Ende des 19. Jahrhunderts machte die Wissenschaft zwar große Fortschritte, alle möglichen Aberglauben hielten sich aber beständig. So ein Mumien-Fluch, der grabräuberische Archäologen heimsucht, klang da schon ziemlich plausibel. Und mit „Auf der Spur des Grauens“ (Link) wurden ja sowieso bereits übernatürliche Elemente in die historisch sehr akkurate Spielwelt des viktorianischen Detektiv-Rollenspiels „Private Eye“ (Link zur umfangreichen Podcastfolge) eingeführt. Passt hier also alles zusammen? Der dunkle Würger verbreitet Angst und Schrecken! Denn eine altägyptische Mumie würgt sich durch die feine Gesellschaft rund um den Ägyptologie-Professor Sir Jasper Hartnell. Sie verkörpert damit sozusagen den Fluch, der die im Namen der Wissenschaft agierenden, imperialistischen Grabräuber trifft, die damals mit Vorliebe die kulturellen und historischen Schätze der Kolonien ausplünderten. Aber so einen Fluch gibt es doch nicht wirklich, oder? Zumindest der ermittelnde Inspector Grey glaubt nicht daran, aber auch die ErmittlerInnen (egal ob sie gemeinsam mit Scottland Yard arbeiten, im Auftrag einer noblen Spiritistin oder für die zuletzt ins Setting eingeführte „Society für Paranormal Exploriation And Research“) werden irgendwann zu dem Schluss kommen, dass tote Mumien wirklich tot sind ;-) Der Kriminalfall beginnt mit einem Eklat, als der ägyptische Diener mit seinen panischen Warnungen vor dem Fluch das Bankett von Sir Jasper sprengt, und endet knapp eine Woche später mit dem tatsächlichen Angriff der verfluchten Mumie auf eben diesen. In der Zwischenzeit greift sie Sir Jaspers Ägyptologie-Kollegen an, wodurch die ErmittlerInnen auf den Plan gerufen werden. Doch diese haben anfangs wenig Erfolg, denn das lineare Abenteuer ist so konstruiert, dass sie die Mord(versuch)e nicht verhindern können. Stattdessen laufen sie der Mumie sozusagen immer nur hinterher, um dann zahlreiche Gespräche mit ZeugInnen und überlebenden Opfern zu führen. Denn „Die Hand aus dem Grab“ ist ein sehr dialoglastiges Abenteuer, bei dem nahezu alle vor dem Finale auffindbaren Beweise lediglich in Gesprächen herausfindbare Indizien sind, die man auch gern mal übersieht. Und dazu sind die Beweise allesamt schwach – Wenn die ErmittlerInnen den Mörder nicht auf frischer Tat ertappen, ganz gezielt die richtigen Fragen stellen oder die Spielleitung am Ende nicht gnädigerweise mit einem Geständnis oder einigen Bonushinweisen herausrückt, dann wird der oder die letztlich Beschuldigte (wir wollen ja nicht spoilern ;-)) niemals verurteilt werden, so er oder sie nicht über einen total unfähigen Anwalt verfügt... Das ist aus spielerischer Sicht tatsächlich ein wenig unbefriedigend, denn irgendwie hat man nach dem Abschluss des Abenteuers das Gefühl, dass man bis zum finalen Mordversuch an Sir Jasper eigentlich gar nichts tun musste. Abwarten und Teetrinken hätte hier genauso gut funktioniert wie intensive Detektivarbeit – Das mag vielleicht sogar realistisch sein, denn Täter-Fehler sind ja auch in der Realität ein zuverlässiger Grund für Ermittlungserfolge, aber für ein Rollenspiel-Abenteuer ist das letztlich sehr dünn :-( Nun ist mir aber bewusst, dass nicht alle „Private Eye“-Fans so erfolgsorientiert spielen wie ich, sondern dass ihnen das immersive Eintauchen in die viktorianische Ära den Spielspaß bringt. Und genau solche SpielerInnen werden hier ihren Spaß haben, denn es gibt eine ganze Reihe an redefreudigen Haupt- und Nebenfiguren und mit dem Spiritismus & Okkultismus ein für diese Epoche typisches Thema. Hierzu passt dann auch die Gestaltung des im typischen „Private Eye“-Look präsentierten Abenteuerbandes, welcher (neben den üblichen historischen Fotos und schwarz-weißen Zeichnungen) allerlei altägyptische Symbolik bietet. Diese lockern den langen Abenteuertext auf, dessen wichtigste Inhalte am Ende des 72 Seiten starken Büchleins glücklicherweise zusammengefasst wurden. Eine intensive Vorbereitungszeit sollte man als Spielleitung trotzdem mit einplanen, dafür bekommt man hier von der „Redaktion Phantastik“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) für 16,95 € aber auch einen Kriminalfall, der über viele Abende hinweg Spielspaß bietet – Zumindest wenn man lieber Herumlabert anstatt schnelle Ermittlungserfolge zu erzielen :-P Fazit: Ich liebe „Private Eye“, aber mit „Die Hand aus dem Grab“ (Link) habe ich mich schwer getan. Denn im Prinzip kann man die Dinge lange Zeit laufen lassen, denn die gerichtsfeste Lösung des Kriminalfalls hängt letztlich vom Ermitteln beim finalen Mordversuch ab. Führt man jedoch gern ausschweifende Dialoge, dann wird man hier sicherlich viel Spaß haben.