Wie lange braucht man um einen Weltenbau zu etablieren, sodass man sich für das Szenario begeistert? Wie viele Seiten bei einem Rollenspiel, einem Roman oder einem Comic? Wie viele Minuten bei einem Film oder einem Hörbuch? Die Antwort auf diese Frage wird vermutlich von Medium zu Medien unterschiedlich ausfallen. Zumindest beim neusten „Carmen Mc Callum“-Band gibt es aber eine sehr präzise Angabe: 3 Seiten!
 

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Nun ist diese dystopische Cyberpunk-Reihe sicherlich schon den Lesenden dieses Blogs weitläufig bekannt, also beschränke ich mich mal auf die nötigsten Informationen: Die Titelheldin ist die tödlichste Söldnerin auf der ganzen Zukunftswelt, welche aber neuerdings ein gutes Herz hat, weswegen sie mehr oder minder freiwillig immer mal wieder die Welt rettet. Davon mal abgesehen, dass hier in schöner Regelmäßigkeit irgendwelche Dinge explodieren oder Kugeln durch die Gegend fliegen, ist die Reihe aber ungemein politisch – Was aber keine große Überraschung ist, da Sozial- & Kapitalismuskritik quasi zur DNA des Cyberpunk-Genres gehören. Ausgerechnet von diesen sonst immer sehr deutlichen Untertönen war im sechsten Zyklus (Link) aber kaum etwas wahrzunehmen, stattdessen wechselte der von mir immer wieder als SciFi-Genie betitelte Comic-Autor Fred Duval mit voller Kraft ins Action-Genre. Das gefiel nicht allen Fans der ungemein langlebigen Reihe (im französischen Original seit 1995; hierzulande von „Bunte Dimensionen“, die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten, seit 2012), auch ich hatte damit meine Probleme. Und so war die Spannung natürlich riesig, wie es denn nun weitergeht. Und ich kann bereits Entwarnung geben: Alles beim Alten! Vielleicht sogar besser!
 

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Zu Beginn des Bandes werden erst einmal die neuen Gegebenheiten etabliert. Denn zwei Jahre sind nun vergangen, in denen Carmen ihren Söldnerinnen-Job endgültig an den Nagel hängte. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden, alle haben nach ihr gesucht, aber niemand fand sie. Und deshalb hat sie die Welt einfach mal weiterlaufen lassen, ohne dass sie heldenhaft eingriff – Was besonders Japan nicht gut bekam, welches sich in Rekordzeit in ein von der Yakuza kontrolliertes 3. Welt-Land zurückentwickelte. Den ganzen Hightech-Kram gibt es zwar trotzdem noch, aber da die Yakuza nun die Macht über die Stromproduktion und -versorgung übernommen hat, kann sie all den handysüchtigen Menschen und selbst der Regierung und dem Militär ihre Bedingungen aufzwingen... Und eben genau dieses neue Japan wird hier auf gerade mal drei Seiten präsentiert. Aber trotzdem habe ich sofort das Gefühl bekommen, als hätte ich das Worldbuilding perfekt verinnerlicht, als würde ich mich im SciFi-Fernost bereits heimisch fühlen – Was Fred Duval und auch sein neuer Zeichner Stéphane Louis (okay, nicht ganz so neu, das ist der 3. „Carmen Mc Callum“-Band aus seiner Feder) hier mit läppischen 16 Panels gelingt, ist bemerkenswert!
 

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Jedenfalls gleitet Japan langsam, aber sicher in eine verbrecherische Mischung aus Anarchie, Kleptokratie und Oligarchie ab – Also der perfekte Ort, an dem sich jemand versteckt, der nicht gefunden werden will! Aber Chizumi, eine für die Yakuza arbeitende Datenanalystin (wobei Orakel wohl die präzisere Jobbeschreibung wäre), findet Carmen dann doch. Und braucht sogleich ihre Hilfe, denn sie stahl ihrem Yakuza-Boss eine Schallplatte. Auf der befindet sich auf den ersten Blick nur Musik („Deep Purple“, deren Doppelalbum den gleichen Titel (Link) wie dieser Comic trägt), aber irgendwie auch ein Geheimcode zur Rettung Japans. Denn ein riesiger Roboter-Kaiju greift das nahe gelegene Atomkraftwerk an, was mal wieder zu einer atomaren Katastrophe führt...

Fazit: Mit „Made in Japan“ (Link) findet Fred Duval nicht nur zu alter Stärke zurück, er übertrifft sich sogar! Denn, und das mag vielleicht auch am Handlungsort liegen, selten fühlte sich ein „Carmen Mc Callum“-Band so cyberpunkig an. Der Staat und der Kapitalismus versagen, Konzerne und Gangster übernehmen in dem Chaos die Macht, überall BlingBling und Hightech, dazu ein riesiger Mecha-Kaiju. Wie geil ist das denn bitte? Also ein Pflichtkauf für alle Cyberpunk-Fans!

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