Der Auftaktband der Comic-Reihe „Die Viper“ (Link) war für mich einer der bemerkenswertesten Serienstarts des Jahres: Ein Spätwestern, der mit einer betont unscheinbaren Protagonistin sowie deutlichen Anleihen an das „Rape-and-Revenge“-Genre eine vorwärtsdrängende, fast schon gehetzt wirkende Flucht-Geschichte erzählte. Ich war wirklich begeistert, forderte vom Autor, Zeichner & Kolorist Laurent Astier für den zweiten Band aber deutlich mehr Informationen. Ob er meinen Forderungen entsprochen hat? Emily, die Tochter einer von einem geheimen Zirkel ermordeten Prostituierten, sinnt auf Rache. War im ersten Band noch ein Gouverneur das Ziel, ist es diesmal ein pädophiler Reverend. Doch ihn zu ermorden ist gar nicht so einfach, gerade da ein unverschämt hohes Kopfgeld auf sie ausgesetzt ist. Also unterwandert sie das kirchliche Waisenheim, in welchem der Reverend seinen verachtenswerten Neigungen frönt, verkleidet als Nonne. Doch sie bleibt nicht lang unentdeckt, denn der Indianer Scout Ba-Cluth ist bereits vor ihr da, um sie zu beschützen und damit seine Schuld zu begleichen. Und seine Unterstützung hat Emily auch dringend nötig, gibt es unter den missbrauchten Waisenmädchen doch so einige junge Frauen, welche ihren Peiniger fast sektenähnlich verehren und nach seiner Anerkennung suchen. Zudem ist eine Sturmflut im Anmarsch, die das Leben in der gesamten Hafenstadt auslöschen könnte... Ich hab es mir so sehr gewünscht, weil ich vom ersten Band sehr begeistert war, und Laurent Astier hat meinem Wunsch entsprochen: Endlich gibt es mehr Hintergrundinformationen! Immer wieder wird die eigentliche Rache-Geschichte unterbrochen von kurzen Rückblicken auf die Kindheit und Jugend von Emily, welche die Gründe für ihr prinzipiell noch immer sehr unsympathisches Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen erklären. Zudem vermeidet Astier einen meiner größten Kritikpunkte: Diesmal springen die Örtlichkeiten nicht wild hin und her, denn anstatt vieler kurzer Episoden gibt es stattdessen eine lange, zusammenhängende Geschichte an einem einzigen Schauplatz. So bleibt viel mehr Zeit, um den ersten Storytwist (das dunkle Geheimnis des Waisenhauses) und das stürmische Finale wirken zu lassen. Wobei man aber zugeben muss, dass die Pädophilie des Reverend keine „wirkliche“ Überraschung ist, da Astier alle Figuren so übertrieben zeichnet, dass man sofort merkt, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Das ist ein wenig ärgerlich, allerdings hatte ich ja schon beim ersten Band ein mindestens ambivalentes Verhältnis zu seinem Zeichenstil und besonders seiner Kolorierung :-P Dafür stimmt die Spannung der vorwärtsdrängen Handlung, wobei ich hier aber doch bemängeln muss, dass ein Kernelement des „Rape-and-Revenge“-Genres (nämlich die feministische Selbstermächtigung) dadurch unterlaufen wird, dass hier erneut Ba-Cluth zur Rettung eilen muss, weil Emilys perfekt durchdachter Rachefeldzug doch wieder mal nicht so abläuft wie geplant... Das ist ein wenig schade und ich hoffe einfach mal, dass diese Geschichte jetzt nicht darin endet, dass sie sich ihrem Dauerretter als Dank an den Hals wirft ;-) Ansonsten gibt es aber wieder nichts zu meckern, da hat der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) wieder ein sehr glückliches Händchen mit der Comic-Auswahl. Glatte 16 € gehen für 64 Seiten gute Unterhaltung völlig in Ordnung. Fazit: Auch mit der Fortsetzung „Die Viper #2 Flutwelle“ (Link) konnte mich der Autor/Zeichner/Kolorist Laurent Astier begeistern und ich bin mittlerweile guter Dinge, dass mich auch die restlichen drei Bände der Reihe begeistern werden.
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