Die legendäre Figur des dem gefangenen König Richard Löwenherz treu ergebenen Diebes Robin Hood wurde in der (Populär-)Kultur schon hunderte Male neu interpretiert: Mal war er ein verschuldeter Wegelagerer, mal ein Rebell für soziale Gerechtigkeit. Und da fragt man sich natürlich, ob die Comic-Reihe „Nottingham“ der Legende noch ein paar neue Aspekte hinzufügen kann? Und tatsächlich bleibt die grundlegende Situation erst einmal gleich: Der eigentliche englische Herrscher Richard Löwenherz hat den Kreuzzug in den Sand gesetzt und gilt als vermisst. Klar, dass sein Bruder Prinz John da auf den Thron schielt. Aber für solch einen Staatsstreich muss man natürlich das nötige Kleingeld haben, welches der Steuereintreiber Hugh de Morville eintreiben soll. Der auf das Wohl seiner Grafschaft bedachte Sheriff William von Nottingham befindet sich daher in einer Zwickmühle: Einerseits ist er dem rechtmäßigen König treu ergeben, andererseits darf er sich bei Prinz John nicht unbeliebt machen, sollte dieser sich wirklich an die Macht putschen. Also wagt er einen riskanten Plan: Er gibt die Steuern freimütig ab, organisiert jedoch gleichzeitig den Überfall auf den Steuereintreiber, um sich das Geld zurück zu holen. Doch der Plan geht nicht auf und so muss sich William plötzlich entscheiden, auf welcher Seite er steht... Ich hätte es ja nicht gedacht, aber „Lösegeld für den König“, der Auftaktband der „Nottingham“-Trilogie, findet doch einige interessante Ansatzpunkte, um der altbekannten Geschichte einen neuen Dreh zu geben. Hierfür muss ich nun aber leider spoilern, also überspringt diese Abschnitt, falls ihr euch vom großen Story-Twist am Ende überraschen lassen wollt. Alle weg? Okay, also es ist natürlich ein interessantes Gedankenspiel, dass Robin Hoods ärgster Widersacher tatsächlich er selbst ist. Aber die Reihe setzt auf diese reizvolle Prämisse direkt noch einen Wendung oben drauf: Dass William am Ende des Bandes seine neu gestartete Diebeskarriere an den Nagel hängt, damit sogleich eine weitere altbekannte Robin Hood-Figur diesen Job übernimmt und damit ebenfalls in einer Doppelrolle agiert, macht durchaus Spaß. Wobei sich das Autorenduo Brugeas & Herzet hier ein wenig in eine Falle manövriert haben, denn nun haben wir halt doch wieder die altbekannte Konstellation Sheriff vs. Robin Hood. Sehr schade, hier wird sozusagen auf den allerletzten Metern der interessanteste Aspekt der Geschichte sogleich wieder aufgegeben :-( Klar, auch die neue Figur kann in dieser Rolle sicherlich glänzen, denn zumindest ich habe sie noch nie als Robin Hood gesehen; aber da Sheriff William ihre Identität kennt und er halt nicht gegen sich selbst kämpfen muss, wurde hier mutmaßlich viel Story-Potential verschenkt. Wobei das natürlich nur Vermutungen meinerseits sind, vielleicht rocken die kommenden beiden Bände ja richtig und dann muss ich kleinlaut zugeben, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, wie man in mit dieser Figurenkonstellation abrockt ;-) Mal von diesem diskussionswürdigen Story-Twist abgesehen, haben wir mit „Lösegeld für den König“ einen durchaus gefälligen und atmosphärisch gezeichneten Historien-Comic. Das sieht schön aus und liest sich gut weg, wenn es auch ein paar Seiten dauert, bis man in die Geschichte hineinfindet. Denn wie bei vielen Historien-Comics verlässt sich das Autorenduo zu sehr darauf, dass man die handelnden Figuren schon kennt. Viele der ProtagonistInnen sind halt einfach da, was ärgerlich ist, wenn dadurch die emotionale Wucht (etwa bei Tod oder dramatischen Entscheidungen) fehlt. Denn lediglich Sheriff William ist mehr als ein Abziehbild, aber selbst bei ihm könnte ich jetzt kaum mehr als drei Charaktereigenschaften oder Hintergrundinformationen nennen. Und die Liebesgeschichte mit Lady Marian hab ich auch nicht gefühlt, was schade ist, da sie doch mutmaßlich der dramatische Dreh- & Angelpunkt der „Nottingham“-Trilogie sein wird... Aber das war ja auch erst der Auftaktband, also hoffen wir einfach mal darauf, dass die beiden Folgebände mehr Informationen liefern. Fans von Historien-Comics allgemein, besonders aber von Robin Hood, werden hier aber trotzdem ihre Freude haben und dürfen bedenkenlos die glatten 16 € zahlen, welche der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) für das 56 Seiten starke Hardcover verlangt. Fazit: „Nottingham #1 Lösegeld für die König“ (Link) erweitert die bekannte Diebes-Saga um eine interessante Figurenkonstellation, räumt dieses Alleinstellungsmerkmal aber bereits mit dem Story-Twist am Ende wieder ab. Nichtsdestotrotz bin ich gespannt auf den Fortgang der Geschichte – Und damit hat dieser Auftaktband sein Ziel erreicht :-D
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