Wer an deutsche Rollenspiele denkt, der denkt vermutlich erst einmal an DSA. Aber es gibt auch „Hidden Champions“, die fast genau so alt sind und sich über die Jahre eine gar nicht mal so kleine und vor allem aber sehr treue Fanbase aufgebaut haben. Zweifelsohne ist das viktorianische Detektivrollenspiel "Private Eye" ein solcher „Hidden Champion“, der Hobby-ErmittlerInnen seit 1989 erfreut. Besonders an den offiziellen Publikationen war, dass die Kriminalfälle weitestgehend realistisch waren – Oder besser authentisch, da das Thema „Realismus im Rollenspiel“ ja immer so ein kontroverses Thema ist (man höre dazu beispielsweise unsere entsprechende Podcast-Folge (Link)). Und wenn man es so betrachtet, dann ist der Kampagnenband „Auf der Spur des Grauens“ von Rollenspiel-Legende Ralf Sandfuchs trotz seiner übernatürlichen Gruselthematik sehr authentisch, denn Spiritismus & Esoterik waren damals schwer in Mode ;-) Die „Society für Paranormal Exploriation And Research“, welche sowohl Fans als auch SkeptikerInnen von Esoterik & Spiritismus in ihren Reihen hat, untersucht übernatürliche Kriminalfälle, um der Frage nachzugehen, ob es sich nicht doch eher um Betrug und Scharlatanerie handelt. Und davon enthält die Kampagne, deren einzelne Abenteuer man aber auch problemlos für sich alleine spielen kann, gleich fünf Stück:
- Ist Das Monster von Sark tatsächlich ein aus dem Ärmelkanal entstiegenes Fischwesen, das reihenweise InselbewohnerInnen ermordet und ihnen unheilige Latein-Verse in den Mund stopft? - Ist Die Macht des Teufels wirklich so stark, dass er aus dem Opfer wieder ausgetrieben werden muss? - Sind Die toten Kinder von Willow Hall wirklich tot? Und warum suchen sie noch immer eine verfallene Villa heim? - Kann Die Todespfeife wirklich Tote zum Leben erwecken? - Und kann Der Gefallene Prinz und ein mit ihm im Zusammenhang stehender Kult das Fundament der britischen Monarchie erschüttern?
Fragen über Fragen, welche die DetektivInnen beantworten müssen. Dabei werden sie oft feststellen, so viel Spoiler muss schon sein, dass hinter diesen übernatürlichen Ereignissen am Ende doch so profane Motive wie beispielsweise Rache und Habgier stecken. Nichtsdestotrotz bietet „Auf der Spur des Grauens“ auch jeweils die Möglichkeit, den Kriminalfällen tatsächliche übernatürliche Elemente hinzuzufügen. Wie man vielleicht schon bei der Titelnennung der einzelnen Abenteuer gelesen hat, werden hier auch durchaus problematische Themen angeschnitten. Es freut mich daher sehr, dass in diesem Band nicht nur Trigger-Warnungen genannt werden, sondern dass in dem den Abenteuern vorangestellten Tipps-&-Tricks-Teil auch auf Sicherheitstechniken eingegangen wird (inklusive der vermutlich schönsten X-Karte, die ich bisher irgendwo gesehen habe). Den weitaus größten Teil des 156 Seiten starken Softcover-Bandes, nämlich ca. 130 Seiten, machen aber natürlich die eigentlichen Kriminalfälle aus. Dabei handelt es sich bei „Das Monster von Sark“, „Die toten Kinder von Willow Hall“ und „Der Gefallene Prinz“ um umfangreichere, detailliert ausgearbeitete Kriminalfälle mit jeweils mehreren Handlungssträngen (z.B. mehrere verschiedene Morde), mit denen man zweifelsohne jeweils mehrere Spieleabende verbringen wird. „Die Macht des Teufels“ und „Die Todespfeife“ sind dagegen recht kompakte Kurzszenarien, welche man beispielsweise auch problemlos in einem vierstündigen Convention-Slot durchspielen kann. Allen Abenteuer gemein ist, dass sie kein „statisches“ Szenario sind, also dass sich die Geschehnisse auch ohne das Zutun der Spielenden weiterentwickeln. Meist laufen sie dabei sogar auf ein finales Schlüsselereignis hin (z.B. einen Mord in der Öffentlichkeit), was ich nicht ganz optimal gelöst finde. Denn findet man den/die Täter zu schnell, verpasst man das halbe Abenteuer, und ist man zu langsam, dann ist am Ende alles schon passiert und der/die Täter liegen ohne eigenen Ermittlungserfolg auf dem Silbertablett. Hier muss die Spielleitung schon ein gewisses Maß an Erfahrung mitbringen, was das Zeitmanagement und das eventuelle Geben von Hinweisen angeht. Auch dass immer wieder auf „gutes Rollenspiel“ verwiesen wird, damit man anstatt einer (oft sogar kritisch) gelungenen Würfelprobe an einen Hinweis kommt, könnte manche Spielleitungen (ich geh da ganz offen von mir selbst aus) überfordern. Ansonsten wird, das kennt man ja auch den vorherigen Abenteuerbänden, der Spielleitung jedoch sehr entgegengekommen: Die Gestaltung des Abenteuers ist sehr übersichtlich, zudem gibt es auch noch einmal eine gesonderte Zusammenfassung der Hinweise und eine ordentliche Menge Handouts. Auch lesen sich die Texte wirklich gut, hier merkt man einfach die Expertise der „Redaktion Phantastik“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) bei Lektorat & Layout :-) Krimi-Fans, egal ob sie „Private Eye“ spielen oder das regeltechnisch und thematisch ja sehr naheliegende „Call of Cthulhu“, können hier bedenkenlos 19,95 € investieren! Fazit: Beim Kampagnenband „Private Eye: Auf der Spur des Grauens“ (Link) kann der erfahrene Rollenspiel-Autor Ralf Sandfuchs seine Expertise völlig ausspielen. Empfehlenswert, wenn man schon ein wenig Spielleitungserfahrung besitzt.