Jörg Benne wurde hier im Blog schon vielfach thematisiert – Sowohl als gut schreibender, aber mäßig erfolgreicher Roman-Autor (Link) als auch als sehr gut schreibender und auch erfolgreicher Spielbuch-Autor (Link). Und wenn man einmal ein erfolgreiches Solo-Rollenspielbuch raushaut, warum nicht gleicht noch eines hinterher? Mit dem Spielbuch-erfahrenen Zeichner David Staege (bekannt für den Indie-Hit „Der Weg der Wachtel“ (Link)) an seiner Seite schuf er nun ein 440 Abschnitte dickes Werk, welches eine cthuloid wirkende Mystery-Geschichte mit Escape-Room-Spielmechaniken verbindet. Na ob diese Mischung funktioniert?
Die namensgebende Villa Paulson's Peak ist schon seit Jahrzehnten verlassen, nachdem ein etwas egozentrischer Spielzeugerfinder durch den Tod seiner Frau und dem mutmaßlichen Tod seines Hausmädchens ins Visier der Klatschpresse geriet. Im Nachlass war geregelt, dass der ehemalige Butler, im Gegenzug für einen Teil des Erbes, die Villa und damit Paulson's Andenken halbwegs in Schuss hält und aufpasst, dass niemand die verbotenen Räume im Obergeschoss betritt... Das ging lange Zeit gut, aber irgendwann fiel dann auf, dass das verlassene Anwesen noch Unmengen an Strom verbraucht. Wie kann das sein? Das soll man gemeinsam mit einem Angestellten der Nachlassverwaltung in diesem Solo-Spielbuch herausfinden :-)
Dabei ist es jetzt sicherlich kein Spoiler, wenn ich verrate, dass hier einige Dinge nicht mit rechten Dingen zugehen – Immerhin prangt groß „Mystery“ auf dem Cover ;-) Wie in einer guten Gruselgeschichte baut sich die bedrohliche Atmosphäre hier langsam, aber stetig zunehmend auf: Anfangs durchsucht man einfach nur die Zimmer, um irgendwo die Quelle der hohen Stromrechnung ausfindig zu machen und um vielleicht sogar noch ein paar Baupläne oder Prototypen des genialen Spielzeugerfinders mitzunehmen. Dabei kann man in nahezu beliebiger Reihenfolge die verschiedenen Räume des Erdgeschosses durchforsten, um eventuelle Hinweise oder hilfreiche Gegenstände zu finden. Das erinnert spielmechanisch, auch wenn es sich natürlich um ein Solo-Spielbuch handelt (daher, man hat am Ende vieler Abschnitte die Wahl was man tun möchte, sodass man dann entscheiden muss, wo man weiterlesen will), sehr stark an alte Point-&-Click-Adventures. Beispielsweise muss man irgendwo ein Stemmeisen finden, um damit dann irgendwo was aufzustemmen – Die Suche nach den richtigen Gegenständen ist dabei stets logisch, man muss bei deren Einsatz nie abstrus um die Ecke denken. Etwas mehr Kreativität braucht man dagegen zur Lösung einiger Rätsel-Passagen, welche bei all ihrer Varianz (von der Computer-Programmierung mit Lochkarten über das Knacken von Türen aller Art bis hin zum Telefonieren mit einem Wählscheibentelefon) stets darauf hinauslaufen, dass man eine korrekte Zahlenkombination (daher Abschnittnummer) herausfindet. Dabei kann man diese Rätsel, wenn man einfach nur der Geschichte folgen will, auch überspringen.
Neben dem Herumrätseln und dem Herumblättern ist das Herumradieren auf dem Spielbogen ein elementarer Teil des Spielerlebnisses. Einerseits erhält oder verliert man häufig nützliche Gegenstände oder gar Abschnittnummern zu bisher unbekannten Orten. Und andererseits ändert sich im Verlauf der wirklich gut geschriebenen und sehr atmosphärisch illustrierten Gruselgeschichte der „Status“ der Räume: Wenn man beispielsweise in einem Raum ein Ereignis ausgelöst hat, ändert sich die Abschnittnummer des Raumes oder aber es tritt ein neuer Verweis auf (z.B. kann man normalerweise nur bei XYZ weiterlesen, aber wenn man schon eine bestimmte Information hat, geht es stattdessen bei ABC weiter). Man muss also eine ganze Menge im Buch herumkritzeln bzw. herumradieren ;-) Zum Glück kann man sich den Spielbogen aber auch herunterladen und ausdrucken, zum Zeitpunkt des Testspiels funktionierte das aber nur auf der Autorenhomepage (Link) und nicht, wie im Buch vermerkt, auf der Verlagswebseite. Dieses Testspiel ging übrigens so ziemlich genau vier Stunden, dabei hab ich aber einige Abschnitte gar nicht erst entdeckt und auch nur eine mäßige Wertung geholt – Zumindest ein zweimaliges Durchspielen sollte also drin sein, sodass der Preis von 14,95 €, den der „Mantikore Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) verlangt, durchaus in Ordnung geht für ein 348 Seiten starkes Taschenbuch.
Fazit: Ich lehne mich sicherlich nicht weit aus dem Fenster, wenn ich jetzt im April schon behaupte, dass „Paulson's Peak“ (Link) das beste Solo-Spielbuch 2021 sein wird :-D