Eine elitäre Kampfflieger-Gilde, die gegen Luftpiraten und feindliche Regierungen kämpft, in einem karibischen Dieselpunk-Setting – Wir müssen gar nicht lange diskutieren, das Rollenspiel „Warbirds“ trifft meinen Genre-Geschmack ganz und gar hervorragend :-D Ob es mich aber auch spielerisch begeistern kann? Die Welt von „Warbirds“ unterscheidet sich stark von unserer Gegenwart, obwohl sie doch auf den „echten“ karibischen Inseln spielt. Es gibt nur einen kleinen Unterschied: 1804 hat ein gewaltiger Sturm die Inseln (u.a. Kuba, Haiti, Jameika, Puerto Rico und einen Teil Floridas) in eine Art Paralleldimension verfrachtet, in welcher diese um eine Tornado herum schweben. Unter ihnen liegt nichts weiter als eine tödliche Dunkelheit, sodass Flugzeuge und Luftschiffe die einzigen Transportmittel sind. Und da deren technischer Stand eher bescheiden ist (irgendwo um den 2. Weltkrieg herum angesiedelt), bietet die Azur genannte Welt viel Platz für äußerst zwielichtige Gestalten wie PiratInnen und SöldnerInnen. Die verschiedenen Fluginselstaaten kommen mit dem Schutz der Handelsrouten gar nicht hinterher, denn so eine Hightech-Luftflotte inklusive fliegender Flugzeugträger ist enorm kostspielig, sodass „Die Hochgeschätzte Gilde der Kraftluftfahrer“ für einen gar nicht mal so schmalen Taler (aber immer noch günstiger als eine eigene Armee) so ziemlich jeden Auftrag annimmt – Selbst wenn das bedeutet, dass sich die Gilden-Geschwader für ihre jeweiligen KundInnen gegenseitig bekämpfen ;-) Die Eskorte von Handelsschiffen und die Luftpiraten-Jagd gehören dabei ebenso zum Jobprofil wie etwa die Befreiung von Geiseln und die Niederschlagung von Aufständen. Zimperlich darf man als Pilot oder Pilotin der Gilde also nicht sein, dafür gebühren einem dann aber auch Ruhm und Ehre. Denn die Gilden-Mitglieder sind in „Warbirds“ echte Prominente, die penibel auf ihren Ruf achten, da ein Skandal (etwa Feigheit vor dem Feind) regeltechnische und narrative Nachteile mit sich bringt. Dabei ist „Warbirds“ primär ein cineastisch erzähltes Rollenspiel, bei dem man sich seiner Heldentaten rühmt, doch ein paar Regeln gibt es natürlich dennoch. Das sogenannte „Rapidfire“-System benötigt dabei nur einen einzigen W6 für seine Proben. Zu dessen Ergebnis werden ein passendes Attribut (Körper, Verstand, Geist; jeweils von -3 bis +3), eine Fertigkeit (z.B. Nachforschen oder Etikette; jeweils von 0 bis 6) und ein möglicher Modifikator addiert. Dann vergleicht man es mit dem Schwierigkeitsgrad, der von 2 bis 14 reicht, wobei 8 dem Standard entspricht. Wie in fast jedem modernen Rollenspiel gibt es zudem mit „Reserven“ noch Gummipunkte, mit denen man Probenergebnisse noch modifizieren oder besondere Manöver auslösen kann. Das ist also alles gar nicht kompliziert, sodass sicherlich auch niemanden überrascht ist, dass auch der Kampf gerade mal vier Phasen (1. Initiative, 2. Angriffe, 3. Schaden & Widerstand, 4. Gesundheit & Schadensmali) umfasst. Dank der (für die Komplexität des Regelsystems überraschend) ausführlichen Texte sollten selbst Rollenspiel-Neulinge hier kaum Verständnisprobleme haben ;-) Die Regeln für das Herzstück des Spiels, nämlich die Luftkämpfe, nutzen die gleichen Spielmechanismen und sind daher theoretisch auch rasch zu erlernen. Man sollte jedoch zumindest ein gewisses Grundverständnis davon haben, was (Kampf-)Flugzeuge eigentlich so machen und wie ein Luftkampf aussieht (z.B. dass es nicht ganz so einfach ist, jemand direkt von vorn anzugreifen oder dass man mit einer bestimmten Mindestgeschwindigkeit fliegen muss, damit man keinen Strömungsabriss erleidet) – Auch hier gibt sich das