Zweite Chancen sind immer so ein gewagtes Thema – Im echten Leben (z.B. beim Thema Freundin) sollte man so etwas immer lassen, im Popkultur-Bereich kann sich aber so manch hässliches Entlein zu einem schönen Schwan entwickeln. Ob es auch so ist beim zweiten Band der „USS Constitution“-Reihe? Immerhin habe ich den Auftaktband sowohl hier im Blog (Link) und noch viel mehr im Podcast (Link, ab Minute 23) ganz schön hart angegangen. Aber da hab ich ja auch versprochen, dass ich die Comic-Reihe aufgrund des Cliffhangers mal im Auge behalte... „USS Constitution“ ist ein historischer Seekriegscomic rund um das älteste noch seetaugliche Kriegsschiff der Welt. Und auch wenn es jetzt allen SeefahrerInnen als Vorbild dient, war es nicht immer erfolgreich bei seinen Kriegsmissionen. Und davon erzählt diese Reihe, deren Auftaktband „Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“ sich um die Mittelmeer-Abenteuer des Fähnrichs Pierre-Mary Corbières drehen. Dieser ist seefahrerisch talentiert, er lehnt die toxische Maskulinität seiner gleichrangigen Kameraden jedoch ab und freundet sich stattdessen mit einem einfachen Matrosen an – Was Argwohn weckt, den Pierre-Mary eigentlich nicht brauchen kann, denn er trägt ein düsteres Familiengeheimnis mit sich herum... Für diese Rezension muss ich jetzt ein Kernelement der Handlung spoilern, also ab jetzt eine dicke Spoiler-Warnung: Pierre-Mary ist eigentlich das Mädchen Mary, welches sich aus Furcht vor ihrem gewalttätigen Onkel als ihr verstorbener Bruder ausgibt und als dieser Karriere macht. Am Ende des Auftaktbandes kommt ihr der skrupellose Fähnrich Powlett auf die Schliche, welcher sie unter Androhung des Geheimnisverrates mehrfach sexuell missbraucht. Aber auch der einfache Matrose Nicholas erkennt die Wahrheit und zieht daraus seine eigenen Schlüsse... Daneben erzählt dieser Band weiter von der bisher wenig erfolgreichen Mittelmeer-Mission, bei der ja bereits eines der stärksten US-Schiffe in feindliche Hand geriet. Dieses soll nun in einer gefährlichen Geheimmission versenkt werden, damit der Feind es nicht wieder seetüchtig macht und dann zur Piraterie zweckentfremdet. Und dann gibt es noch mehr Hintergrundinformationen zu Pierre-Marys Kindheit, als er/sie plötzlich seinem/ihrem Onkel gegenübersteht... „USS Constitution #2 Es gibt zwei Gesetze auf dem Meer, eins für die Offiziere und eins für die Mannschaft“ ist nicht nur der Comic-Fortsetzungsband mit dem vermutlich längsten Titel, den ich je besprochen habe, sondern dieser Comic ist tatsächlich auch wesentlich besser als der Auftaktband. Endlich passiert mal etwas, was über das bloße Abarbeiten von Schiffsinformationen (darum ist die Virginia-Eiche so toll zum Kriegsschiffbau...) oder historischen Ereignissen hinausgeht. Denn die Geheimmission zur Versenkung des gekaperten Schiffes und auch ein Seegefecht inklusive Enterkommando sind durchaus spannend. Nichtsdestotrotz versucht Franck Bonnet, Autor & Zeichner in Personalunion, wieder seine Marine-Expertise einfließen zu lassen und den Lesenden einige neue Informationen zur Segelschifffahrt zu vermitteln. Und das klappt bis wirklich gut :-) Aber dann gibt es eben auch noch den Handlungsstrang um Pierre-Mary und der ist weiterhin der große Schwachpunkt, denn im Prinzip dreht es sich hier nur um Vergewaltigungen aller Art (sei es, dass sie selbst das Opfer wird, oder dass sie davon erzählt wie ihre Mutter missbraucht wird), die sehr plakativ wirken – Ich will jetzt nicht schon wieder ein Gender-Thema aufmachen, aber eine Autorin hätte die Geschichte vermutlich anders geschrieben... Die ein oder andere Nacktzeichnung des immer noch deutlich minderjährigen Mädchens fand ich auch ein wenig creepy, aber bekanntermaßen ist die franko-belgische (Comic-)Kunst da ja immer etwas lockerer drauf. Von diesen – für mich – „Problemfällen“ mal abgesehen zeichnet Bonnet wie gehabt: Die Figuren etwas schwächer, die Schiffe dafür umso liebevoller. Und sind wir ehrlich, die Fans dieser Art von Comics schauen eher darauf, wie die Schiffe aussehen, also alles im Lot ;-) Und eben jene Zielgruppe wird auch wieder gern die 16 € zahlen, welche der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) für 64 Seiten starke Hardcover verlangt. Fazit: Ich glaube ja nicht mehr, dass Franck Bonnet noch ein großer Geschichtenerzähler wird. Aber man muss ihm zugestehen, dass der Fortsetzungsband dank einer erstmals wirklich erkennbaren Handlung wesentlich besser ist. Trotzdessen ist und bleibt „USS Constitution #2 Es gibt zwei Gesetze auf dem Meer, eins für die Offiziere und eins für die Mannschaft“ (Link) primär ein Segelschiff-Porno mit ein wenig düsterer Handlung und vielen lehrreichen Informationen drumherum.
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