Escape Rooms sind ja einer der Spieletrends der letzten Jahre. Sowohl „in echt“, wobei diese Live-Events wegen Corona etwas zurückgegangen sind, als auch für den heimischen Spieltisch. Die „EXIT Das Spiel“-Reihe (Link) war da sicherlich einer der Genre-Vorreiter, aber auch zahlreiche andere Verlage bieten nun vergleichbare Titel an. Beispielsweise „arsEdition“ mit ihrer „Escape Room“-Serie, für welche der bekannte Spielbuch-Autor Jens Schumacher u.a. „Blutige Spur“ entwickelte. Und bei diesem Namen bin ich sofort hellhörig geworden, war doch sein Spielbuch „In den Fängen der Seehexe“ (Link) der allererste Verriss, den ich jemals hier im Blog verfasst hab. Aber das war möglicherweise nur ein Ausrutscher, denn vielen seiner späteren Spielbücher (z.B. „Das Vermächtnis des Zauberers“ (Link), „Der Schatz der Oger“ (Link) und ganz besonders „Monster Park“ (Link)) habe ich ein positives Zeugnis ausgestellt. Daher war ich natürlich gespannt, ob Jens in diesem Escape-Kartenspiel die alten Fehler wiederholen würde... Die Geschichte ist so simpel wie klassisch: Das fiese Computer-Genie Sebastian Rosser wurde nach 12 Jahren aus der Haft entlassen. Dort hatte er mehr als genug Zeit für einen Racheplan, denn der von den Spielenden verkörperte Profiler hat ihn damals hinter Gitter gebracht. Nun tauchen Leichenteile auf, die Spur führt direkt in Rossers Haus, und plötzlich findet man sich vergiftet in dessen Keller wieder. Und jetzt kommt, was in einem Escape-Spiel halt kommen muss: Die Flucht aus dem Keller und das idealerweise, eh das Nervengift seine Wirkung entfaltet... Die grundlegende Spielmechanik ist so einfach und eingängig, dass sie auf ein Spielkarte passt: Je nach Spielverlauf schaut man sich die Illustrationen auf einer oder mehreren Spielkarten an. Auf diesen sind verschiedenfarbige Nummern abgedruckt, mit welchen man interagieren kann:
- Grüne Zahlen bedeuten, dass man die entsprechend nummerierte Karte aufdecken darf. - Organe Zahlen bedeuten, dass man man mehrere Alternativen hat, aber nur eine auswählen darf. - Rote Zahlen bedeuten, dass man die entsprechende aufgedeckte Karte entfernen muss. - Und graue Zahlen bedeuten, dass man entsprechende Objekte mit einem anderen Objekt kombinieren kann. Hierfür kombiniert man die beiden zweistelligen Nummern zu einer vierstelligen Code, wobei die niedrigere jeweils voransteht. Dann schaut man im 16 Seiten umfassenden Code-Heftchen nach, ob diese Zahlenkombination auch wirklich Sinn ergibt und die Geschichte voranschreitet. Beispielsweise, das ist jetzt ein zu vernachlässigender Spoiler, könnte man im ersten Raum mit dem Hammer (32) auf das Kissen (25) einprügeln und dann im Code-Heftchen schauen, ob es unter der Nummer 2532 irgendwas bewirkt. Kleiner Spoiler: Nö, das ist eine blödsinnige Idee, damit kann man höchstes seinen Frust über schwierige Rätsel ausleben ;-)
Ein wenig Zeitdruck erhält man durch die Gift-Karten, welche die nach und nach voranschreitende Ausbreitung des Nervengiftes darstellen. Erhält man drei Stück, ist man tot. Und hier kommen wir zu einem großen Problem dieses Escape-Spiels: Es gibt nur eine einzige korrekte Lösung! Weicht man vom vorgegebenen Plan des Autors ab, und dazu gibt es einige Möglichkeiten, dann trödelt man zu lang und erhält eine Giftkarte zu viel (denn zwei von drei erhält man im Spielverlauf automatisch, man darf sich also keine dritte Karte erlauben). Und ist man zu rasch oder zu logisch, weil man zur Lösung eines Rätsels beispielsweise nicht den gesamten