Grusel-Rollenspiele rund um den Lovecraft'schen Mythos sind in meinem Umfeld (z.B. Elea, mit der ich darüber eine eigene Podcast-Folge (Link) aufgenommen habe) eine recht deprimierende Angelegenheit: Man forscht und ermittelt halt ein wenig rum, aber sobald der erste Kultist mit einer Knarre kommt oder sobald man ein Monster sieht, war es das auch schon... Dabei bieten sich Mythos-Wesenheiten doch geradezu dafür an, dass man mal als heldenhafte(r) WeltenretterIn fungiert, so wie es in den alten Pulp-Groschenheftchen vor 100 Jahren üblich war :-) Und genau dafür ist die Erweiterung „Pulp Cthulhu“ gedacht! Auf 280 Seiten erhalten die HeldInnen (genau, man ist in der Beschreibung aufgestiegen von popeligen InvestigatorInnen hin zu echten HeldInnen :-D) all die Informationen und Regelerweiterungen, die man für das „neue“ Spielgefühl braucht:
1. Nach einer kurzen Einführung gibt das Auftaktkapitel einen Abriss zur Geschichte der Pulp Fiction. 2. Die Erschaffung von Pulp-Helden geht auch mit dieser Erweiterung in einem vierzehnstufigen Prozess ziemlich schnell. Im Vergleich zu klassischem „Call of Cthulhu“ sind die Charaktere hier natürlich wesentlich kompetenter und robuster (Hauptattribut bis 95). 3. Natürlich gibt es auch wieder Organisationen, denen man sich entweder anschließen kann oder die als Gegenspieler fungieren. 4. Das Spielsystem bleibt mit seinen W100-Proben zwar theoretisch gleich, es folgen aber ein paar pulpige Anpassungen. Beispielsweise können Fertigkeiten über 100% ansteigen und die SpielerInnen werfen sozusagen mit Glückspunkten um sich, damit sie grandiose Momente schaffen und dem Tod ein ums andere Mal ein Schnippchen schlagen. 5. Pulp-Stabilität: Trotzdessen sind wir aber immer noch beim Mythos-Thema, weshalb es natürlich zu Wahnsinn kommen kann. Aber dieser ist nicht das Ende, im Gegenteil: Wahnsinn kann zu neuen Kräften und damit Handlungsmöglichkeiten führen, auch wenn man es nicht übertreiben sollte... 6. Weiter geht es mit Pulp-Magie, übersinnliche Kräfte und die Wunder von Wissenschaft und Technik. 7. Da sich das Spielprinzip von bisherigem „Call of Cthulhu“ unterscheidet, erklärt dieses kurze Kapitel der Spielleitung, wie man Pulp-Spiele leiten kann. 8. Die Dreißigerjahre sind der historische Hintergrund dieser Erweiterung. 9. Natürlich braucht man auch noch ein paar ordentliche Bösewichte, darum gibt es in diesem Kapitel Beispielhafte Pulp-Schurken. 10. Und dann gibt es noch vier (übrigens die Hälfte des Buches einnehmende) Abenteuer, beginnend mit einer blutig eskalierenden Auktion. Denn Der Desintegrator ist kein Wunderwerk der Technik, sondern pure Mythos-Magie... 11. Das dem Pulp-Genre wohl am nächsten kommende Abenteuer ist Warten auf den Orkan, bei dem man im Angesicht einer Naturkatastrophe allerlei Kultisten wegklatschen muss ;-) 12. Im dritten Abenteuer geht dann Die Büchse der Pandora verloren. 13. Zuletzt ist Ein Dampfschiff nach China der Schauplatz eines spannenden Horror-Abenteuers, bei dem ein kriechendes Wesen (und möglicherweise noch anderes Mythos-Gezücht) einen Luxusdampfer in Angst und Schrecken versetzt... Für all diese Abenteuer gibt es anschließend noch aller Handouts, Karten etc.
Also eine ganze Menge Inhalt dafür, dass es sich „nur“ um eine Erweiterung eines eigentlich recht simplen Regelsystems handelt. Schön ist, dass man den Pulp-Level schrittweise anpassen kann, denn vermutlich hat jede(r) eine eigene Vorstellung, wie denn ein pulpiges Cthulhu-Abenteuer eigentlich aussehen muss. Die vier Beispielabenteuer decken da eine gute Bandbreite ab, denn von „klassischer“ InvestigatorInnen-Arbeit, bei der halt noch drei Monster extra auf eine Ladung Blei warten, bis hin zu einem actionreichen Parforceritt ist alles dabei. Gerade letztere Pulp-Auslegung ist genau nach meinem Geschmack, doch mit „Warten auf den Orkan“ ist hiervon nur ein Abenteuer enthalten, welches auch noch das kürzeste und irgendwie auch schwächste ist. Insgesamt muss man sich hier aber bewusst sein, dass die Charaktere noch immer tendenziell „normale“ Figuren verkörpern, die zwar etwas kompetenter sind, aber noch immer verhältnismäßig rasch sterben. Insgesamt hat mir dieser Erweiterungband gut gefallen, da er meinem Leitungsstil entgegenkam. Trotzdessen fühlt es auch mit den Regeländerung immer noch wie „Call of Cthulhu“ an – Da ist das inhaltlich gar nicht soooo weit entfernte „Achtung! Cthulhu“ mit seinen „Savage Worlds“-Regeln gefühlsmäßig doch viel mehr Pulp. Also würde ich „Pulp Cthulhu“ vielleicht nicht als das ultimative Pulp-Rollenspiel bezeichnen, sondern eher als eine hilfreiche Handreichung für „Call of Cthulhu“-Gruppen, die auch gern mal ein wenig mehr Action bei ihren Ermittlungen erleben wollen :-) Optisch sieht das ganz schön aus, gerade wenn man den Kampfpreis von 19,95 € im Hinterkopf hat, auch wenn die Zeichnungen mitunter uneinheitlich wirken. Auch Lektorat & Korrektorat von „Pegasus Press“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verüfung stelten) machen insgesamt einen guten Job, sodass man als Mythos-Fan nicht umhin kommt hier mal reinzublättern ;-) Fazit: Tatsächlich könnte „Pulp Cthulhu“ (Link) sogar noch ein ganzes Stück pulpiger sein, aber nichtsdestotrotz ist es eine wunderbare Erweiterung, wenn die Charaktere mal ein paar Minuten länger überleben sollen :-P PS: Interessant übrigens, wie stark die Meinungen zu dieser Erweiterung in meinem Blog-Freundeskreis auseinander gehen: Von überschwänglichen Lob (Link) bis hin zu "eine Mogelpackung" (Link) ist wirklich alles dabei :-D