Die Zombie-Thematik hat ja mittlerweile ihren Höhepunkt überschritten, genauso wie meine Tabletop-Begeisterung... Als ich aber von dem neuen deutschen Spielsystem „All that's left“ erfuhr, welches fast schon Rollenspiel-artiges Figurenaufleveln & -ausrüsten sowie szenariobasierte Kleinstgefechte bietet (also das, was mir bei Rollenspiel-Abenteuern am meisten gefällt), war meine Neugier dann doch aufgeflammt :-)
Ihr glaubt, ihr hättet 2020 wegen Corona ein echt mieses Jahr erlebt? Dann seid froh, dass ihr nicht das alternative 2020 von „All that's left“ erleben musstet, denn da kamen die Außerirdischen vorbei. Die haben zwar prinzipiell keine bösen Absichten, doch leider bringen sie ihre Viren mit, die Menschen in Zombies verwandeln. Klar, dass da die Welt den Bach runter geht, sodass im Jahr 2080 nur noch vier Machtgruppen im ehemaligen Europa übrig sind: Die „Vereinigten Staaten von Island“ (alle Flüchtlinge, die sich nach Island retten konnten), „Hadrians Erben“ (quasi die Briten, die einen nationalistischen Zombie-Brexit durchgezogen haben), „Mütterchen Russland“ (selbsterklärend) und „Die Verlorenen“ (der letzte Rest, der irgendwie & irgendwo überlebt hat). Sie alle verfügen über besondere Eigenheiten, Stärken und Schwächen (z.B. kann „Mütterchen Russland“ zahlreiche billige Rekruten einsetzen, während „Hadrians Erben“ dank ihrer ausgetüftelten Befehlsketten und trainierten BerufssoldatInnen besser organisiert sind), mit denen sie um wertvolle Ressourcen wie Nahrung, Treibstoff und auch DNA-Proben für die Zombie-Impfstoffforschung ringen. Dabei sind die Trupps sehr klein, mit dem Standard-Punktwert kann man 4 – 10 Figuren aufs 90x60 cm große Spielfeld stellen.
Regeltechnisch ist „All that's left“ eher einfach gehalten, sodass erfahrene Tabletop-SpielerInnen (selbst wenn sie, wie ich, schon ein paar Jahre raus aus der Materie sind) rasch verstehen, was sie da eigentlich machen müssen: Eine Runde teilt sich in drei Phasen auf, nämlich in Aktivierungsshowdown (die SpielerInnen wählen je eine Figur aus, die sie ziehen wollen, dann entscheidet eine vergleichende Willenskraft+1W10-Probe, welche Figur aktiviert wird), Aktionsphase (jede Figur darf eine ganze oder zwei halbe Aktionen durchführen, dabei macht sie so typischen Kram wie z.B. Laufen, Kämpfen & Dinge nutzen) und Endphase (Monster & Zombies werden aktiviert, außerdem steigt die Eskalationsskala an). Dabei verfügt jede Spielfigur, aber auch jedes Monster und jeder Zombie, über ein Werteprofil (Fernkampf, Nahkampf, Geschicklichkeit, Körperbeherrschung, Willenskraft & Bewegung) und manchmal auch über Talente (z.B. die Fähigkeit zur Benutzung von Drohnen, Armbrüsten & Medipacks oder auch besonders gute Treffergenauigkeit), welches man im Kampagnenspiel aufleveln kann. Zudem können die menschlichen Figuren mit neuer Ausrüstung (z.B. nützliche Dinge wie Enterhaken oder natürlich auch stärkere Waffen) verbessert werden.