Regelwerk wieder sehr viel Mühe, die einzelnen Luftkampfphasen und Flugmanöver zu beschreiben, was meiner persönlichen Erfahrung nach für ein eher erzählorientiertes Rollenspiel sogar etwas zu viel des Gute ist (im Zweifelsfall zeigt man, zumindest in meinen Spielrunden, ja doch eher mit seiner Hand als „Flugzeugmodell“, was man machen will...). Andererseits bilden die vielen beschriebenen Optionen den Luftkampf gut und nachvollziehbar ab, das fühlt sich fast wie „Top Gun“ mit Propellermaschinen an :-D Für waghalsige Flugmanöver benötigt man aber erst einmal fähige PilotInnen. Diese zu erschaffen geht recht schnell, wobei man (gerade wenn man eine Kampagne spielen will) aber erst einmal darüber nachdenken sollte, in welchem Geschwader man dienen will und wie eigentlich der eigene Flugzeugträger mitsamt Nichtspielercharakteren aussehen soll. Insgesamt zehn Schritte umfasst dann die eigentliche Charaktergenerierung, welche mit grundlegenden Dingen wie der Entwicklung eines Konzepts, der Wahl eines Namens und der Erarbeitung einer Hintergrundgeschichte beginnt. Dann wählt man primäre & sekundäre Eigenschaften, Fertigkeiten sowie Vor- & Nachteile, bevor man sich noch mit Details wie Ausrüstungsgegenstände und dem Aussehen befasst. Zuletzt bastelt man sich seinen ganz eigenen Warbird mit zahllosen Optionen (z.B. der Munitionssorte) zusammen. Somit ist der eigene Flieger tatsächlich so etwas wie ein zweiter Charakter, der auch einen eigenen Charakterbogen besitzt. Insgesamt ist „Warbirds“ bis hierhin ein ziemlich durchdachtes und in seinem Setting glaubwürdiges Fantasy-Dieselpunk-Rollenspiel, dessen einzige „echte“ Fantasy-Komponente die Hintergrundgeschichte rund um die fliegenden Inseln ist. Optional verfügt das Regelwerk jedoch über die Möglichkeit, drei Magiesysteme basierend auf den drei Hauptreligionen sowie verrückte Pulp-Wissenschaft zu verwenden. Mich persönlich haben katholische Exorzismen, Maya-Menschenopfer und durchgeknallte Insektenmenschen-Riesenroboter-Forschungsprojekte aber ein wenig aus der knallharten Kampfflieger-Atmosphäre herausgerissen. Pulp-Fans werden da aber bestimmt ihre Freude dran hab, gerade weil das Regelwerk der Spielleitung ordentlich Material an die Hand gibt. Außerdem gibt es Leitungstipps, eine ganze Reihe an NSCs und sogar kleine Missionsideen; mir persönlich fehlte jedoch ein vollständiges Einstiegsabenteuer. Daher würde ich „Warbirds“ tendenziell, auch wenn die eigentlichen Grundmechanismen nicht kompliziert sind, eher erfahrenen Spielleitungen empfehlen. Wobei mir klar ist, dass gerade solche cineastischen, erzählorientierten Rollenspiele ja dazu neigen, dass mit entsprechendem Engagement der SpielerInnen eine kleine Grundidee schon ausreicht, um während des Spielverlaufs quasi nebenbei eine ganze Kampagne zu basteln... Eine erzählorientierte Gruppe wird an „Warbirds“ jedenfalls ihren Spaß haben und viele Abenteuer in Azur erleben. Trotzdem ist das Setting natürlich mega nischig, sodass ich doch ganz okay damit bin, dass das 184 Seiten starke Softcover 39,95 € kostet. „Truant Spiele“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) ist ja ein winziger Verlag, die Texte sind (bis auf kleinere Fehler) gut lesbar, die eher wenigen Zeichnungen sind auch okay – Also ja, das kann man sich als rollenspielender Flugzeug-Fan durchaus mal gönnen :-) Fazit: „Warbirds“ (Link) ist ein auf cineastische Action ausgerichtetes Erzählrollenspiel, welches mit seinen 184 Seiten durchaus mächtiger wirkt, als es letztlich in der spielerischen Realität ist. Fans von Dieselpunk und karibischem Pulp dürfen sich das gern mal näher anschauen :-D