Über meine Begeisterung für die „Sonnenstein“-Reihe, die für mich ja zu den besten Comic-Liebesgeschichten überhaupt gehört, habe ich im Podcast (Link, ca. ab Minute 28) ja bereits gesprochen und auch hier im Blog (Link) schon vielfach geschrieben. Da hat einfach alles gepasst: Eine glaubwürdige Liebes-/Trennungsgeschichte, wunderbare Zeichnungen und sehr viel, aber doch immer niveauvolle, Erotik. Nichtsdestotrotz hab ich auch immer mal wieder über gelegentlich auftretende Schwächen gemeckert und darum war ich natürlich gespannt, wie sich der Autor & Zeichner Stjepan Sejic nun beim zweiten Story-Zyklus, der gleichzeitig ein Prequel ist, so anstellen würde...
Der „Mercy“-Zyklus erzählt prinzipiell zwei Geschichten mehr oder minder parallel: Auf der einen Seite sehen wir der Protagonistin des ersten Zyklus, Ally Carter, dabei zu, wie sie ihre ersten BDSM-Gehversuche mit dem Künstler Alan (im ersten Zyklus ihr späterer bester Freund) unternimmt. Und diese ersten Gehversuche gestalten sich überraschend schwierig, denn bereits die Suche nach der passenden Lokalität birgt so einige Hindernisse... Auf der anderen Seiten geht es um die aufkeimende Liebe von Anne und Laura, die sich ein wenig wie die eine Kopie des ersten Zyklus liest: Über ein gemeinsames Interesse (damals BDSM, diesmal die Musik) findet man zueinander, es gibt bei den ersten sexuellen Erfahrungen kleinere Umsetzungsproblemchen, bevor alles reibungslos klappt, dann muss man auch irgendwie noch mit der Umgebung klarkommen (damals „Outing“ vor der Arbeitskollegin, nun das Aufeinandertreffen mit dem Vater) und am Ende kann man durch die gemeinsame Zeit noch seine Träume verwirklichen (damals Schriftstellerei, diesmal Tattoo-Design).
Nun muss eine Kopie eines Erfolgsrezeptes ja nicht schlecht sein, gerade da sich „Sonnenstein“ ja nie durch eine besonders originelle Geschichte ausgezeichnet hat, sondern dadurch, dass die Geschichte sehr authentisch und glaubwürdig war. So konnte ich als Hetero-Mann mit den Erlebnissen & Emotionen der beiden Protagonistinnen Ally & Lisa sehr gut connecten, auch wenn ich weder lesbisch noch BDSMler bin. Und solche authentischen & glaubwürdigen Momente gibt es auch diesmal, aber ganz subjektiv gelingt es mir diesmal weniger, mich mit den „Mercy“-Protagonistinnen Anne und Laura anzufreunden. Ich kann nicht so richtig den Finger auf die Wunde legen, möglicherweise liegt es an den Interessen & Hintergründen der Figuren (Metal-Musik & Tattoos interessieren mich wesentlich weniger als damals Videogames & Schriftstellerei). Gleichsam darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass in meinem Freundeskreis genau der gegenteilige Effekt auftrat, also dass die Metal- & Tattoo-Fans diese beiden Protagonistinnen wesentlich spannender fanden als damals Ally & Lisa. Also offensichtlich ist das Geschmackssache :-P
Keine Geschmackssache sind dagegen wieder die Zeichnungen vom Autor höchstselbst, die sehen einfach toll aus und sind in ihrem Stil auch unverkennbar :-D Gerade aus den Gesichtern holt er einfach ein Maximum an Emotionen raus. Die Sexszenen sind auch wieder sehr ansehnlich und würden im Fernsehen wohl erst ab 22, mitunter gar 23 Uhr gezeigt werden dürfen ;-) Wobei auch hier wieder auffällt – und das hatte ich ja schon bei den letzten „Sonnenstein“-Bänden kritisiert – dass man oft das Gefühl hat, dass Stjepan einige davon nur als Eye-Candy einbaut. Denn im Prinzip haben wir im „Mercy“-Zyklus bisher die lesbische Hauptliebesgeschichte, welche wunderbar für sich alleinstehend funktioniert, aber eben bisher Vanilla bleibt. Das kann man der "Sonnenstein"-Kernzielgruppe aber nicht zumuten – die bezahlt ja viel Geld für die kinky Sexszenen (für „Mercy #2“ verlangt „Panini Comics“, die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur verfügung stellten, beispielsweise 29 € für 160 Seiten im Hardcover) – deshalb wird noch Allys Vorgeschichte reingepackt, die zwar überhaupt keinen Kenntnisgewinn bringt (dieser Rückblick war schon im 1. Zyklus eher schwach) und die auch nicht spannend oder originell ist (denn man kennt ja schon das Ende), die aber die Gelegenheit bietet um allerlei BDSM-Zeichnungen anzufertigen.
Fazit: Zugegeben, der grandiose erste „Sonnenstein“-Zyklus hat die Messlatte schon sehr hoch gelegt, da konnte „Mercy #2“ (Link) die eigentlich nur reißen ;-)