Die eigentliche Spielmechanik basiert auf einer W10-Probe, bei der man einen Zielwert nicht übertreffen darf. Dieser setzt sich aus dem Wert der passenden Fähigkeit sowie diversen Modifikatoren (beim Schießen z.B. die Entfernung und die Deckung) zusammen. Wie schon weiter oben geschrieben ist das für erfahrene Nerds also kein Hexenwerk ;-) Die offizielle Webseite spricht von „schnell zu lernen, aber schwierig zu meistern“ und das ist keine leere Versprechung: Alle Figuren, selbst wenn sie gepanzert sind, halten nur sehr wenige Treffer aus und sterben erschreckend rasch weg. Und selbst wenn sie im Kampagnenspiel zwischen den Missionen irgendwie doch noch wiederbelebt werden, bleibt ein körperlicher Makel (z.B. ein verlorener Arm, der natürlich Nachteile hat). Man muss also sehr vorsichtig agieren und zweifelsohne ist man daher versucht, seine Figuren einfach mit einem Scharfschützengewehr irgendwo in die Ecke zu stellen und auf gute Trefferwürfe zu hoffen :-P Hier bietet „All that's left“ drei interessante Spielmechaniken, welche solche (zugegebenermaßen von mir bevorzugte) Taktiken unterbinden: Erstens gibt es verschiedene Zufallsereignisse, welche z.B. die Sichtweite verringern oder Zombies umlenken. Zweitens geht es nicht primär um das Ausschalten des gegnerischen Trupps, sondern um das Erledigen von Missionszielen. Dabei gibt es ein großes Hauptziel, das für beide SpielerInnen gleich ist, und mehrere, meist vier, Nebenziele. Von denen werden jeweils zwei verdeckt von ihrem eigenen, aber identischen, Kartenstapel gezogen. So kann es sein, dass beide die gleichen oder gar absolut konträre Nebenziele haben (z.B. „Töte XY vs. Rette XY“ oder „Sammle XY ein“ vs. „Zerstöre XY“). Das Erreichen von insgesamt drei Missionszielen führt hierbei zum Sieg, wobei es (außer in Kampagnenmissionen) egal ist, ob man Haupt- oder Nebenmissionen absolviert. Drittens, und das ist vielleicht sogar die spannendste Spielmechanik, verursachen viele Aktionen (z.B. Schießen ohne Schalldämpfer oder etwas Zurufen) ordentlich Lärm, welcher Zombies anlockt und den Wert der Eskalationsskala erhöht. So ist man durchaus dazu gewillt, auf den oben genannten Scharfschützengewehr-Schuss zu verzichten und dafür in den risikoreicheren, aber eben auch viel leiseren Nahkampf zu gehen. Denn je stärker die Situation eskaliert, umso mehr Zombies kommen (bis max. 20) und irgendwann wird die Mission einfach so gefährlich, dass die Trupps die Mission abbrechen.
Die Trupps setzen sich, wenn man den empfohlenen Punktewert von 25 nutzt, aus 4 – 10 Figuren zusammen. Dabei sind die grundsätzlichen Archetypen (Anführer, Veteran, Spezialist, Meisterschütze, Soldat & Rekrut) und ihre Spielwerte immer gleich, je nach Fraktion unterscheiden sich aber die Ausrüstung, die Punktkosten, die Sonderregeln und der Name. Außerdem ist die Auswahl der Archetypen eingeschränkt: Beispielsweise sind die Rekruten von „Hardrians Erben“ mit einem leichten MG stark bewaffnet, dafür darf man aber maximal zwei von ihnen mitnehmen und sie kosten auch gleich zwei Punkte. Dagegen sind die Rekruten von „Mütterchen Russland“ nur mit einer popeligen Pistole ausgestattet, dafür kosten sie aber nur einen Punkt und man darf gleich sieben Stück in die Szenarien führen. Von diesen bietet „All that's left“, wenn man sie sich nicht selber ausdenkt, gleich sechs Stück in einer narrativ zusammenhängenden Kampagne. Hier kämpfen sich die SpielerInnen durch Berlin und Bayern, um einen Null-Energie-Antrieb zu finden. Dabei müssen sie sich nicht nur gegen einen gegnerischen Trupp wehren, sondern auch gegen die fünf Monstertypen des Spiels (bzw. sechs, wenn man Zombies mitrechnet). Die Missionen sind abwechslungsreich designt, gerade auch vom Spielfeldaufbau, und bieten den schönen Vorteil, dass das Erreichen von Missionszielen im folgenden Szenario oft einen kleinen Bonus bringt.
Regeltechnisch habe ich also nichts zu meckern, das ist ein netter kleiner Skirmisher mit einigen schönen Ideen :-) Leider kann die Präsentation da nicht ganz mithalten, da merkt man schon, dass „hf wargaming“ (die mir dankenswerterweise ein preisreduziertes Exemplar zur Verfügung stellten) nicht ganz so viele Ressourcen hat wie ein großer Tabletop-Verlag: Das Layout und das Lektorat hätten durchaus besser sein können, aber letztlich erfüllt das 144 Seiten starke Hardcover-Regelbuch seinen Zweck. Obwohl es viel Fließtext gibt, der oft von Zeichnungen, Fotos oder Tabellen unterbrochen wird, findet man gesuchte Regelpassagen doch halbwegs schnell. Glatte 35 € kostet das Buch alleine, ein Starterbundle (Regeln, elf Charakterkarten, die Eskalationsskala, Spielfiguren im Wert von 25 Punkten) gibt es für aktuell 73,50 – 78,50 € (eine Fraktion) beziehungsweise 105 € (zwei Fraktionen). Die Weißmetall-Figuren im Maßstab 35mm gefallen mir persönlich gut und sehen auf jeden Fall hübscher aus als die Proxies, die ich für mein Testspiel genutzt habe ;-)
Fazit: „All that's left“ (Link) hat mit dem post-apokalyptischen Alien-Zombie-Mix zwar ein eher ausgelutschtes Setting, die eigentlichen Regeln funktionieren aber gut und sorgen für überraschend tödliche Gefechte mit einigen Unwägbarkeiten. Tabletop-Fans, gerade wenn sie sich eher für narrative Kampagnen als für knallharte Turniere interessieren, werden hier sicherlich viel Spaß haben :-D