Seit fast einem Jahr habe ich ja nun das große Privileg, dass ich eine dauerhafte Rollenspiel-Gruppe voller absoluter Neueinsteigerinnen leiten darf (kann man hier (Link) nachverfolgen, und die Mädels freuen sich über einen Like ;-)). Bisher waren wir sehr regelleicht unterwegs, doch langsam sind sie fit genug, um sich auch mal an ein komplexeres Regelwerk heranzutrauen. Wie passend, dass quasi pünktlich zu unserer Entscheidung die neue Einsteigerbox zur 2. „Pathfinder“-Edition erschienen ist.
Das Fantasy-Rollenspiel „Pathfinder“ ist ja, gerade aufgrund der Community-Unterstützung durch die „Pathfinder Society“ (Link), nicht nur auf Conventions sehr beliebt – Sicherlich aber auch, weil es damals eng am „D&D 3.5“-Regelkern blieb, während das eigentliche „Dungeons & Dragons“ mit der vierten Edition ein wenig in Szene-Ungnade fiel (wobei es sich mit der 5. Edition mehr als nur berappelt hat!). Darum soll es jedoch hier gar nicht gehen, aber wer mehr dazu wissen will, kann sich gern unsere Podcastfolge (Link) zur 5. Edition von „Dungeons & Dragons“ anhören ;-) Also zurück zur Einsteigerbox: Die kostet knappe 40 € und überrascht zu Beginn mit einem doch beträchtlichen Gewicht. Kein Wunder, denn es ist eine ganze Menge Kram enthalten: Ein 74 Seiten starkes Heldenbuch, ein 90 Seiten starkes Spielleiterbuch, ein buntes Würfelset, über 100 Pappmarker & -aufsteller nebst mehreren Plastikstandfüßen, Charakterbögen (sowohl blanko als auch vorgefertigt), Referenz- & Infoblättchen sowie ein doppelseitiger Spielplan. Also ordentlich Material, welches auf den ersten Blick schon recht einschüchternd wirkt, wenn man noch überhaupt nichts über Rollenspiele weiß oder aber, wie meine Mädelsgruppe, nur regelarme OSR-Dungencrawler kennt ;-)
Man merkt beim Lesen jedoch rasch, wie sehr sich die AutorInnen um einen leichten Einstieg in ein doch eher komplexes Regelsystem bemüht haben: Das Heldenbuch startet mit einem lediglich 25 Abschnitte umfassenden Soloabenteuer, welches die aller simpelsten Grundlagen des Regelsystems (W20-Wurf plus Bonus gegen Schwierigkeitsgrad/Zielwert) vermittelt. Anschließend folgen ein einseitiges Spielbeispiel und eine zweiseitige Regeleinführung. Danach darf man bereits, wenn man nicht einen der vier vorgefertigen HeldInnen nutzen will, mit der Charaktererschaffung beginnen. Diese ist zwar eingestampft, aber absolut regelkonform – Man kann seine neu erschaffene Figur später auch mit dem richtigen Grundregelwerk nutzen: Zur Wahl stehen drei Abstammungen (Menschen, Zwerge & Elfen), sieben Hintergründen und vier Klassen (Kämpfer, Kleriker, Magier & Schurke mit jeweils drei Spezialisierungen). Dabei ermöglicht das Einsteigerset das Aufleveln auf Stufe 3. Mit fast vierzig Seiten ist dieser Abschnitt noch kurz genug, als dass selbst Neulinge ihn rasch mal durchlesen können (vor allem, weil man bei der erstmaligen Charaktererschaffung ja eh noch nicht liest was die Klassen, die einen überhaupt nicht interessieren, irgendwann mal auf Stufe 3 können :-P). Es folgen noch jeweils rund zehn Seiten über Fertigkeiten und Grundregeln, dann war es das auch schon – Wer nur dieses Heldenbuch liest, könnte fast meinen, „Pathfinder“ sei gar nicht so kompliziert wie alle immer behaupten ;-)
Auch beim Spielleiterbuch wird versucht dem leitenden Nachwuchs einen einfachen Einsteig zu ermöglichen: Das Buch startet mit dem knapp zwei Dutzend Seiten umfassenden Abenteuer „Bedrohung unter Ortari“. Prinzipiell ist das ein simpler und recht linearer Dungeoncrawl, bei dem die SpielerInnen sich Raum für Raum mit immer neuen Hindernissen und damit Regeln auseinandersetzen müssen. Beispielsweise, im ersten Raum müssen einfach nur ein paar Riesenratten verdroschen werden, dort lernt man das grundlegende Kampfsystem. Anschließend müssen die HeldInnen eine Wand herunterklettern, also lernt man hier den Einsatz von Fertigkeitswürfen inklusive kritische Wurfergebnisse. Im dritten Raum gibt es dann ein riesiges Spinnennetz, darum erfährt man hier alles Nötige über schwieriges Gelände und Rettungswürfe (falls die Spinne ihr Gift zum Einsatz bringt) – Und so geht es dann immer weiter, Raum für Raum, Regel für Regel. Außer man würfelt dreimal hintereinander einen kritischen Fehlschlag, dann hat man hier schon (wie unser erstes Testspiel) einen Total Party Kill :-P Dank Vorlesetexten und einer guten Textstrukturierung könnten angehende SpielleiterInnen ihre erste Sitzung tatsächlich direkt aus dem Buch heraus leiten, jedoch wäre der Spielfluss durch die doch teils recht langen Texte etwas stockend. Ein wenig Vorarbeit empfiehlt sich also, trotzdem taugt das Abenteuer für seinen Einsatzzweck (also absoluten Neulingen die Regeln beibringen) sehr gut. Und wenn man nicht gerade im dritten Raum stirbt, sollte man zwei, vielleicht auch drei spaßige Spieleabende damit verbringen können :-) Der Rest des Buches enthält u.a. Tipps & Tricks für die Entwicklung eigener Abenteuer, allerlei Monster & Gegenstände sowie eine nähere Beschreibung des Abenteuerschauplatzes Otari.
