Eine Rosskur ist die umgangssprachliche Bezeichnung für eine drastische, strapaziöse Heilungsbehandlung. Und im weitesten Sinne ist „Die Arche Neo“ für die Comic-Fans eine Art Rosskur, was ihren Umgang mit Tieren angeht. Denn hinter süßen Tierzeichnungen verbirgt sich hier eine brutale, aufrüttelnde Geschichte um den Überlebenskampf von herrenlosen Nutztieren. Mittels eingestreuter Hintergrundinformationen (denn die tierischen ProtagonistInnen haben ziemlich viel Meta-Wissen ;-)) werden den LeserInnen die Auswirkungen der Konsumgesellschaft begreiflich gemacht – So drastisch, dass man seinen Fleischkonsum zumindest mal überdenkt... Und genau deshalb hatte ich den Auftaktband (Link), bei aller Kritik, zu einem der wichtigsten Comics 2020 gekürt. Also mal schauen, ob mich auch die Fortsetzung zu erschüttern wird... Der erste Band begann mit der Erstürmung eines Gnadenhofes durch die Polizei. Die anwesenden Tiere sollten alle ins Schlachthaus, aber immerhin eine kleine Gruppe, bestehend aus dem Schwein Neo, der mittlerweile entbundenen Kuh Renate, dem pubertierenden Hochlandstier Bruce, dem trans Hahn Ferdinand und dem störrischen Schaf Soasig konnte fliehen. Auf der Suche nach dem vermeintlichen Paradies, der karibischen Schweineinsel „Big Mayor Cay“, mussten sie allerlei Rückschläge einstecken. Denn als domestiziertes Nutzvieh kommen sie nur leidlich mit dem Leben in der Wildnis klar, zudem erweisen sich die wilden ArtgenossInnen nicht als Hilfe... Irgendwie haben sie dann aber doch den Auftaktband überlebt, aber nach zahlreichen Fehlschlägen ist die Motivation der Gruppe am Boden. Zumal sie sich mal mehr, mal weniger gewollt aufteilt: Die Kühe werden, nachdem sie in einer Tankstelle randalieren, auf den Vieh-Großmarkt verschleppt. Ferdinand und Soasig geraten in die Fänge eines Zirkusdirektors. Und Neo sucht das arrogante Reitpferd Prinz, einen alten Freund aus Kindertagen, dass ihn näher zu seinem großen Ziel bringen soll... Hatte sich der Auftaktband noch primär mit den Auswüchsen der Nutztierhaltung beschäftigt, ganz besonders mit der Fleischindustrie, geht es diesmal auf 64 Seiten um die Ausbeutung der Tiere zu Unterhaltungszwecken. Denn sowohl das Turnier-Reitpferd Prinz als auch die Zirkustiere profitieren zwar von einer gewissen Stabilität (z.B. regelmäßiges Futter, Schutz vor Raubtieren), bezahlen dies im Gegenzug aber mit ihrer Freiheit. Und wenn sie nicht mehr unterhaltsam sind, werden sie einfach entsorgt... Ich finde es überaus begrüßenswert, dass sich der Szenarist Stéphane Betbeder dieser (im öffentlichen Gedächtnis) oft ins Hintertreffen geratenen Tierausbeutungsthematik annimmt. Nichtsdestotrotz schwächelt er diesmal beim Erzählen der Geschichte, denn neben zahlreichen sehr unwahrscheinlichen Zufällen führt er nun eine Art „übernatürliche“ Elemente ein. So kann der Zirkusdirektor quasi aus dem Nichts die Tiere hypnotisieren und es wird zumindest der Anschein erweckt, als könnte Prinz mit den Menschen reden – Bisher funktionierte diese Kommunikation nur innerhalb der Tierwelt. Das ist durchaus ärgerlich, wird das „realistische“ Szenario doch dadurch entwertet – Fiktive Zaubertiere sind mir als Leser emotional irgendwie egaler als „echte“ Tiere. Auch gibt es, wie ein paar Sätze zuvor schon erwähnt, einfach ein paar Zufälle zu viel, welche die Geschichte etwas holprig wirken lassen. Und damit meine ich nicht einmal so abstruse Konstruktionen wie etwa, dass sich die getrennte Gruppe am anderen Ende von Frankreich in einem Flugzeug wieder zusammenfindet (kein Spoiler, das sieht man ja auf dem Cover :-P). Nein, ich meine eher so gezwungen wirkende Story-Entscheidungen wie beispielsweise dass die Zirkustiere bei der ersten Befreiung einfach in ihren Käfigen bleiben, damit sie genau jetzt über das Nutznießen ihrer Situation philosophieren können, um dann bei ihrer zweiten Befreiung widerstandslos abzuhauen (und nebenbei bemerkt, ich hoffe die menschlichen ProtagonistInnen werden ordentlich lange eingeknastet, weil sie einfach mal einen Löwen freilassen – Im vorherigen Band wurde ja drastisch gezeigt, wie es in der Großschlachterei zugeht. Wird demnächst als Ausgleich auch gezeigt, wie der Löwe auf dem nächstgelegenen Spielplatz ein Kind frisst?). Nichtsdestotrotz, ich bleibe bei meiner Meinung, diese Comic-Reihe ist unglaublich wichtig und so danke ich dem „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) sehr dafür, dass „Die Arche Neo“ in sein Portfolio aufgenommen hat! Fazit: Zugegeben, eine Rosskur war „Die Arche Neo #2 Rosskur“ (Link) für mich als Leser jetzt nicht, denn dafür war dieser zweite Band nicht drastisch genug. Ganz im Gegensatz zum 1. Band, wo mir fast das Schnitzel wieder hochgekommen ist ;-) Nichtsdestotrotz ein wichtiges Thema, welches wieder in hübschen Zeichnungen verpackt wurde, sodass ich den Fans der Reihe auch diese Fortsetzung empfehlen kann.
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