Raum absucht, da man die Antwort auch so herausfindet, dann führt das über kurz oder lang ebenfalls zum Tod! Achtung, großer Spoiler: Beispielsweise, wenn man im Chemie-Raum direkt die Säure herstellt, ohne sich um das ausströmende Gas zu kümmern – was laut Anleitung funktioniert, wenn man es beim 1. Versuch schafft – dann kann man im Idealfall zwar noch bis zum letzten Rätsel vordringen, dort stirbt man aber unweigerlich. Ebenso, wenn man direkt aus dem Kaminzimmer flieht, weil man die Lösung direkt AUF dem Gemälde findet, anstatt zusätzlich HINTER das Gemälde zu schauen... Das ist ärgerlich, dieser Frustfaktor hätte nicht sein müssen! Und sind wir ehrlich, wer fängt in diesem Moment doch noch einmal von vorn an? Klar, man kann einfach cheaten und bis an die Stelle der falschen Entscheidung zurückgehen; aber selbst dann bleibt ein fader Beigeschmack (siehe etwa die vielen negativen Kundenrezensionen bei Amazon), was sehr schade ist, da „Blutige Spur“ auch so viele Glanzmomente hat... Beispielsweise konnten mich die Rätsel an sich, also wenn man die oben genannten Probleme oder schwammige Formulierungen weglässt, durchaus überzeugen. Sie sind abwechslungsreich, wenn auch mit einem überdurchschnittlichen Fokus auf Mathematik und Dekodierung, und dabei in den allermeisten Fällen sehr harmonisch in die Handlung eingebettet. Auch der generelle Spielfluss (etwa dass die einzelnen Räume aus meistens nur zwei bis drei Spielkarten bestanden, die man nach und nach aufdeckt) war sehr angenehm. Mit der Suche nach den richtigen Zahlenkombination hatte man fast das Gefühl, als hätte man hier die Kartenspiel-Version von modernen Spielbuch-Varianten (z.B. „Paulson's Peak“ (Link)). Hier hatte ich den Eindruck, als kämen die Spielbuch-Wurzeln des Autors durch, und das ist ja immer eine gute Sache :-D Produktionstechnisch gab es für mich nichts zu meckern, denn die 50 jeweils 9,8 x 15,4 cm großen Spielkarten waren von stabiler Qualität und auch nett illustriert; auch die Pappbox geht völlig in Ordnung. Die angegebene Spielzeit von 30 – 60 Minuten haben wir dabei deutlich überschritten (ohne dass wir merkliche Längen hatten, vermutlich waren wir einfach überdurchschnittlich langsam ;-) aber Jens, dem ich für das Rezensionsmuster danke, wollte ja explizit dass ich mit Escape-AnfängerInnen testspiele), das empfohlene Mindestalter von 12+ ist bei den brutalen Themen (inklusive mehrfacher Selbstverletzung und einiger unschöner Tode) ist aber etwas niedrig angesetzt. Zudem ist die Farbgestaltung und die Schriftgröße, gerade des Code-Heftchens, eher für helle Umgebungen ausgelegt (was bei so einem Grusel-Thema eigentlich schade ist, da wäre schummriges Licht viel besser). Negativ ankreiden muss ich zudem, dass man Hilfestellungen nur online (Link) findet. Positiv dagegen ist, dass man dieses Escape-Kartenspiel problemlos mehrfach verwenden beziehungsweise weitergeben kann, wenn man die Anweisung „Knicke die Karte XY“ ignoriert ;-) Durch diesen Wiederverwendbarkeitsfaktor geht das Preis-/Leistungsverhältnis dann auch in Ordnung, gerade wenn man nicht die 12 € der Verlagswebseite als Maßstab nimmt, sondern den „realen“ Straßenpreis von deutlich unter 10 €! Fazit: Gern hätte ich viel Lob ausgeschüttet über „Escape Room: Blutige Spur“ (Link), denn die Rätsel machen Spaß und die Atmosphäre ist angenehm düster. Aber der Zwang zum perfekten Lösungsweg sorgt dann leider doch für ein gewisses Frustpotential, da er spielerische Freiheit vorgaukelt, wo es keine gibt.