – Wege aus Blut und Eisen" sowie "Malmsturm – Die Fragmente" um dann mit den Chroniken die Welt weiter mit Ideen zu bestücken. http://malmsturm.de/malmsturm-stand-der-dinge/2014/03/11/ Sebastian: "Regelerweiterungen sind nicht geplant. Für Regelerweiterungen gibt es ja bereits das "Fate System"-Toolkit und auf Google+ eine sehr aktive Community. Mit etwas Recherche findet man da eigentlich schnell einen passenden Regelbaustein. Außerdem kann man natürlich auch aus den vielen anderen Rollenspielen auf "Fate Core"-Basis Regelmodule entnehmen und für die heimische Runde anpassen.Liebes Autorenteam, ich danke Euch herzlich für das umfangreiche Interview. Zu guter Letzt möchte ich noch auf Euren besonderen Wunsch hin auf Björns Webseite (Link) mit ausgesprochen sehenswerten Illustrationen hinweisen!