Zu den schwierigsten Aufgaben, die man in seinem Leben so bewältigen muss, gehört zweifelsohne das Finden der eigenen sexuellen und geschlechtlichen Identität. Gerade auch, weil der Findungsprozess manchmal ein ganzes Leben lang anhält. Noch schwerer wird es allerdings, wenn dies in einer unsicheren Umgebung stattfinden muss, sodass der Biografie-Comic „Der Fall Alan Turing“ eigentlich auch „Der Fall von Alan Turing“ heißen könnte... Alan Turing, am 23. Juni 1912 in London in eine kaputte Familie hineingeboren, gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik. Mit der Dekodierung der deutschen Chiffriermaschine „Enigma“ hatte er quasi vom Schreibtisch aus einen wesentlichen Einfluss auf den Sieg über Nazi-Deutschland im 2. Weltkrieg. Doch seine enormen Verdienste konnten ihn nicht vor einer Verurteilung wegen seiner Homosexualität retten, welche zu einer Zwangssterilisation und in Folge dessen zu seinem Selbstmord führten... Der 80 Seiten umfassende Hardcover-Comic aus dem österreichischen Autogestionsverlag „bahoe books“ zeichnet nun sein Leben nach und vermischt dabei drei Zeitebenen: Erstens seine Kindheit und Jugend, in der er als Wunderkind & Sonderling aufwächst, seine Homosexualität entdeckt und zu allem Übel auch noch seine erste Liebe wegen einem verkeimten Schluck Milch verliert. Zweitens, und dieser Story-Strang nimmt den Großteil der Biografie ein, seine Arbeit im Bletchley Park an der Dekodierung der „Enigma“. Und drittens die Zeit nach dem Krieg, in der das Ausleben seiner Homosexualität zu seinem Fall und schließlich zu seinem Suizid führt. „Der Fall Alan Turing“ ist ein ganz klassischer Biografie-Comic: Wenn sie auch manchmal, um die Zusammenhänge besser zu verstehen, quer durch die Lebensereignisse springt, folgt die Geschichte doch Turings Lebensweg. Klar, dass es da nicht immer die spannendsten Wendungen gibt, die ein fiktionales Drama hätte. Aber der Zeitdruck wegen der Dekodierung und dann auch die Hinführung zum letztlich von einem Disney-Film inspirierten Selbstmord lässt durchaus so etwas wie Dramatik aufkommen, auch wenn die meisten Leserinnen und Leser dieser Comic-Biografie schon wissen werden, wer Alan Turing war und ob die Nazis den Krieg verloren haben ;-) Gefallen hat mir an dieser Comic-Biografie besonders die Zugänglichkeit, denn sowohl während der Geschichte als auch im kurzen, aber spannenden Bonusteil werden die Grundelemente der (De-)Chiffrierung verständlich erklärt. Zudem sind die Illustrationen gelungen, gerade auch, weil in den verschiedenen Zeitebenen manchmal die Zeitstile wechseln. Also eine wirklich gelungene Comic-Biografie, die „bahoe books“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) für faire 18 € publiziert. Fazit: „Der Fall Alan Turing“ (Link) ist ein klassischer Biografie-Comic, der mit gelungenen Zeichnungen und einer (für solch ein Thema) überraschender Zugänglichkeit punktet.
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