Also, gerade auch in Kombination mit dem vielen Pappaufstellern, letztlich genug Material für ein paar selbst ausgedachte Abenteuer, bevor die Spielgruppe mehr Futter will und das Grundregelwerk nebst allerlei Erweiterungsbänden angeschafft wird ;-) Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass EinsteigerInnen, die auf genau diese Art des Rollenspiels Lust haben (also auf das Meistern von Herausforderungen aller Art, die Problemlösung dabei auch gern mit taktischen Kämpfen), hier also wirklich gut abgeholt werden. Gerade auch, weil die Grundregeln doch recht einfach sind: Praktisch immer wird ein W20 plus Modifikator gegen einen Schwierigkeitsgrad geworfen, wenn man den Zielwert erreicht ist die Probe geschafft. Ist man zehn drüber oder hat eine 20 gewürfelt, ist das ein kritischer Erfolg; ist man zehn drunter oder hat man eine 1 gewürfelt, ist das ein kritischer Fehlschlag. Im Kampf würfelt man erst die Initiative (wer hätte es gedacht, wieder W20 plus Modifikator :-P), dann zieht man der Reihe nach. Insgesamt hat man drei Aktionen sowie eine Reaktion, wobei besonders zeitraubende Aktionen (z.B. ein besonders mächtiger Zauber) natürlich mehr Aktionen benötigen. Deckungen, Flankierungen, Höhenunterschiede, bestimmte Entfernungen, Verzauberungen etc. bringen Vor- und Nachteile, aber das geht jetzt schon zu tief ins Detail – Das sind Regelfeinheiten, die man beim Durchspielen der Einsteigerbox quasi nebenbei lernt, denn genau dafür ist sie da ;-) Ob das Regelsystem in der zweiten Edition nun besser ist als in der ersten, das kann ich mangels Spielerfahrung leider nicht einschätzen, aber meine Spielrunde (und ich auch) kamen mit dieser Edition, gerade mit den drei Aktionen pro Runde und der Veranschaulichung durch Marker & Referenzblatt, gut zurecht. Lediglich der Schwierigkeitsgrad des Abenteuers wurde als etwas zu fordern bemängelt, da sollte man als Spielleitung im Zweifelsfall etwas Gnade walten lassen...
Die Qualität der Box geht völlig in Ordnung, sowohl von der reinen Produktionsqualität (die Pappaufsteller haben bisher durchgehalten und sind noch nicht ausgefranst, das ist bei denen ja immer so ein kritischer Punkte) als auch vom geschriebenen Wort her. Zwar sind mir ein, zwei Fehlerchen aufgefallen, aber insgesamt sind die vielen Text gut lesbar und leicht verständlich geschrieben. Besonders haben mir die Illustrationen gefallen, die zwar von wechselnder Qualität sind, aber da kann man schon gut einschätzen, mit was für einem Setting man es hier grob zu tun bekommt... Ich bin ja immer etwas preissensibel (und hab zudem ein Rezensionsexemplar erhalten, daher stellt sich für mich die Preisfrage eigentlich nicht ;-)), aber wenn man die Kosten von 39,95 € hochrechnet auf eine 4er oder 5er Gruppe und drei bis fünf Spieleabende, dann ist eine Sitzung pro Person letztlich günstiger als ein Döner, also geht das voll in Ordnung :-D
Fazit: Die Einsteigerbox (Link) für die 2. Edition von „Pathfinder“ (Link) macht genau das, was sie machen soll: Sie bietet einen niedrigschwelligen Zugang zu einem komplexen Regelsystem, erfordert bei aller Einsterfreundlichkeit aber doch etwas Einarbeitung – Ja, ein Out-of-the-Box-Spielen ist möglich, dann wird das aber ein etwas holpriger Hobby-Start ;-) Davon mal abgesehen aber eine dicke Empfehlung für alle Neulinge, egal ob sie erstmals (diese taktische Art der) Rollenspiele ausprobieren wollen oder ob sie als Hobby-VeteranInnen einfach mal schauen wollen, ob sich ein System-Umstieg lohnt.