Was machen viele RollenspielerInnen, gerade im OSR-Bereich, besonders gern? Eigene Abenteuer entwerfen! Und das auf einem immer professionellerem Niveau, wie zuletzt auch der Fanzine-Experte Ingo a.k.a. Greifenklaue (Link zur entsprechenden Podcastfolge) bestätigte. „Goodman Games“, der Verlag des OSR-Welthits „Dungeon Crawl Classics“, setzte sogar so viel Vertrauen in die Community, dass er 2012 einen mit 1000 $ dotierten Abenteuerwettbewerb (Link) ausrief. Das Ergebnis liegt dank des kleinen Indie-Verlags „System Matters“ nun auch auf deutsch vor – Und da stellt sich natürlich die Frage, ob die Wettbewerbsfachjury damals wirklich eine Abenteuer-Perle zum Sieger erkoren hat...
Gedacht ist das Abenteuer für 6 – 8 SpielerInnen der Stufe 1, die in die Tiefen einer Höhle hinabsteigen, um einen Schatz zu bergen. Und zwar einen richtig, richtig großen Schatz! Der ist so groß, dass sie danach so viele Mietlinge anheuern können, dass sie kein anderes DCC-Abenteuer mehr selbst bestreiten müssen ;-) Okay, offensichtlich ist die Hintergrundgeschichte schon mal nicht der Grund, warum „Der Betrachter aus der Tiefe“ den Abenteuerwettbewerb gewonnen hat... Und die ersten paar Räume sind dann auch nicht großartig anders als bei jedem anderen Abenteuer – Doch dann kommt das verfluchte Smaragd-Portal! Nun gibt es in „Dungeon Crawl Classics“ immer mal wieder Flüche und Fallen, aber diese Fluchfalle hat es in sich, weil sie die gesamte Spieldynamik verändert: Wer das Portal berührt (oder generell im Spielverlauf irgendeinen der verfluchten Smaragde), dem ploppen sozusagen die Augen aus dem Kopf. Und nicht nur das, das SpielerInnen-Bewusstsein wird in diese Augen transferiert, welche nunmehr in die Oberfläche des Dungeons hinein diffundieren und sich darin umherbewegen. Dies wird spielerisch dadurch dargestellt, dass die betroffenen SpielerInnen nicht mehr sprechen dürfen. Stattdessen halten sie sich ein Blatt Papier mit einem Guck-Schlitz vors Gesicht, sodass sie versuchen müssen, stumm mittels Blickrichtungen, Augenrollen und Zwinkern zu kommunizieren. Das ist wirklich so lustig wie es klingt :-D Und klar, man kann diesen nervigen Fluch auch wieder aufheben, aber er birgt tatsächlich sogar ein paar Vorteile: Die Augen können quasi als Aufklärer den Dungeon durchstreifen und zudem geistig schwächere Wesen übernehmen. Auch sonst hat sich der Wettbewerbssieger Jobe Bittmann einige nette Dinge ausgedacht, beispielsweise wird ungewöhnlich viel mit Notizzettelchen gearbeitet und es gibt einen kosmischen Endkampf, der atmosphärisch schon merklich an Lovecraft'schen Horror angelehnt ist.
Die Kreativität des Autors wird dadurch erkauft, dass man als Spielleitung (für ein DCC-Abenteuer) ungewohnt viel Zeit in die Vorbereitung stecken muss – Überraschend ist das gerade im Hinblick darauf, dass der vier Ebenen umfassende Dungeon je nach gewünschter Spieldauer bereits innerhalb von nur einer vierstündigen Spielsitzung durchgeprügelt werden kann. Dabei sind die Texte wieder gut verständlich und auch atmosphärisch geschrieben, aber ich hab beim „Verstehen“ des Abenteuers doch merklich länger gebraucht als bei anderen DCC-Werken, die man teils direkt „out of the book“ leiten konnte – Aber die Vorbereitung lohnt sich, denn „Der Betrachter aus der Tiefe“ macht viel Spaß, wenn man denn auf kosmisch-weirde Fantasy steht ;-) Die geschätzten Podcast-Kollegen und Indie-Verleger von „System Matters“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) haben zudem bei der (druck-)qualitativen Umsetzung, dem Lektorat und dem Layout wieder gute Arbeit geleistet, sodass Genre-Fans die 10 € für das 36 Seiten starke Abenteuer bedenkenlos investieren dürfen.
Fazit: Okay, ich verstehe vollkommen, warum Jobe Bittmann den Abenteuerwettbewerb gewonnen hat. „Dungeon Crawl Classics #81 Der Betrachter aus der Tiefe“ (Link) ist ein guter Dungeon Crawl, der einige nette Ideen hat (der Smaragdaugen-Fluch und dessen spielerische Umsetzung!) und mit ziemlich düster-weirder, kosmischer Fantasy unterhält – Sicherlich eines der spezielleren DCC-Abenteuer, aber für Genre-Fans zweifelsohne empfehlenswert.