Auch wenn das Weird-Fantasy-System „Lamentations of the Flame Princess“ nicht mehr ganz so populär ist wie noch vor ein paar Jahren, halten sich OSR-Systeme ganz generell sehr wacker in der deutschsprachigen Rollenspielszene. Mit „Der Heilige von Bruckstadt“ hat nun „Gazer Press“ aus Österreich ein umfangreiches Hardcover-Abenteuer für 2 – 4 HeldInnen der Stufe 1 veröffentlicht, welches man naturgemäß aber problemlos mit anderen OSR-Systemen wie dem aktuell sehr beliebten „Dungeon Crawl Classics“ zocken kann. Das Besondere daran: Hier wird klassische und sehr düstere Weird-Fantasy kombiniert mit dem deutschen Geschichtsschlüsselereignis des Dreißigjährigen Krieges. Eine spannende Mischung also, aber ob die auch was taugt? Im Spätsommer 1631 ist der Dreißigjährige Krieg noch nicht einmal zur Hälfte rum und doch ist das ehemalige Heilige Römische Reich ein Scherbenhaufen. Die winzige und geografisch nicht näher spezifizierte Grafschaft Grenzland mit ihrer einzigen Stadt Bruckstadt kam bisher ganz gut durch die Kriegswirren, auch wenn sie von Flüchtlingen aus dem im Mai völlig vernichteten Magdeburg überlaufen ist. Die Bevölkerung glaubt, dass dies der Verdienst des Heiligen Jakobus ist, der vor fünfhundert Jahren als Inquisitor alles Ketzerische ausgelöscht hat. Ihm zu Ehren muss in einem prunkvollen Ritual aller zehn Jahre das heilige Seidentuch, das seinen Sarkophag bedeckt, ausgewechselt werden – Denn, das wissen die GrenzländerInnen nicht, eigentlich dient es zur Abwehr eines Fluches, den Jakobus gegenüber Bruckstadt ausgesprochen hat. Durch den Teileinsturz der Stadtkirche und damit des Gruftzugangs konnte das Ritual jedoch bisher nicht durchgeführt werden, sodass den BruckstädterInnen jetzt nur noch zwölf Tage bleiben, bis der Fluch nicht mehr aufgehalten werden kann und die Stadt dem Untergang geweiht ist... Jetzt ist also die Zeit für echte HeldInnen, doch so einfach ist die Durchführung des Rituals natürlich nicht: Einerseits haben viele der BruckstädterInnen ihre eigene Agenda, die nicht immer mit den Zielen der SpielerInnen übereinstimmt... Zudem tummeln sich in der sich über mehrere Ebenen erstreckenden Gruft allerlei Feinde, von denen manche einfach nur fresswütige Monster und manche sehr boshafte Menschen sind. Und dann ist die von Fallen gespickte Gruft natürlich auch schon ziemlich alt, sodass es einige ziemlich einsturzgefährdete Stellen gibt. Und hab ich eigentlich schon den Zeitdruck erwähnt? Und die KultistInnen? „Der Heilige von Bruckstadt“ bietet also all die Dinge, die man von einem guten OSR-Abenteuer erwarten kann: 1. Sehr tödliche Kämpfe, bei denen es keine Schande ist, auch mal den Rückzug anzutreten ;-) 2. Eine sehr freie Spielweise (es gibt eigentlich immer mehrere Möglichkeiten, wie man ein Problem löst) und 3. ganz viel Zeug zum Entdecken und zum Looten! Achja, und 4. natürlich ganz viele Zufallstabellen :-D Dabei ist das Herzstück des Abenteuers ein sich über fünf Ebenen erstreckender Dungeon-Crawl, bei denen man immer tiefer in eine immer düsterere Welt hinabsteigt, bevor man den eigentlich gar nicht so heiligen Jakobus wieder in die Schranken weist. Doch bevor man überhaupt nur einen Schritt weit in die Gruft hinabgestiegen ist, muss man sich erst einmal mit der Grafschaft Grenzland befassen. Denn einerseits wird diese, besonders die Hauptstadt Bruckstadt, von einigen sehr interessanten Figuren bewohnt, die teils durchaus hilfreiche Informationen oder Gegenstände preisgeben. Und andererseits benötigt man zum Kampf gegen Geister und Untote spezielle Hartholzschwerter, welche sich an drei in der Grafschaft verteilten Orten (Hügelgrab, Burgruine, Moor) befinden. Die beiden erstgenannten Orte bieten ebenfalls kleinere Dungeons, sodass man auf den insgesamt 103 Seiten des Hardcovers also sieben Dungeons und insgesamt neun verschiedene Orte (wenn man die jeweiligen Dungeon-Ebenen als Orte mitzählt) findet. Also eine ganze Menge Inhalt, gerade wenn man die unzähligen Würfeltabellen bedenkt. Aber es gelingt dem Abenteuer sehr gut die Übersicht zu bewahren, da die einzelnen Orte und Personen jeweils nur sehr kurze Beschreibungen bekommen, die für eine erfahrene Spielleitung aber völlig ausreichen. Natürlich sollte man sich bei so einem umfangreichen Abenteuer vorbereiten, aber theoretisch könnte eine Spielleitung die entsprechende Raum- bzw. Personenbeschreibung auch in vielleicht zehn, selten mehr als dreißig Sekunden durchlesen (und eventuell was auswürfeln), um danach problemlos die Spielszene leiten zu können. Hier gibt es wirklich kein Wort zu viel, meistens auch kein Wort zu wenig, das verdient einfach mal ein Lob :-D Getreu dem OSR-Motto „Rulings over Rules“ sollte man als Spielleitung manchmal aber etwas Gnade walten lassen, denn manche Gruppentode sind (wenn man nicht mit übervorsichtigen Vollprofis spielt) sonst unvermeidlich. Klar, das ist die knallharte OSR-Konsequenz, aber wir sind doch eigentlich hier um Spaß zu haben, oder? Der Spaß dauert dann auch recht lang, je nach Spielgeschwindigkeit sollte man vier bis tendenziell eher acht Spielabende beschäftigt sein. Man muss dann natürlich aber auch an dem düsteren Weird-Fantasy-Setting Spaß haben, welches durchaus einige Geschmacklosigkeiten beinhaltet – Auf einer der ersten Seiten gibt es einen völlig berechtigten „18+ / explicit content“-Warnhinweis. Und selbst wenn man schon erwachsen ist sollte man überlegen, ob jetzt nicht vielleicht die Gelegenheit ist, um Sicherheitsmechaniken wie die „X-Card“ auszuprobieren ;-) Achtung, kleiner Spoiler im nächsten Satz: Da das Setting recht frei ist (daher, man muss es nicht zwingend im Dreißigjährigen Krieg verorten; ich kann mir das z.B. auch gut im „Warhammer“-Universum vorstellen – Hauptsache, es ist ein sehr düsteres Fantasy-Mittelalter) kann man hier sicherlich auch ein wenig die Brutalo-Stellschraube herunter drehen, jedoch sind bestimmte Themen wie Kannibalismus für dieses Abenteuer essentiell. Das Abenteuer ist insgesamt sehr übersichtlich gelayoutet und auch das Lektorat geht in Ordnung (ein paar Flüchtigkeitsfehler, aber die passieren mir hier im Blog auch :-P). Zur Auflockerung gibt es neben zehn Karten (sowohl Gebiets- als auch Dungeonkarten) auch 50 Illustrationen, welche mit ihren ausgemergelten Menschen und düsteren Verliesen sicherlich für die passende Stimmung sorgen, wenn man denn den Zeichenstil mag. Ich fand ihn okay, glaube aber, dass hier eine farbige Kolorierung mehr Eindruck gemacht hätte; aber das ist mein persönlicher Geschmack. Der graustufige Look des Abenteuers passt schon gut zusammen, da hat „Gazer Press“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) gute Arbeit geleistet. Da das Hardcover-Abenteuer keine Buchpreisbindung hat, habe ich verschiedene Preise gefunden, tendenziell liegt man aber bei ca. 25 € (+/- 2) und das geht bei dem gebotenen Inhalt durchaus in Ordnung, wenn man die Menge an Spielstunden gegenrechnet. Fazit: Ein tolles Nischenprojekt! „Der Heilige von Bruckstadt“ (Link) ist ganz schön düster, aber auch ganz schön gut :-D OSR-Fans, egal ob sie wie angedacht „Lamentations of the Flame Princess“ oder doch das gerade sehr beliebte „Dungeon Crawl Classics“ spielen, werden hier viele Spielabende lang sehr tödlichen Oldschool-Spaß haben!