Politische Graphic Novels kann es ja nie genug geben! Schon deshalb nicht, weil sie durch ihre Illustrationen und die damit transportierte Atmosphäre wichtige Geschichtsereignisse oder einen irgendwann vorherrschenden Zeitgeist so viel besser darstellen als ein schöner Text. Das gefällt nicht allen Comic-Fans – Vielleicht erinnert sich ja jemand an meinen „HallunkenCon“-Livestream, als ich erzählte, dass ein Comic-Verlag mit mir explizit wegen meiner Rezension zu „Der Krieg von Cathrine“ (Link) vom Autogestionsverlag „bahoe books“ nicht mehr zusammenarbeiten wollte (falls ihr den Twitch-Stream verpasst habt, Mitte des Monats kommt der Mitschnitt in meinem Podcast (Link)). Die Biografie „Ein Sack voll Murmeln“ ist thematisch nun sehr ähnlich und kommt ebenfalls von „bahoe books“, also sind wir mal gespannt, wie viele Verlage mir nach dieser Rezension die Zusammenarbeit aufkündigen werden :-P Die Graphic Novel „Ein Sack voll Murmeln“ basiert auf der gleichnamigen Autobiografie des französischen Schriftstellers Joseph Joffo, welche 1973 erschien und weltweite Beachtung fand; auch, weil sie gleich zweimal verfilmt wurde. In ihr schildert er seine ständige Flucht und das immerwährende Verstecken während der deutschen Besatzung Frankreichs im 2. Weltkrieg. Dabei erlebt er trotz der immerwährenden Gefahr immer wieder zivilen Ungehorsam, weil teils Wildfremde ihm und seinen Bruder vor den Nazis schützen, aber eben auch kollaborierende und antisemitische Französinnen und Franzosen. Die Flucht beginnt in Paris, wo sein Vater (der ebenfalls als Kind Fluchterfahrungen machen musste) ihn mit seinem Bruder Maurice allein auf die Reise schickt, während die beiden älteren Brüder und auch die Eltern jeweils in Zweiergruppen reisen. Ihr Ziel ist die illegale Übersiedlung nach Vichy-Frankreich, in dem es zu der Zeit noch nicht so einen starken Verfolgungsdruck auf Jüdinnen und Juden gibt. Doch der Krieg schreitet voran, die Nazis besetzen auch den letzten Rest Frankreichs, und so wird die Familie Joffo während ihrer erneuten Flucht endgültig getrennt... Ich habe in der Einleitung ja bereits die Graphic Novel „Der Krieg von Cathrine“ erwähnt, welche im gleichen Verlag erschienen ist. Die Geschichten ähneln sich stark, was erst einmal nicht ungewöhnlich ist, da Jüdinnen und Juden im besetzten Frankreich natürlich ähnliche schreckliche Erfahrungen machen mussten. Interessant ist hier jedoch, welch anderen Gefühle diese Graphic Novel im Vergleich auslöst: Bei „Der Krieg von Cathrine“ habe ich ja geschrieben, dass man den problemlos auch Grundschulkindern geben könnte (ja geben muss!), weil der Krieg und die Bedrohung durch die Nazi-Soldaten weitestgehend Behauptungen sind, da die konkrete Gefahr nie gezeigt wird. Hier ist das nicht so: Immer wieder Kontrollen durch Nazi-Soldaten und kollaborierende Franzosen, verzweifelte Gefangene, im Verlauf der Geschichte auch ein Verhör inklusive Leibesvisitation – Das lässt die Bedrohung der beiden Protagonisten Joseph und Maurice nochmal viel greifbarer erscheinen. Dadurch entwickelt sich beim Lesen eine Beklemmung, die so viel stärker wirkt als erwartet. Denn wenn man anfangs im Buch blättert und die eher groben, auqarellartig kolorierten Zeichnungen sieht, dann glaubt man kaum daran, dass diese so eine bedrückende Atmosphäre transportieren. Deshalb würde ich vom Wunsch des Autorenduos Kris & Vincent Bailly, dieses Buch Kindern in die Hand zu drücken, auch eher Abstand nehmen und es eher für Jugendliche empfehlen. Für diese (und natürlich Erwachsene) ist es aber ein wirklich gelungener Biografie-Comic, der übrigens sogar einen „Eisner Award“ gewann, sodass ich das 128 Seiten starke, von „bahoe books“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) als Hardcover gedruckte Buch auch gern weiterempfehlen möchte. Fazit: Zugegebenermaßen habe ich beim ersten Durchblättern, gerade wegen des groben Zeichenstils, jetzt nicht so viel erwartet von „Ein Sack voll Murmeln“ (Link). Aber tatsächlich, diese bedrückende Biografie-Adaption hat den „Eisner Award“ als „Best Reality-Based Work“ redlich verdient. Empfehlenswert!
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