Jeff Lemire ist einer der gefeiersten Comic-Autoren unserer Zeit, auch wenn sich unter all die hochklassigen Werke manchmal auch ein Totalausfall mischt. Wirklich gut war damals jedoch die „Gideon Falls“-Reihe (Link), was vor allem aber auch an den atmosphärischen Zeichnungen von Andrea Sorrentino lag. Und dieses Kreativ-Duo ist nun wieder am Start und liefert mit „Primordial“ einen alternativgeschichtlichen SciFi-Comic rund um die ersten Todesopfer der Raumfahrt. Und diese Todesopfer waren keine Menschen, sondern Tiere. Die Sowjets schickten erst die Hündin Leika ins All, die Amerikaner zogen u.a. mit den beiden Affen Able & Ms. Baker nach. Zumindest die beiden letztgenannten überlebten im wahren Leben ihren Raumflug. In „Primordial“ ist das anders, da führen die Fehlschläge auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs zur Einstellung der Raumfahrtprogramme. Doch der US-Forscher Dr. Pembrook und die sowjetische Leika-Betreuerin Yelena glauben nicht an die offizielle Version – Aber was könnte dann dafür gesorgt haben, dass ein paar tote Tiere für das Ende von Milliardenprojekten sorgen? Die Antwort ist so erschreckend wie simpel: Irgendein außerirdisches Phänomen hat die Tiere im Weltraum „abgeholt“ und mitgenommen. Und so könnten sie vielleicht noch leben, sodass die beiden Forschenden in der tiefsten DDR aus einer verlassenen Funkstation heraus ein Signal senden wollen, mit dem die Tiere den Heimweg finden. Und Leika, Able & Ms. Baker leben tatsächlich! Parallel zur irdischen Undercover-Rettungsmission lernen die drei gestrandeten Tiere, mit der außerirdischen Technologie klarzukommen und den Heimflug anzutreten. Denn das Verlangen nach ihrer Heimat ist größer als die Angst vor den Qualen, die sie während der Vorbereitung ihrer Raummission erlitten... Doch die Menschheit ist nicht darauf vorbereitet und auch nicht gewillt, die Raumfahrt-Rückkehrer aufzunehmen. Und so gibt es ein halboffenes Ende, welches viel Spielraum für Interpretation lässt. Und damit sind wir beim Kern von „Primordial“ angekommen: Jeff Lemire erzählt eine Geschichte, bei der er in den sechs Kapiteln bzw. US-Heften viele kleine Informationsschnipsel streut, die man sich aber selber zusammenreimen muss. Und hat man das geschafft, was teils durchaus interessant ist, dann muss man die Geschehnisse für sich selbst interpretieren. Warum sind die Dinge so geschehen, wie sie geschehen sind? Warum haben die ProtagonistInnen so gehandelt, wie sie handeln? Was ist die Meta-Aussage, was ist der tiefere Sinn? Und was wollen die wundervollen, aber teils ratlos zurücklassenden Zeichnungen von Andrea Sorrentino mir sagen? Ich schreibe diese Rezension direkt nach der Lektüre des Bandes, habe vielleicht eine Viertelstunde nachgedacht. Und ich bin mir nicht sicher, welche Meinung ist jetzt vertreten soll. Tendenziell neige ich dazu, dass Jeff Lemire mal wieder in seiner unbestreitbaren Genialität über Ziel hinausgeschossen ist und ich einfach zu dumm dafür bin. Aber hey, Andrea Sorrentino zeichnet hübsch :-P Vielleicht werde ich, nachdem ich einmal drüber geschlafen habe, oder auch erst nach einer Woche oder einem Monat, ganz anders darüber denken. Vielleicht kommt mir dann erst die Quintessenz des 176 Seiten starken Bandes in den Sinn, oder aber meine aktuell noch eher neutrale Meinung wird eher negativ, weil ich meine kostbare Lebenszeit mit dem Nachdenken über einen Comic vergeudet habe? Ich wage keine Prognose. Vielleicht werde ich irgendwann mal im Podcast drüber sprechen, wenn ich eine endgültige Meinung habe, aber genau jetzt in diesem Moment bin ich ratlos. Wenn ihr aber irgendwas mit Kunstinterpretation studiert habt oder einfach nur die wirklich interessanten Zeichnungen von Andrea Sorrentiono mögt, dann könnt ihr jetzt sofort zuschlagen. Oder wenn ihr mutig seid oder schlauer als ich, wagt euch gern an diesen vom „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat) mit glatten 25 € bepreisten Sammelband. Alle anderen sollten vielleicht wirklich noch mal warten, bis ich in möglicherweise ferner Zukunft im Podcast drüber spreche ;-) Fazit: Egal was ich irgendwann über „Primordial“ (Link) sagen werde, es ist auf jeden Fall ein Comic, über den man intensiv nachdenken kann!
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